Mehr als 200 Berliner Schüler haben eigene Thesen zum Thema Bildung erarbeitet. Diese haben sie in Wedding mit Eberhard Diepgen, Walter Momper und Bettina Jarasch diskutiert - und das sehr selbstkritisch.

Tamer (19) findet, die Lehrer an seiner Schule seien im Vergleich mit vielen Elternhäusern nicht streng genug. Deniz (18) würde es gern sehen, dass auch die Eltern von Schulschwänzern öfter zur Rechenschaft gezogen werden. Und Ibrahim (17) sagt: „Wir sind im Wedding aufgewachsen, machen jetzt hier Abitur, aber später werden wir unsere Kinder nicht auf solche Schulen schicken wie diese hier.“

Die Mensa der Ernst-Reuter-Oberschule am Freitagmittag: 200 Schüler, nicht nur von der Reuter-, sondern auch von der Willy-Brandt-Schule und dem Diesterweg Gymnasium haben sich eingefunden, um über Bildung und Integration zu diskutieren. Sie haben im Leistungskurs und in Arbeitsgruppen ein Thesenpapier erarbeitet, über das sie nun mit ihren Gästen aus der Politik sprechen möchten.

Auf dem Podium sitzen die ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Walter Momper (SPD), zwischen ihnen Grünen-Landeschefin Bettina Jarasch. Ausdrücklich soll nicht Wahlkampf auf dem Programm stehen, sondern die Debatte mit den Schülern, die über sich selbst in ihrem Papier sagen, sie würden häufig als „Problemgruppe“ gesehen, weil die Mehrheit von ihnen einen Migrationshintergrund habe.

Die Schüler sind ziemlich selbstkritisch, das wird schnell deutlich. Sie schwänzten zu oft, würden häufig nicht gut Deutsch sprechen, „falsche Freunde“ haben und sich nicht für andere Kulturen interessieren, sagen sie. Doch trotz all der Selbstkritik – eingeschüchtert zeigen sich die Weddinger Schüler ganz und gar nicht. Vielleicht hilft es, dass die wenigsten von ihnen die ehemaligen Regierenden Bürgermeister Momper und Diepgen und auch die wesentlich jüngere Bettina Jarasch einordnen können. „Wer ist jetzt der Momper?“, fragt einer der Diskutanten den Rektor noch schnell vor Beginn der Veranstaltung.

Hemmungen jedenfalls haben die Jugendlichen bei den Politikern nicht. „Entschuldigen Sie bitte, aber es hat sich doch nichts verändert, also haben all die Veränderungen doch nichts gebracht“, unterbricht der 18-jährige Souhaib die Ausführungen von Momper über die Reformbemühungen für die Berliner Schulen. Es gebe zu wenig Lehrer, zu wenig Schulpsychologen, die sich um die Nöte der Jugendlichen kümmern würden, zu wenig interessant gestalteten Unterricht, sagen die Schüler. Und erstaunlicherweise wünschen sie sich nicht nur besser ausgebildete Lehrer und mehr Geld für die Schulen, sondern vor allem eines – mehr Disziplin. Lehrer mit Autorität, verpflichtende Deutschkurse für Eltern, Kita-Pflicht für alle Kinder, schärfere und schnellere Strafen im Jugendstrafrecht.

„Einige eurer Thesen sind erstaunlich“, sagt Barbara Jarasch und wirbt zwar für klare Regeln zwischen Schülern und Lehrern, aber dennoch für eine liberalere Haltung. Die drei Politiker auf dem Podium erweisen sich in vielen Fragen weit weniger hart als die Schüler. „Ich habe etwas dagegen, alles mit Zwang zu machen“, sagt Momper zum Thema Deutschkurse. Es komme vor allem darauf an, ausreichend Kurse anzubieten und für den Wert der Bildung an sich zu werben. Diepgen plädiert dafür, in der Lehrerausbildung auch Wissen über den Islam und die türkische Geschichte zu vermitteln, damit die Pädagogen sich besser in die Lebenssituation ihrer Schüler hineindenken können.

Das Ansehen ihres Kiezes macht den Jugendlichen zu schaffen. „Unsere Schule liegt an der Grenze zwischen dem schicken Mitte und Wedding – keiner aus Mitte schickt sein Kind hierher“, sagt Deniz. Diepgen und Momper fordern daraufhin, in solchen Stadtteilen künftig Schulen mit besonders attraktivem Profil anzusiedeln. Doch überzeugen können sie die Teenager kaum. „Wir reden nur darüber, was nötig wäre“, sagt ein Schüler. „Aber was ist überhaupt möglich?“