Die Berliner Gesundheitsämter kommen mit der Arbeit nicht mehr nach. Es fehlt ganz einfach Personal. Ein Viertel der Stellen wurde nicht besetzt, denn zu wenige Mediziner wollen in den Staatsdienst. Der Senat lockt nun mit mehr Geld.

Kinder werden nicht mehr gegen Masern geimpft, die Kariesprophylaxe wird vernachlässigt. Es sind Einschulungsuntersuchungen vorgesehen, die dringend notwendig wären, aber gar nicht mehr stattfinden. Der sozialpsychiatrische Dienst ist ohnehin überlastet. Die meisten der zwölf Berliner Gesundheitsämter kommen mit der Arbeit kaum mehr hinterher. Es mangelt an Personal. Besonders Ärzte fehlen .

Andreas Zintel kennt die Probleme. Er ist einer von vier Kinderärzten, die für das Neuköllner Gesundheitsamt arbeiten. Er wechselte aus einer Berliner Klinik in den Staatsdienst, auch weil er es leid war, Krankheitssymptome nur noch mit Medikamenten zu lindern. Zintel schätzt die präventive Arbeit. Beratung und Aufklärung gehören dazu, die sogenannte „sprechende Medizin“, die erreichen soll, dass es gar nicht erst zur Krankheit kommt.

Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Neukölln weit auseinander. Derzeit warten viele Problemfälle, Menschen ohne Papiere drängen in die Sprechstunden der Amtsärzte, Menschen, die sonst nirgends behandelt werden. „In meinem Bereich bräuchte es doppelt so viele Mediziner“, sagt Zintel. Ein Viertel der Ärzte, die dem Bezirk laut Bedarfsplanung zustehen, wurden in den vergangenen Jahren einfach nicht eingestellt.

Buhlen um den Nachwuchs

Jahrelang hat der Senat das Problem ausgesessen, nun, da auch große Krankenhauskonzerne wie Vivantes oder die Charité um Nachwuchs buhlen, ist der Handlungsbedarf groß. „Die Fluktuation im ärztlichen Bereich ist erheblich und führt zu Problemen bei der Nachbesetzung von Stellen“, heißt es in einer Vorlage der Senatsverwaltung für Finanzen. Mehr Geld soll nun den Nachwuchs locken. Gesucht werden vor allem junge, belastbare und motivierte Ärzte. In Neukölln etwa mangelt es an jungen Männern. Um die in den öffentlichen Dienst zu holen, sollen die Gehälter um 20 Prozent höher ausfallen als bisher. Zudem sollen Mediziner, die zuvor in ähnlichen Bereichen tätig waren, in eine höhere Gehaltsstufe eingruppiert werden dürfen. Bislang verdiente ein neu eingestellter Facharzt im Gesundheitsamt 3400 Euro brutto monatlich. Kliniken zahlen rund 1000 Euro mehr. Der Senat verspricht in seiner Vorlage, dass es sich diesmal um eine „dauerhafte Maßnahme“ handele.

Benjamin Hoff, Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz (Linke) zeigt sich optimistisch, dass sich die Situation schnell ändern lässt. Im öffentlichen Dienst gebe es viele Vorteile, geregelte Dienstzeiten, es herrschten familienfreundliche Arbeitsbedingungen. „Für viele ist auch die Verbeamtung wichtig“, sagt Hoff. Die Senatsverwaltung für Finanzen, die so schnell reagieren will, kennt das Problem seit Jahren, sie selbst legt die maximale Stellenzahl fest. Nachdem in den 90er-Jahren radikal Stellen abgebaut worden waren, sollte ab 2002 durch eine Reform des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, kurz ÖGD-Reform, die Situation verbessert werden. Acht Jahre, von 2002 bis 2010, machten sich Fachleute daran, zu ermitteln, wie ein Mustergesundheitsamt aussehen soll. Aufgaben wurden beschrieben, eine Mindestpersonalausstattung festgelegt.

Geändert habe sich nichts, sagt Gesundheitsstadtrat Falko Liecke. Nach Abschluss der Reform sollte das notwendige Budget verteilt werden, damit fehlende Stellen besetzt werden können. „Der Senat hat einfach kein Geld zur Verfügung gestellt“, sagt Liecke. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter immer älter werden. „Die meisten Amtsärzte haben ein gewisses Alter erreicht, deswegen kommt es häufiger zu Ausfällen“, so Liecke. Kollegen müssen die Arbeit übernehmen, angesichts der dünnen Personaldecke steigt die Arbeitsbelastung.

Kontakt in die Familien

286 Fachärzte arbeiten derzeit für das Land Berlin, in den nächsten Monaten werden rund 60 Gesundheitsbeamte zu anderen Arbeitgebern wechseln oder in Rente gehen. Sie fehlen auf wichtigen Stellen, etwa in der Umwelt- und Hygienemedizin, wo sie über gesundheitsschädliche Umwelteinflüsse oder Lebensmittelseuchen aufklären. Gesundheitsbeamte sind zur Stelle, wenn es darum geht, Trinkwasser- und Badewasserqualität zu überwachen. Sie kümmern sich um Menschen mit Behinderung oder Aidspatienten.

Amtsarzt Zintel würde sich gern besser um die Kinder in seinem Bezirk kümmern, er schafft es einfach nicht. Über 3000 Babys werden im Bezirk geboren. „In Nord-Neukölln ist es wichtig, dass es von Geburt an Kontakt zur Familie gibt“, sagt Zintel. Als Amtsarzt greift er ein, wenn Babys vernachlässigt werden oder Jugendliche Drogen nehmen. Bei der Hälfte der untersuchten Kinder stellen Amtsärzte einen Förderbedarf fest. Viel öfter müsste Nachhilfe bei der motorischen und sprachlichen Entwicklung erteilt werden.

„Die Anhebung der Gehälter mag helfen“, sagt Klaus Morawski, Leiter des Gesundheitsamts Neukölln. Seit Ende der 80er-Jahre arbeitet der Mediziner im öffentlichen Dienst, er ärgert sich, dass erst jetzt etwas getan wird. Viele Male hätte er in den vergangenen Jahren junge Fachärzte einstellen können. „Aber wie sollte ich das machen, wenn ich kein Budget habe“, sagt er. Nun soll er rekrutieren, doch Anzahl und Qualifikation der Bewerber machen ihm Sorge. Zurzeit sucht Neukölln einen Psychiater, dreimal schon war die Stelle ausgeschrieben. Bewerber hatten aber kein ernsthaftes Interesse. Nicht einmal die weniger qualifizierten.