Unterversorgung

In vielen Berliner Bezirken fehlt es an Ärzten

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Ina Brzoska

Die Kassenärztliche Vereinigung hat mit einer neuen Studie die Unterversorgung von Ärzten in Berlin bestätigt. In den Kiezen bekommt man die Unterversorgung bereits zu spüren.

Trotz steigender Ärztezahlen gibt es in fast allen Bezirken einen Mangel an Medizinern. Um den Missstand zu belegen hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) am Freitag neue Zahlen vorgelegt. „Viele Menschen spüren die Unterversorgung in ihrem Kiez“, sagte Uwe Kraffel, KV-Vorstandsvorsitzender. Senioren aus Treptow, die keinen Termin beim Anästhesisten bekommen, Wilmersdorfer, die lange nach einem Urologen suchen.

Die KV kritisiert die derzeitige Berliner Bedarfsplanung, die errechnet, wie viele niedergelassene Ärzte in den Bezirken notwendig sind. „Sie basieren auf Daten von 1992, deshalb haben wir derzeit ein verzerrtes Bild“, sagte Kraffel. Der Augenarzt legte KV-Berechnungen vor, die bislang vernachlässigte Faktoren stärker berücksichtigen. Eine älter werdende Bevölkerung, die vielen Pendler, die in Berlin arbeiten und sich auch hier behandeln lassen. Und die neuen Leistungen wie Akupunktur, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind.

Mangel in acht Bezirken

Das Ergebnis widerspricht dem bislang propagierten Credo, Berlin sei gut versorgt. Die Grafik zeigt die prozentuale Versorgung mit Fachärzten pro Bezirk. 100 Prozent bedeuten eine angemessene Versorgung, alles was unter 75 Prozent liegt, gilt als unterversorgt. Diese Felder sind rot markiert. Die Farbe grau steht für eine ausreichende Versorgung, grün für eine Überversorgung.

So hat Neukölln einen eklatanten Mangel an Anästhesisten, Haut- oder Röntgenärzten. Treptow-Köpenick fehlen Urologen und Hausärzte. In Pankow hingegen zeigt sich, dass dort doppelt so viele Chirurgen sitzen wie nötig wären. Auch Charlottenburg-Wilmersdorf ist sehr gut versorgt, besonders was niedergelassene Psychologen betrifft. Hier kann der Bezirk einen Versorgungsgrad von 334 Prozent vorweisen.

Die KV, welche alle niedergelassenen Ärzte vertritt, reagiert auf die aktuelle Debatte zum neuen Versorgungsgesetz. Die Bundesregierung will damit unter anderem den Fachärztemangel auf dem Land bekämpfen. „Auch in Städten gibt es Probleme, besonders in Berlin müssen wir besser steuern und für eine gerechtere Verteilung sorgen“, forderte Kraffel. Die KV plädiert dafür, die Bedarfsplanung zu korrigieren. Künftig sollten Versorgungsausschüsse der Länder regionale Besonderheiten berücksichtigen, in Brennpunkten Zulassungen für Ärzte neu erteilen oder Medizinern zusätzliche finanzielle Anreize geben. In vielen Bezirken müsste man niedergelassenen Ärzten nur erlauben, mehr Patienten zu behandeln, heißt es.

Derzeit gibt es in Berlin rund 8500 Fachärzte, so viele wie nie zuvor. Trotzdem weisen Bezirke eine ganz unterschiedlich gut Versorgung auf. Nach KV-Berechnungen kommt es in acht von zwölf Bezirken sogar zur teilweisen Unterversorgung.

Die größte Unterversorgung gibt es in Neukölln, ohnehin schon ein Problemkiez. Aber auch in den Bezirken Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Es fehlt an Anästhesisten, an Augen- und Hautärzten, an Allgemeinmedizinern, Urologen und Hausärzten.

Wie andere Bundesländer leidet auch Berlin an einer Überalterung der Gesellschaft. Der Bedarf an medizinischer Versorgung steigt, weil die Menschen älter und gebrechlicher werden. Waren 1992 unter zehn Prozent der Einwohner über 60, sind es heute 22 Prozent. Ältere Berliner bräuchten mehr Augenärzte, Kardiologen oder Urologen. „In vielen Bezirken konzentriert sich das Phänomen, deshalb ist der Bedarf enorm gestiegen“, sagte Kraffel.

Beispiel Marzahn-Hellersdorf

Die KV plädiert, bezirkstypische Besonderheiten besser zu berücksichtigen. Viele Kieze hätten sich stark gewandelt, das hätte Auswirkungen auf den Bedarf an Fachärzten.

Beispielhaft dafür sei Marzahn-Hellersdorf. Dort siedelten sich in den 70er-Jahren viele Familien in neu errichteten Plattenbausiedlungen an, nur wenige zogen weg. Inzwischen haben die Eltern von einst das Rentenalter erreicht. Deshalb ist es binnen weniger Jahre zur stärkeren Nachfrage nach Kardiologen, Augenärzten oder Urologen gekommen.

Auch Köpenick hat ein Problem, zu einer älter werdenden Bevölkerung kommt die verkehrstechnisch ungünstige Anbindung. Die KV plädiert, auch solche infrastrukturellen Begebenheiten zu berücksichtigen. In Bezirke wie Friedrichshain, Treptow oder Prenzlauer Berg ziehen viele Familien. Deshalb gibt es heute, anders als Anfang der 90er einen viel höheren Bedarf an Gynäkologen oder Allgemeinmedizinern.

Neukölln, der sogenannte Problemkiez, leidet wie kein anderer unter dem Wegzug von Ärzten. So verließen rund 50 Prozent aller Radiologen in den letzten fünf Jahren den Bezirk. Auch Gynäkologen, Dermatologen oder Fachinternisten gingen. Doch auch in gut versorgten Bezirken wie Mitte kann es zu Engpässen kommen. Ein neuer Trend sei, dass die vielen Pendler, die nach Berlin kommen, sich in der Nähe vom Arbeitsplatz behandeln ließen. Berufstätige, die aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder anderen Ländern kommen, tauchen bislang gar nicht bei der Bedarfsplanung auf.