Prozess um Maikrawalle

Druck auf Polizei und Staatsanwaltschaft steigt

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Hans H. Nibbrig

Der Prozess gegen die Schüler Yunus K. und Rigo B. geht seinem Ende zu - die beiden Schüler sollen bei den Krawallen am 1. Mai einen Brandsatz geworfen und eine Frau schwer verletzt haben. Doch es sieht so aus, als könnten die Angeklagten auf einen Freispruch hoffen, auch weil es anscheinend gravierende Fehler bei den Ermittlungen gab. Das könnte nun ein Nachspiel haben, in Form eines Untersuchungsausschusses.

Seit knapp vier Monaten wird vor dem Landgericht Moabit gegen die Schüler Yunus K. und Rigo B. wegen des Verdachts des versuchten Mordes verhandelt. Fast sieben Monate saßen die Angeklagten, die während der Krawalle am 1. Mai mit einem Molotowcocktail einer Frau schwere Brandverletzungen zugefügt haben sollen, in Untersuchungshaft, bevor sie Mitte Dezember überraschend freigelassen wurden. Jetzt nähert sich der Prozess seinem Ende, und die zum Tatzeitpunkt 19 und 16 Jahre alten Schüler dürfen mit einiger Berechtigung auf einen Freispruch hoffen. Gleichzeitig geraten Staatsanwaltschaft und Polizei unter Druck.

Die Verteidigung wirft beiden Behörden vor, die Ermittlungen zu Lasten ihrer Mandanten manipuliert zu haben. Für diese Anschuldigungen - mit die schwersten, die man gegen Staatsanwälte und Polizisten erheben kann - gibt es bislang keinen konkreten Beweis. Für die wiederholten Beteuerungen des Staatsanwalts, die Ermittlungen seien zu jedem Zeitpunkt korrekt durchgeführt worden, allerdings auch nicht. Im Gegenteil: Vieles, was an den letzten Verhandlungstagen zur Sprache kam, deutet zumindest auf gravierende Fehler hin.

Ein weiterer Verdächtiger

Ein Beispiel dafür ist eine Durchsuchung bei einem weiteren Verdächtigen, auf dessen Spur die Verteidiger die Staatsanwaltschaft gebracht hatten. Durchsuchungen dienen gemeinhin dazu, mögliche Beweismittel zu finden und sicherzustellen. In diesem Fall lautete die Vorgabe an die durchsuchenden Beamten: Von Bedeutung ist alles, was zur Herstellung von Brandsätzen dienen könnte. Ein Benzinkanister, versteckt in einem Bettkasten, gehört für das Landeskriminalamt (LKA) offenbar nicht dazu. Der interessante Fund wurde fotografiert und ordentlich an seinen Platz zurückgestellt, bevor die Beamten die Wohnung verließen.

Zwei Wochen später kam man im LKA offenbar zu der Erkenntnis, dass es doch wichtig sein könnte, den Kanister auf Spuren zu untersuchen. Daraufhin wurde allerdings keine Beschlagnahme des Kanisters angeordnet, sondern eine Beamtin zu dem Tatverdächtigen geschickt, um ihn zur „freiwilligen Herausgabe“ des möglichen Beweisstücks zu bewegen. Doch der Benzinkanister war inzwischen verschwunden.

Parlamentarisches Nachspiel

Unter anderem wegen dieser merkwürdigen Ermittlungsmethoden könnte der Fall noch ein parlamentarisches Nachspiel haben. Ulrike Zecher, die Verteidigerin von Rigo B., kündigte inzwischen an, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu fordern. Was als „deutliches Zeichen“ gegen die in Berlin rapide ansteigende politisch motivierte Gewalt begann, droht damit zu einer peinlichen Überprüfung von Ermittlungsmethoden zu werden.

Während des gesamten bisherigen Prozesses stützte sich die Anklage auf die Aussagen von drei Polizeibeamten, die die Tat am Kottbusser Tor beobachtet und die beiden Angeklagten von da an bis zu ihrer Festnahmen nicht mehr aus den Augen gelassen haben wollen. Weitere Beweise legte die Anklagebehörde nicht vor. Die Angeklagten hingegen haben die Tat stets bestritten. Die vier Verteidiger setzten alles daran, entlastendes Material beizubringen. Sie präsentierten Entlastungszeugen, lieferten Bild- und Filmmaterial.

"Möglicherweise ein Fehler passiert"

So sagten Zeugen aus, der Brandsatz sei aus einer Gruppe heraus geworfen worden, zu der die Angeklagten definitiv nicht gehört hatten. Anhand von Fotos konnten zwei Personen aus der verdächtigen Gruppe identifiziert werden. Dennoch sah die Staatsanwaltschaft trotz wiederholter Anträge der Verteidigung zunächst keinen Grund, ihre Ermittlungen auf die möglichen Alternativtäter auszudehnen. Erst als eine Verteidigerin Anzeige gegen die Tatverdächtigen erstattete, wurden Staatsanwaltschaft und Polizei aktiv. Kurze Zeit später erfolgte die Durchsuchung, die für die Verteidigung im Prozess zu einer Trumpfkarte geworden ist.

Zum merkwürdigen Vorgehen bei der Aktion befragt, machten mehrere LKA-Beamte widersprüchliche Aussagen. In der vergangenen Woche räumte ein Kriminaloberkommissar des Staatsschutzes erstmals ein, das Vorgehen sei, „rückwirkend betrachtet, möglicherweise ein Fehler“. Auch bei den Richtern erzeugten die Zeugenaussagen der Beamten zuletzt Kopfschütteln. „Ich gehe davon aus, dass diese Vorgehensweisen in ihrer Dienststelle Stoff zum Nachdenken bieten, mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen“, beendete die Kammervorsitzende Petra Müller die Vernehmung eines Beamten des Staatsschutzes.

Rauer Ton, emotionale Stimmung

Die Verteidiger wollten und wollen von Fehlern der Ermittler nichts wissen. Die Anwälte, nach der Freilassung ihrer Mandanten und in Erwartung eines Freispruchs erkennbar in der Offensive, nutzen jede Gelegenheit zum Angriff. Im Vorgehen der Polizei sehen sie keine Panne, sondern gezieltes Handeln, wie sie erst vor wenigen Tagen in einer Erklärung unmissverständlich zum Ausdruck brachten. Vorwürfe dieser Art haben die Anwälte bereits zu Beginn des Prozesses erhoben, der Ton zwischen den Prozessbeteiligten war von Anfang an rau, die Stimmung emotionsgeladen. Beschuldigungen an die Adresse des Anklagevertreters Ralph Knispel wechselten ab mit Befangenheitsanträgen gegen das Gericht.

Doch während Knispel sich zu Beginn des Prozesses noch lautstark und energisch gegen die „ungeheueren Anschuldigungen“ verwahrte, nahm er sie zuletzt nur noch schweigend zur Kenntnis. In den vergangenen Wochen sah sich der Oberstaasanwalt immer wieder Mutmaßungen ausgesetzt, die Ermittlungsbehörden hätten um jeden Preis einen Erfolg präsentieren wollen und seien im Fall Yunus K. und Rigo B. damit deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Dieser Eindruck hat sich im Laufe des Verfahrens noch verstärkt.

Überraschender Sinneswandel

Für Spekulationen sorgten auch die Richter. Wochenlang lehnten sie jeden Antrag auf Haftentlassung der Angeklagten ab, mit der Begründung, es bestehe weiterhin dringender Tatverdacht. Dann, am 15. Dezember, folgte ein Sinneswandel, den Prozessbeteiligte fast als Sensation empfanden. Dringender Tatverdacht bestehe nicht mehr, möglicherweise liege eine Verwechselung vor, verkündete die Vorsitzende und hob die Haftbefehle auf. Überraschend kam diese Entscheidung vor allem deshalb, weil eine mögliche Verwechslung schon zu Prozessbeginn von den Verteidigern ins Spiel gebracht worden war. „Zu diesen Erkenntnissen, die sie jetzt vorgetragen haben, hätten die Richter schon vor Wochen kommen können“, kommentierten mehrere Prozessbeobachter nach der Freilassung von Yunus K. und Rigo B. übereinstimmend.