Am Fraenkelufer in Kreuzberg rauschen zwei Einsatzwagen der Polizei heran, am Planufer gegenüber hält ein Streifenwagen. Ihre Schweinwerfer fixieren rund hundert Feiernde auf der Admiralbrücke. Dicht gedrängt sitzt das Partyvolk auf Betonpollern, auf dem Asphalt oder dem Brückengeländer. Sie lachen, trinken, singen und küssen. Es ist 22 Uhr und das „Freisprechen“ der Jugendstilbrücke beginnt: „Guten Abend. Bitte verlassen Sie die Brücke!“
Seit April führt die Polizei an dem beliebten Treffpunkt Regie. Zwei Beamte patrouillieren täglich ab 18 Uhr, vier Stunden später sorgen sie dann dafür, dass die Brücke geräumt wird. Pünktlich um 22 Uhr mischen sich der stellvertretende Dienstgruppenleiter Bernhard Gawenda und seine sechs Kollegen unter die Feiernden, sprechen Einzelne gezielt an und fordern sie freundlich zum Gehen auf.
Vorausgegangen ist den allabendlichen Polizeieinsätzen ein sieben Monate währendes Mediationsverfahren, das im Dezember 2010 endgültig scheiterte; eine Einigung zwischen Anwohnern und Partyszene auf der Admiralbrücke gab es nicht. Lediglich die unterschiedlichen Betroffenheiten wurden erneut deutlich: Die Anwohner auf beiden Seiten des Landwehrkanals wollen Ruhe und Schlaf, die Feiernden auf der Brücke eine rauschende Party bis tief in die Nacht.
Simone Stevens ist schon vor der Aufforderung der Polizisten freiwillig weiter gezogen. Mit ihrer Freundin Shanon Mertin (34) hatte die 29-Jährige sich bereits um 19 Uhr zwischen alten Kronkorken in der Brückenmitte auf den Bordstein gesetzt, Bier getrunken und gewartet. Darauf, dass die Sonne über dem Landwehrkanal unter geht – und dass ihre Freunde auftauchen. Denn für ihren Besuch aus New York sei die Admiralbrücke Pflicht. „Es ist wie in einer Bar, nur ohne Eintritt“, sagt die Architektin aus Kreuzberg. Das Problem ist die Sperrstunde, die im vergangenen zwar vereinbart, aber nicht eingehalten wurde. Verzweifelte Anwohner hatten sich immer wieder bei der zuständigen Wache gemeldet, die Polizei musste ausrücken.
Effektives Konzept
Seit vergangenem Monat sind die Beamten nun täglich ab 18 Uhr präsent: „Das Konzept ist effektiv: Wir kommen her und machen leer“, sagt Bernhard Gawenda. Der stellvertretende Dienstgruppenleiter führt bei diesem Einsatz das Kommando. Das hört sich aber nur martialisch an, die Polizei setzt auf das gesprochene Wort. „Wir räumen nicht, obwohl das schneller ginge“, sagt der stellvertretende Dienstgruppenleiter. Erst wenn eine freundliche Aufforderung keine Wirkung zeige, werde Unterstützung angefordert, erklärt der Polizeibeamte.
„Was machen Sie hier?“ Die junge Frau und ihr Begleiter steuern direkt auf Bernhard Gawenda und seinen Kollegen zu. „Und was machen Sie hier?“, kontert Polizist Andreas Lindner gelassen. Die junge Frau erwidert verdattert, sie wolle sich einen schönen Abend an der Admiralbrücke machen. Das wollen die beiden Polizeibeamten auch – deshalb müssten die junge Frau und ihr Begleiter die Brücke auch schnell wieder verlassen.
Bernhard Gawenda und Andreas Leutner kommen zusammen auf mehr als 70 Jahre Diensterfahrung, sie lassen sich nicht provozieren. Bei ihrem Einsatz auf der Admiralbrücke habe sie ihre eigene Strategie entwickelt: „Seien Sie nicht traurig, aber die Brücke ist geschlossen“, entgegnen sie enttäuschten Touristen – um ihnen anschließend noch einen Partytipp mit auf den Weg zu geben.
Andreas Leutner verweist dann gern auf das „Berghain“ oder die Bergmannstraße, auch Polizist Stephan Steinbach hat immer ein paar Empfehlungen parat. Seit vier Jahren sind sie regelmäßig auf der Brücke im Einsatz, kennen die Nöte der Anwohner ebenso wie die Bedürfnisse der Touristen. „Die meisten haben feste Ziele im Kopf, die sie während ihres Aufenthalts in Berlin abarbeiten – eines davon ist eben die Admiralbrücke“, sagt Steinbach, während Kollege Leutner an diesem Freitagabend ein paar Meter weiter zwei jungen Frauen aus Bonn fachkundig über die historische Besonderheit der 1882 errichteten Brücke aufklärt. Sprachbarrieren sind beim Einsatz auf der Brücke kein Problem: Englisch geht immer – und für die Härtefälle gibt es den Kollegen, der fünf Sprachen fließend beherrscht.
Einsatz dauert bis 2 Uhr morgens
Doch das ist an diesem Abend nicht erforderlich. Um 22.20 Uhr ist alles vorbei. Die Admiralbrücke ist leer, alles ist friedlich und zügig verlaufen. Bierflaschen, Kronkorken und Pappkartons – mehr bleibt nach dem Brückenspektakel an diesem Abend nicht zurück. Doch nach ein paar Minuten sind auch diese verschwunden: Flaschensammler schleppen prall gefüllte Taschen von der Brücke, der Gastwirt einer Pizzeria gegenüber entsorgt die Pappkartons in die sogenannten Unterflurbehälter. Die riesigen Mülleimer sind in die Erde eingelassen und fassen 650 Liter.
Bernhard Gawenda und seine Kollegen bleiben trotzdem noch bis 2 Uhr morgens vor Ort, damit niemand den Party-Ort wieder zurückerobert. Denn mit Einbruch der Dunkelheit geht es los mit Romantik und Freiluftfeier. Im vergangenen Sommer kamen bis zu 800 Leute am Abend auf die Brücke, darunter viele Touristen. Seitdem Reiseführer die Brücke als Touristenattraktion ausweisen, wird auf am dem 33 Meter langen und 19,5 Meter breiten Bauwerk überwiegend Englisch, Spanisch oder Italienisch gesprochen.
Robin wohnt in der Yorkstraße, ist im Kiez aufgewachsen und möchte seinen vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Der 28-Jährige ist von der Ballermann-Atmosphäre auf der Brücke genervt: „Es ist dieser Billig-Tourismus, der viel kaputt macht.“ Früher saß er abends regelmäßig mit seinen Freunden auf der Admiralbrücke, ohne dass sich die Anwohner beschwert hätten. Erst als die Touristen mit ihren Ghettoblastern anrückten, sei die Situation eskaliert. Und die Atmosphäre dahin. Er verlässt die Brücke, bevor die Polizei sie räumt. Das Bier, das er an diesem Abend auf der Admiralbrücke getrunken hat, wird wohl für längere Zeit das letzte gewesen sein.