Alkoholmissbrauch

Berlin - eine Partystadt im Dauerrausch

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Hajo Schumacher

Den Tag über strömen Scharen junger Menschen durch die Stadt, gern mit einem Bier in der Hand. Wenn es schließlich dunkel wird, verwandelt sich ganz Berlin dann in eine Partyzone. Hajo Schumacher über die Gefahren des zunehmenden Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit.

Frühmorgens in der U-Bahn: Eine Flasche Bier ersetzt manchen Passagieren das Frühstück. Auf Parkbänken und Spielplätzen treffen sich Herrschaften mit Tagesfreizeit zum Umtrunk. Den Tag über strömen Scharen junger Menschen durch die Stadt, gern mit einem Bier in der Hand. Wenn es schließlich dunkel wird, verwandelt sich ganz Berlin in eine Partyzone. Ob Schlachtensee oder Kreuzberg, Mauer- oder Volkspark, allenthalben wird öffentlich gezecht. Besucher, die aus ihren Heimatländern einen restriktiveren Umgang mit Alkoholika gewohnt sind, wundern sich über die hiesige Liberalität.

Natürlich ist es kein Problem, wenn die Griller im Tiergarten eine Flasche Rotwein zum Lamm leeren oder Verliebte mit lauwarmem Prosecco in der Hand die untergehende Sonne an der Spree beobachten. Gegen ein gepflegtes Glas ist auch im öffentlichen Raum nichts einzuwenden. Gerade im Sommer zeigt die Volksdroge Alkohol aber auch ihre problematische Seite. Anwohner beklagen nächtliches Gegröle, Radfahrer umkurven jeden Morgen frische Scherbenhaufen, vor allem aber begünstigt ein Schluck zu viel die Aggressionsbereitschaft: Von der einfachen Schlägerei bis zum Mordversuch in der U-Bahn - fast immer ist Alkohol im Spiel. Nicht jeder, der trinkt, ist ein Gewalttäter, aber viele Gewalttäter haben übermäßig Promille im Blut.

Man muss kein militanter Abstinenzler sein, um den omnipräsenten Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit befremdlich zu finden. Es wäre unrealistisch, Prohibition oder auch nur skandinavische Usancen in Berlin durchsetzen zu wollen. Dennoch braucht die Hauptstadt einen Konsens im Umgang mit einer legalen Droge, die zugleich für Genuss, Sucht und Gewalt sorgt. Denn was dem einen Spaß macht, nervt den anderen oder gefährdet gar seine Existenz.

Dass Werktätige sich auf dem Weg zur U-Bahn nur ungern von frühen Biertrinkern verhöhnen lassen, ist nachvollziehbar, aber gesetzlich kaum in den Griff zu bekommen. Dass allerdings schon Kinder zu jeder Tageszeit an Spirituosen aller Härtegrade kommen, ist nicht in Ordnung. Teenager-Eltern vernehmen mit Erstaunen, dass Tankstellen oder Spätkauf-Läden die geltenden Abgaberegeln nicht eben penibel einhalten. Konsequente Kontrollen verhindern zwar keine Gewalttaten, würden jedoch ein Problembewusstsein des Staates demonstrieren.

Ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum, wie es etwa in Prag gilt, ist in Deutschland juristisch kaum durchzusetzen. Entsprechende Verbote wurden in Magdeburg oder Freiburg gekippt; auch ein in Berlin seit 1999 geltendes Verbot wurde 2006 aufgehoben. Dennoch wäre es die Mühe wert, Alkohol zumindest aus öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbannen. In Amsterdam sind alkoholfreie Zonen mit Schildern gekennzeichnet. Weil der Polizei kaum zuzumuten ist, gegen die zahllosen öffentlichen Trinker mit Bußgeldern oder Platzverweisen vorzugehen, muss am Ende dort, wo die öffentliche Hand nicht hinreicht, der erwachsene Bürger handeln. Wenn Eltern ihren Kindern Verantwortung vorlebten, wäre schon einiges erreicht.