Die Anwohner des Wrangelkiezes in Berlin-Kreuzberg sind verärgert: Mieten steigen, Clubs lärmen, Müll liegt auf den Straßen. Migrantenfamilien und kleine Läden müssen den schicken Besserverdienern weichen. Und an allem sind wohl Studenten schuld.
Die Angst, verdrängt zu werden, ist groß bei den Alteingesessenen im Kreuzberger Wrangelkiez. Dies hat eine Diskussion am Montagabend im „Lido“ an der Cuvrystraße gezeigt. Ein völlig überfüllter Saal, gespannte Stille bei den Ausführungen von Bezirkspolitikern und Quartiermanagern und eine Flut von Fragen, Berichten und Beschwerden der Teilnehmer. Deutlicher geht es nicht.
Hauptsorge sind die steigenden Mieten. Berliner Wohnungsgesellschaften verkaufen Pakete von Häusern an ausländische Fonds. Hinzu kommen lärmende Klubbesucher, mehr Müll auf den Straßen und ein akuter Mangel an Parkplätzen. Kleine Geschäfte verschwinden aus dem Straßenbild. Restaurants ziehen ein. „Die Leute haben Grund, sauer zu sein“, sagt Heba Choukri. Sie wohnt seit 1986 im Wrangelkiez. „Ich verlange von der Politik, dass sie die Netzwerke im Kiez unterstützt.“ Nicht nur die Klubszene, sondern auch kleine Händler brauchten Hilfe.
Dass die Ängste der Bewohner begründet sind, bestätigt Quartiermanagerin Kerstin Jahnke. „Wir beobachten in der letzten Zeit deutliche Veränderungen im Wrangelkiez.“ Vor allem Familien mit Migrationshintergrund ziehen wegen steigender Mieten weg. Der Anteil der Türken unter der ausländischen Bevölkerung ist von 68 auf 46 Prozent zurückgegangen. „Die Angst vor Verdrängung nimmt zu“, so die Quartiermanagerin. Der Anstieg der Mieten sei durch Untersuchungen belegt.
„Bei Neuvermietungen sind die Mieten innerhalb von drei Jahren um 22 Prozent gestiegen“, sagte Kerstin Jahnke. Die, die in den Kiez drängen, sind junge, gut ausgebildete Leute mit Chancen auf ein gutes Einkommen. Erheblich gestiegen ist der Anteil der Bewohner, die aus dem westlichen Ausland zugezogen seien. Der Anteil der 18 bis 35-Jährigen liegt um 13 Prozent über dem Berliner Durchschnitt. „Der Wrangelkiez ist schick geworden“ sagt Jahnke. Auch die Zahl der Kleinkinder nimmt zu. Dennoch sei die Kinderarmut hoch, so Jahnke. „Etwa 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen beziehen Transferleistungen.“
Studenten akzeptieren Kosten
Vor allem Studenten und Auszubildende seien es, die die hohe Miete akzeptieren und zunächst in teure Wohnungen einziehen, sagt der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne). „Dann suchen sie sich ein preiswerteres Quartier und ziehen um.“ Dadurch sei eine ungeheure Fluktuation entstanden. „Jede Neuvermietung führte zur Mieterhöhung.“ Deshalb seien gerade in den schlechten Häusern die Mieten höher. Ein junger Mann aus der Wrangelstraße erzählt, dass sein Haus von einer Berliner Wohnungsgesellschaft an eine österreichische Sparkasse verkauft wurde. Sie habe die Miete von 360 auf 560 Euro erhöht. Für 50 Quadratmeter mit Ofenheizung. Die Mitbewohnerin, eine Austauschstudentin aus den USA, könne dank der Überweisung ihrer Eltern den Preis zahlen.
„Wie wollen Sie Hartz-IV-Empfängern und Rentnern helfen, die die Miete nicht mehr aufbringen können“, fragt eine Frau. „Wo sind noch freie, bezahlbare Wohnungen in Kreuzberg? Sollen wir nach Marzahn oder Lichtenberg ziehen?“ Bezirksbürgermeister Schulz beschreibt die Entwicklung im Kiez: „Immer mehr Finanzinvestoren und Pensionsfonds kaufen Häuser“, sagt er. „Sie müssen eine schnelle und hohe Rendite bringen.“ Dies lasse sich nicht allein durch Mieterhöhung erreichen, sondern vor allem durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das geschehe nicht nur im Wrangelkiez, sondern auch im Graefekiez und am Chamissoplatz. „In drei bis vier Jahren hat man dadurch das Mehrfache des Verkaufswertes der Immobilie.“ Das zerstöre die Nachbarschaft.
Eine Chance, diese Tendenz zu stoppen, sieht Schulz darin, dass 70 Prozent von Kreuzberg, darunter der Wrangelkiez, sogenannte Milieuschutzgebiete sind. Er fordert, dass in diesen Quartieren eine Genehmigung erforderlich wird, wenn Hausbesitzer die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln wollen. Schulz fordert auch, dass die städtischen Wohnungsgesellschaften sich an sozial verträgliche Mieten halten und so Einfluss auf den Mietspiegel nehmen.
Ein Ziel des Abends im „Lido“ soll es sein, einen Interessensausgleich zu finden zwischen den Anwohnern, die sich von nächtlichem Lärm genervt fühlen, und den abendlichen Klubgästen, die den größtmöglichen Spaß haben wollen. Neuester Trend sei es, so erzählt eine Kreuzbergerin, dass Besucher mit einem Bollerwagen voller alkoholischer Getränke durch die Straßen ziehen. Rollstuhlfahrer können den Bürgersteig der Falckensteinstraße nicht mehr passieren, weil der mit Tischen und Stühlen der Gaststätten zugestellt ist. „Die Straße ist im Sommer eine einzige Tafel“, sagt eine Anwohnerin. Als Autofahrerin meide sie diese Straße. „Wenn ich reinfahre, weiß ich nicht, ob ich wieder rauskomme.“
Stadtrat Peter Beckers (SPD), der das Ordnungsamt unter sich hat, berichtet von vielen Beschwerden, die seiner Behörde vorliegen. Sie betreffen auch den Müll, der sich auf den Straßen und an Baumscheiben häuft, und zugeparkte Straßen. Die Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung habe beantragt, dass Polizei und Ordnungsamt gemeinsam eine Knöllchenkampagne durchführen, sagt Beckers. „Wenn die BVV das beschließt, machen wir es.“ Anwohner und Bezirkspolitiker schlugen bei der Diskussion am Montagabend vor, dass es einen Runden Tisch geben soll, der nach Lösungen sucht. Auch Vertreter der Restaurants und Klubs sollen teilnehmen. Lutz Leichsenring, Sprecher der Berliner Klubkommission, sagt das zu.