Fünf Jugendliche leben in der deutschlandweit einzigartigen Einrichtung im Bezirk Neukölln. Die notorischen Schulverweigerer werden von Erziehern betreut und besuchen seit Schuljahresbeginn wieder eine öffentliche Schule.
Sie kommen an keinem Spiegel vorbei, ohne den Sitz ihrer Frisur zu prüfen. Sie lieben Cafés und finden es cool, einfach abzuhängen. Was sie völlig uncool finden, ist Lernen. Eine Schule haben sie nur selten von innen gesehen. Seit vier Wochen wohnen Nada, Sedda und Anisa (Namen geändert) im Schulschwänzer-Internat am Buckower Damm. Zähneknirschend. So ganz haben sie sich noch nicht mit ihrem neuen Alltag abgefunden. „Wir dürfen nicht rauchen, kein Handy benutzen und nur eine Stunde raus“, beschwert sich die 16-jährige Nada. Begriffen hat sie dennoch nach der kurzen Zeit: „Ohne Regeln geht es nicht, ist schon okay hier.“ Auch Sedda zieht eine erste Erfolgsbilanz: „Bislang habe ich nur einmal geschwänzt.“
Das bundesweit erste Internat für Schulschwänzer, das seit Schuljahresbeginn in Neukölln in Betrieb ist, wurde am Donnerstag offiziell eröffnet. Drei Mädchen und zwei Jungen aus Serbien, Kroatien, der Türkei und Deutschland besuchen derzeit von Sonntagabend bis Freitagnachmittag die Einrichtung des diakonischen Trägers EJF-Lazarus. Am Vormittag haben sie Unterricht in der benachbarten „Schule an der Windmühle“ – einem sonderpädagogischen Förderzentrum – und am Nachmittag stehen Sport, zum Beispiel im neuen Klettergarten, Musik oder Handwerk auf dem Programm. Acht Plätze stehen derzeit zur Verfügung, eine Ausweitung auf 48 Plätze ist möglich.
Auf roten und grünen Karten stehen Verhaltensregeln
Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) spielt in seiner Eröffnungsrede auf die aktuelle Debatte um Thilo Sarrazin an. Sarrazin habe viel angesprochen und ausgesprochen, und das sei „semantisch suboptimal“ rübergekommen, sagte Buschkowsky. Vermisst habe er aber eine Antwort auf die Frage „Wie weiter?“ Das Internat sei eine solche Antwort, so das Bezirksoberhaupt. Es gebe Schülern eine Chance, die an sich glaubten, aber nicht stark genug seien.
Im Klassenzimmer, in dem die fünf gemeinsam unterrichtet werden, hängen rote und grüne Karten an den Wänden. Auf den grünen stehen Regeln, wie „Ich spreche und verhalte mich höflich“ oder „Ich höre zu, wenn andere sprechen“, auf den roten ist die Prozentrechnung. „Das Problem sind nicht die roten Karten, sondern die grünen“, sagt Lehrer Kay Giersberg. Er will die Jugendlichen auf den Besuch der Regelschule vorbereiten. Doch noch falle den meisten Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit schwer, einige fragten schon, wann sie wieder nach Hause könnten, sagt Giersberg.
Das dürfen die fünf im Moment nur am Wochenende. „Zu Hause ist es viel schöner“, sagt Nada, und Sedda stimmt ihr zu. In ihrem Zimmer mit dem rotbraunen Teppichboden hängen Fotos der Familie an den Wänden. Die Mutter von Anisa ist trotzdem froh, ihre Tochter im Internat zu wissen. „Sie hört nicht auf mich und auch nicht auf meinen Mann“, sagt sie verzweifelt. Hier im Internat sei es schön, auch wenn es ihre Tochter wie ein Gefängnis empfinde. „Hauptsache, sie schafft ihren Schulabschluss.“