Schule

Brandenburg wirbt Berliner Lehrer ab

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Regina Köhler

Foto: Massimo Rodari

Brandenburg bietet einfach mehr als Berlin: Lehrer lockt das Nachbarland mit Beamtenstatus - und mit mehr Geld. Die Folge: Berliner Lehrer wandern aus. Im Brandenburger Bildungsministerium wird bereits eine steigende Nachfrage von Bewerbern aus der Hauptstadt registriert.

Thorsten Steil hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Der 44-jährige Lehrer für Mathematik, Informatik und Sport will zum kommenden Schuljahr seine Stelle in Berlin aufgeben und in das Land Brandenburg wechseln. „Ich bekomme dort 500 bis 600 Euro mehr auf die Hand, weil ich verbeamtet werde“, sagt Steil. Zurzeit arbeitet der Pädagoge am Albrecht-Dürer-Gymnasium in Neukölln. Dort fühlt er sich wohl und würde deshalb am liebsten bleiben.

Steil geht es nach eigener Auskunft nicht um den Status des Beamten, sondern einzig und allein um den finanziellen Aspekt. „Meine Altersvorsorge muss ich von meinem Nettogehalt bilden“, sagt er. Deshalb spiele es für ihn eine große Rolle, wie viel er am Ende des Monats tatsächlich herausbekomme. Und das sei in Brandenburg deutlich mehr als in Berlin.

Steigende Nachfrage von Berliner Bewerbern

Thorsten Steil ist kein Einzelfall. Im Brandenburger Bildungsministerium hat man eine steigende Nachfrage von Berliner Bewerbern registriert. „Wir haben noch keine genauen Zahlen, können aber jetzt schon sagen, dass die Nachfrage aus Berlin gegenüber den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist“, sagt Stephan Breiding, Sprecher von Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD).

In Berlin werden junge Lehrkräfte seit 2004 nicht mehr verbeamtet. Erst im vergangenen Jahr hatte Baden-Württemberg um Berliner Lehrer geworben. „Sehr guten Morgen, Frau Lehrerin“ war auf großen Plakaten in den U-Bahnhöfen der Hauptstadt zu lesen. Diese Aktion war allerdings auf scharfe Kritik von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) gestoßen. Die Folge war eine Absprache der Kultusministerkonferenz, die den einzelnen Bundesländern offensive Abwerbekampagnen untersagt. Demnach darf ein Bundesland in einem anderen Land „nur im Einverständnis mit dem jeweiligen anderen Land“ werben.

"Wir können uns teure Anzeigen sparen"

Brandenburg hatte noch im Februar angekündigt, Lehrer und Referendare aus Berlin offensiv ansprechen zu wollen. Das sei jetzt aber nicht mehr nötig, so Breiding. „In der Hauptstadt hat sich längst herumgesprochen, dass das Land Brandenburg Lehrer einstellen wird und diese verbeamtet werden. Da können wir uns teure Anzeigen sparen.“ Brandenburg will bis zum Ende der Legislaturperiode 1200 Lehrer einstellen. Zum kommenden Schuljahr sollen bereits mehr als 450 Pädagogen eine Anstellung bekommen, rund 300 davon im westlichen und nördlichen Speckgürtel von Berlin. Angesichts der zunehmenden Lehrerknappheit in Deutschland dürfte das nicht einfach werden.

Kollegen wie Thorsten Steil sind deshalb beim Berliner Nachbarn sehr willkommen. Gebraucht werden neben Grundschul- und Sonderpädagogen vor allem Oberstufenlehrer in den Fächern Kunst, Sport, Geografie, Mathematik, Latein und Fremdsprachen.

GEW fordert mehr Geld für Berlins Lehrer

Laut Breiding sollen 150 Referendaren an märkischen Schulen und 130 Lehrern, die bisher befristete Verträge hatten, Vollzeit-Beamtenstellen angeboten werden. Außerdem will Brandenburg sämtliche 1200 Bewerber, die im zurückliegenden Jahr eine Absage erhielten, sich aber noch in der Bewerberdatei des Landes befinden, anschreiben. „Im kommenden Schuljahr ist der Einstellungskorridor deshalb nicht besonders groß. Das ändert sich aber schnell“, so Breiding mit Verweis auf den Beschluss der rot-roten Landesregierung, insgesamt 1200 Lehrkräfte einstellen zu wollen.

Rosemarie Seggelke, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, kann Kollegen wie Thorsten Steil durchaus verstehen. „Es geht vor allem um die Bezahlung“, sagt sie. Berlin müsse seine angestellten Lehrer deshalb finanziell besserstellen. Eine Rückkehr zum Beamtentum sei aber keine Lösung. Die GEW schlägt vor, die Zulagen zu erhöhen. Ein anderer Vorschlag ist der, die Pflichtstundenzahl der angestellten Lehrer um zwei Stunden abzusenken. Wer dann doch mehr arbeiten will, bekommt mehr Geld. „Diese Vorschläge werden wir von der kommenden Woche an mit allen Parteien im Abgeordnetenhaus diskutieren“, sagt Seggelke. Ziel sei es, verbeamtete und angestellte Lehrer finanziell gleichzustellen.

Verband warnt vor Lehrer-Anwanderung

Eine deutliche Warnung an den Berliner Senat richtete kürzlich auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Er betonte, dass Berlin in Kürze Hunderte von hoch qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern verlieren werde, wenn es seinen Lehrkräften nicht mehr Sicherheit und bessere Bezahlungsbedingungen bietet. „Ohne Rückkehr zur früheren Verbeamtungspraxis wird Berlin im Länderwettrennen um die besten Lehrkräfte abgehängt werden. Berlin muss jetzt handeln, morgen kann es schon zu spät sein“, sagte Meidinger. Der Verbandschef erinnerte daran, dass trotz der gewährten finanziellen Zulagen Berlins angestellte Lehrkräfte nach wie vor bis zu 500 Euro netto weniger verdienten als etwa ihre verbeamteten Kollegen in Brandenburg.

Bei der Bildungsverwaltung bleibt man indes gelassen. „Brandenburg verbeamtet seit Jahren, wir sehen das relativ entspannt“, sagt Jens Stiller, Sprecher von Bildungssenator Jürgen Zöllner. Bisher gebe es keinen Abwanderungstrend. Stiller verweist darauf, dass Berlin erst im vergangenen Jahr beschlossen hat, angestellte Lehrer besser zu bezahlen. „Neu eingestellte Lehrer bekommen seitdem 1200 Euro mehr.“

Initiative verlangt Verbeamtung

Für Torsten Ulrich, Sprecher der Initiative „Verbeamtung jetzt“, der inzwischen mehr als 450 angestellte Lehrer angehören, ist das keine Lösung. „Berlin kann nicht gegen die Linie der meisten anderen Bundesländer agieren“, sagt Ulrich. Die Verbeamtung der Lehrer sei alternativlos. „Das ist der einzige Weg, die Schulen so auszustatten, dass sie arbeitsfähig sind.“ Momentan sei die personelle Lage an den Bildungseinrichtungen der Hauptstadt katastrophal, so Ulrich. Es fehle an Lehrkräften. „Der Unterricht kann nicht so durchgeführt werden, wie wir das gerne machen würden.“ So würden etwa Teilungs- und Förderunterricht ausfallen, weil nicht genügend Lehrer vor Ort seien.

Den Vorschlag der GEW, die Pflichtstundenzahl der angestellten Lehrer abzusenken, weist Torsten Ulrich zurück. „Das würde bedeuten, dass Berlin 400 bis 500 zusätzliche Lehrer einstellen müsste. Wo sollen die herkommen?“, fragt er. Die Initiative „Verbeamtung jetzt“ fordert die Bildungsverwaltung stattdessen auf, ein Konzept für die Verbeamtung auszuarbeiten. „Nicht jeder muss verbeamtet werden. Auch die Probezeit könnte man ändern“, schlägt Torsten Ulrich als Möglichkeit vor.