Studie

Demographischer Wandel kommt in den Schulen an

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Thomas Vitzthum

Die Deutschen werden immer älter, und immer weniger Frauen bekommen Kinder - dieser Trend wird nun auch im Bildungssystem spürbar. Der Bericht "Bildung in Deutschland" zeigt, welche Probleme der demographische Wandel nach sich zieht.

Migrantenkinder ohne Bildungschancen, zu viele Ungelernte, immer noch zu wenig Hochschulabsolventen und eine nach wie vor extrem hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Der Weg in die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschworene "Bildungsrepublik Deutschland" ist noch weit.

Aus dem Donnerstag vorgestellten Bericht "Bildung in Deutschland" geht hervor, dass die alternde Gesellschaft und das gleichzeitige Sinken der Schülerzahlen das Bildungswesen vor große Herausforderungen stellen. Es sind die Auswirkungen dieses demografischen Wandels, den nun nicht mehr nur die bevölkerungsarmen Flächenstaaten im Osten wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern zu spüren bekommen.

Weniger Schüler - nicht in Berlin

"Nun schlägt die Demografie mit aller Brutalität auf die Schulen durch", sagte der Chef der Kultusministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Ludwig Spaenle (CSU), am Donnerstag. Und diese Entwicklung werden auch vor allem auch die bevölkerungsarmen Flächenstaaten im Osten wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern zu spüren bekommen.

Die Studie erscheint alle zwei Jahre, es ist die dritte ihrer Art. Die beauftragten Forschungsinstitute widmeten sie schwerpunktmäßig der demografischen Entwicklung. Die Wissenschaftler haben nur 15 Jahre in die Zukunft geblickt - und können dennoch zeigen, in welchem Ausmaß sich die Schulen neu organisieren müssen: An allgemeinbildenden Schulen wird die Zahl der Jungen und Mädchen von neun Millionen im Jahr 2008 auf 7,3 Millionen (2025) zurückgehen. Die Schülerzahl sinkt also um fast ein Fünftel deutschlandweit. Berlin bleibt "verschont".

Denn für die Stadtstaaten stellen die Forscher fest, dass die Schüler durch Zuzüge und natürliche Bevölkerungszuwachs sogar mehr werden. Für Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), der am Mittwoch angekündigt hatte, noch mindestens eine weitere Legislaturperiode für das Ressort verantwortlich zeichnen zu wollen, dürften das eher schlechte Nachrichten sein.

Berlin muss investieren

Denn das klamme Berlin wird noch mehr Geld als bisher in die Schulen, Kindergärten und frühkindlichen Bildungseinrichtungen investieren müssen. Die Zahl von 25.455 Lehrkräften, die im Schuljahr 2008/2009 an allgemeinbildenden Schulen arbeitete, dürfte kaum ausreichen. Dabei tut sich Berlin ohnehin schwer, seine jungen Lehrer zu halten.

Mit Geld für Bildungsinvestitionen aus anderen Ländern ist im Zuge eines Finanzausgleichs dabei nicht zu rechnen. "Wir müssen die Bildungsausgaben dringend mindestens auf dem Niveau von heute halten und eher mehr ausgeben", sagte Ludwig Spaenle gestern. Die Ressource menschlicher Geist müsse auch in Zukunft zur Verfügung stehen. Die Gelder, die durch den Rückgang der Schülerzahlen frei würden, müssten im System bleiben.

Diese Position bekräftigt die Bundesbildungsministerin: "Die durch den demografischen Wandel frei werdenden Gelder müssen dafür eingesetzt werden, gezielt in Qualität zu investieren", sagt Annette Schavan (CDU). Von 20 Milliarden Euro an frei werdendem Kapital in den kommenden 15 Jahren sprechen die Autoren des Bildungsberichts. Angesichts der Tatsache, dass die Länder gerade erfolglos um zusätzliches Geld zur Bildungsfinanzierung mit der Kanzlerin gestritten haben, dürfte kein Land bereit sein, auch nur ein Euro mit anderen Ländern zu teilen, am wenigsten mit den Stadtstaaten, die sich nicht über einen Mangel der Ressource "Mensch" beklagen werden können.

Immer mehr ohne Berufsabschluss

In diesem Zusammenhang steht Deutschland vor der Herausforderung, die Zahl der Menschen ohne Berufs- und Bildungsabschluss zu senken. Wenn Arbeitsmarktpolitiker nur wenige Zuhörer haben, erzählen sie bisweilen davon, dass sich die Arbeitslosigkeit in wenigen Jahren von selbst erledigt. Die Demografie würde es richten. Laut Bildungsbericht werden sich um 2023 die Zahl der benötigten Arbeitskräfte und die Zahl der Menschen, die arbeiten können, überschneiden.

Das Problem des Arbeitsmarkts der Zukunft wird allerdings sein, dass diese Ausgeglichenheit wenig bringt, da sich in 15 Jahren 1,3 Millionen Menschen auf dem Arbeitsmarkt befinden, die keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können. Es sind dies nicht wenige der Schüler von heute. Es mangelt 2025 in Deutschland also weder an Menschen noch an anspruchsvollen Arbeitsplätzen. Was fehlt, ist Bildung, die die Menschen befähigt, diese Arbeiten auch auszuführen. Während die Nachfrage nach Facharbeitern unvermindert hoch sein wird und etwa im Bereich Gesundheit weit über dem Wert von heute liegen dürfte, nimmt die Zahl der Jobs für Ungelernte weiter ab.

Doch selbst wenn jetzt alles getan würde, damit kein Jugendlicher in diese Statistik eingehen muss, bleibt das Problem ungelöst, wie man das Potenzial derjenigen schöpft, die bereits verloren gegangen sind. Ihrer sind viele und es werden sogar mehr. Mit 17 Prozent unter den 20- bis 30-Jährigen hat die Zahl der Ungelernten in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. In dem neuen Bund-Länder-Bericht wird diese Quote für das Jahr 2008 ausgewiesen. 2007 waren dies laut einem früheren Regierungsbericht noch 15,2 Prozent. Dies waren 1,5 Millionen junge Menschen.

Risiko Migrationshintergrund

Die Situation Berlins ist schizophren. In der Altersgruppe zwischen 25 und 65 Jahren hat die Stadt nach Hamburg den höchsten Anteil von Menschen mit Hochschulreife (41,6 Prozent). Gleichzeitig leben in Berlin nach Bremen die meisten Menschen ohne jeglichen Bildungsabschluss (5,4 Prozent). Das gleiche Bild bei den beruflichen Abschlüssen: 21,1 Prozent der Berliner über 25 haben keinen Berufsabschluss. Nur Bremen ist Heimat von noch mehr Ungelernten (26,1 Prozent). "Bildungspolitik darf sich nicht mehr nur um die ganz jungen Menschen kümmern, sie muss sich verstärkt den Erwachsenen zuwenden", fordert deshalb Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, das an der Bildungsstudie beteiligt war.

Besonders dramatisch ist die Situation für 20- bis 30-Jährige mit Migrationshintergrund, von denen über 30 Prozent ohne Berufsabschluss sind und nicht an anderen Bildungsmaßnahmen teilnehmen. Bei jungen Frauen türkischer Herkunft in dieser Altersgruppe sind es sogar 47,5 Prozent. Immerhin, die Zahl aller Schulabgänger ohne Abschluss sank von 8,5 Prozent (2004) auf 7,4 (2008). Dies waren aber noch rund 65.000 Schüler.

Bildungserfolg korreliert mit sozialer Herkunft

So bleibt trotz steigender Bildungsinvestitionen der vergangenen Jahre der Bildungserfolg in Deutschland weiterhin stark von sozialer Herkunft, Migrationshintergrund und Geschlecht abhängig. Nach Überzeugung der Experten muss der "zunehmenden Kluft" in den Bildungsverläufen "entschiedener begegnet werden". Denn insgesamt halte der Trend zu höheren Bildungsabschlüssen an.

Hier verzeichnet die Studie vor allem einen starken Anstieg der Hochschulabschlüsse bei Frauen. Insgesamt wird noch in 15 Jahren die Zahl der Hochschüler über dem Wert von heute liegen. Zugleich wächst aber fast jeder dritte Minderjährige "in sozialen, finanziellen und/oder kulturellen Risikolagen auf". Berlin gehört hier - wenig überraschend - zur Spitzengruppe.