Gegen das neue Losverfahren, das im Zuge der Schulreform eingeführt wird, gibt es Widerstand. So verhandelt die Neuköllner Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule mit der Senatsverwaltung, um eigene Kriterien bei der Auswahl der Kinder anwenden zu dürfen. Nach jetzigem Stand müsste sie 23 von 33 Schüler mit Gymnasialempfehlung ablehnen.
Gegen das vom Senat im Rahmen der Schulreform eingeführte Losverfahren formiert sich Widerstand. Nachdem sich bereits mehrere Schulleiter ablehnend geäußert hatten, wehrt sich nun die Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule in Neukölln konkret gegen das neue Zufallsprozedere. Demnach soll das Los entscheiden, wenn es an besonders nachgefragten Schulen mehr Bewerber als Plätze gibt – wie an der Neuköllner Schule.
Für die 80 Plätze in drei siebten Klassen hat sie 210 Anmeldungen. Der Direktor fürchtet, dass durch das Los keine gute Mischung von haupt-, real- und gymnasialschulempfohlenen Schülern zustande kommt. Das Losverfahren wurde deshalb am Montag zunächst nur unter Vorbehalt durchgeführt. Die Karsen-Schule will nun mit der Bildungsverwaltung verhandeln. Ziel sei es, eigene Kriterien anwenden zu dürfen und das Verfahren unter diesen veränderten Bedingungen wiederholen zu können.
Der Unmut über das von Kritikern als „Schülerlotto“ bezeichnete Verfahren wird im kommenden Schuljahr wohl noch deutlich zunehmen. Denn was heute schon an Gemeinschaftsschulen gilt, soll per Schulgesetz von da an für alle stark nachgefragten Einrichtungen in Berlin gelten. Heißt: 30 Prozent ihrer neuen Schüler müssen diese Schulen auslosen.
Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt sich jetzt an der Karsen-Schule: Von den 33 gymnasialschulempfohlenen Kindern, die sich dort beworben haben, würden per Los wahrscheinlich nur 10 Schüler einen Platz bekommen – dabei möchte die Schule gern alle 33 Kinder aufnehmen. Eine ausgewogene Schülerzusammensetzung sei nötig, damit besondere Kurse für leistungsstarke Schüler stattfinden können.
Die Fritz-Karsen-Schule beruft sich bei ihrem Widerstand auf eine Änderung im Schulgesetz. Demnach könne die Schulkonferenz entscheiden, welche Kriterien beim Losen gelten sollen. So könne zum Beispiel festgelegt werden, dass nur unter den Schülern gelost wird, die sich für spezielle Wahlpflichtkurse entschieden haben.
Jens Stiller, Sprecher der Bildungsverwaltung, versucht zu vermitteln: Das Losverfahren greife erst dann, wenn alle Bewerber Kriterien wie Schulprofil oder Wahlpflichtprogramm erfüllen. Doch das sieht man in Neukölln anders. „Wir brauchen Rechtssicherheit“, fordert Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD). Die Bildungsverwaltung habe ihm mitgeteilt, rechtssicher sei nur, wenn unter allen Bewerbern gelost wird.
Auch die Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule in Treptow-Köpenick hat die 95 vorhandenen Plätze unter 113 Schülern auslosen müssen, die sich für die neuen siebten Klassen beworben haben. „Dieses Verfahren muss geändert werden“, fordert Schulleiterin Angelika Jurczyk. Die Schule müsse für eine gute Zusammensetzung der Schülerschaft sorgen können.
Paul Schuknecht, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Schulleiter, schlägt nun vor, das Schulgesetz zu ändern. Für die Gemeinschaftsschulen solle gelten, was für die Gymnasien und integrierten Sekundarschulen von 2010/11 an gültig ist. „Auch die Gemeinschaftsschulen sollten sich 60 Prozent ihrer Schüler selbst auswählen dürfen, 10 Prozent für Härtefälle vergeben und nur 30 Prozent auslosen müssen“, sagt Paul Schuknecht.
Gabriele Anders-Neufang, Schulleiterin der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Pankow, hält das Losverfahren indes für gerechtfertigt. „Es gehört zum Verständnis der Gemeinschaftsschule, alle Schüler aufzunehmen“, sagt sie. Auch an ihrer Schule werde demnächst das Losverfahren greifen, so Anders-Neufang weiter. „Wir dürfen zum kommenden Schuljahr zwei fünfte Klassen aufmachen und haben schon jetzt mehr als 40 Anfragen dafür.“ Offiziell jedoch könnten Eltern ihre Kinder für diese fünften Klassen erst vom 22. bis 26. März anmelden. „Wir rechnen deshalb mit wesentlich mehr Bewerbungen als wir Plätze haben.“ Es werde gelost werden müssen, sagt Anders-Neufang.
Anmeldung für Sekundarschulen
Im Gegensatz zu den Gemeinschaftsschulen, an denen die Bewerbungsfrist bereits abgelaufen ist, hat am Montag das Anmeldeverfahren für die neuen Sekundarschulen begonnen. Sie werden zum Schuljahr 2010/11 die Haupt-, Real- und Gesamtschulen ersetzen. Neu ist, dass an der Sekundarschule künftig alle Abschlüsse von der Berufsbildungsreife bis zum Abitur nach 13 Jahren möglich sein werden.
Zufrieden über den ersten Tag der Anmeldung äußerte man sich in der Emanuel-Lasker-Oberschule in Friedrichshain, die von der Realschule zur Sekundarschule umgewandelt wird. Im Halbstundentakt seien die Eltern mit den Anträgen gekommen, sagte eine Mitarbeiterin. Bis zum Nachmittag hätten etwa zehn Anmeldungen vorgelegen. Die Mehrheit der Schüler käme mit einer Realschulempfehlung. Auch an der Isaac-Newton-Oberschule in Oberschöneweide und an der Willy-Brandt-Oberschule in Mitte – beide künftig Sekundarschulen – gingen zwischen zehn und zwölf Anmeldungen am ersten Tag ein. Während sich an der Schule in Mitte überwiegend Schüler mit einer Hauptschulempfehlung anmeldeten, verzeichnete die Köpenicker Schule mehr Realschüler.
Dass das Verhältnis von Schülern mit Realschulempfehlung und Hauptschulempfehlung in den neuen Klassen möglichst ausgewogen ist, hofft Marlis Meinicke-Dietrich, Schulleiterin der Röntgen-Schule in Neukölln. Ihre Realschule fusioniert mit der Kurt-Löwenstein-Hauptschule zu einer Sekundarschule. „Wenn wir 40 Prozent Realschüler und 60 Prozent Hauptschüler bekommen, fährt der Karren an die Wand“, sagt sie. Dann sei die Idee der Sekundarschule – die einen fördern, die andern fordern – nur schwer umsetzbar.