Viereinhalb Jahre Haft sowie vier Jahre Berufsverbot - so lautet das Urteil gegen den Berliner Arzt Dr. S. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Chirurg letztlich für den Tod einer 49 Jahre alten Patientin verantwortlich ist.
Knapp vier Jahre nach dem Tod einer damals 49-jährigen Frau infolge einer Schönheitsoperation hat das Landgericht Moabit am Montag einen vorläufigen Schlusspunkt unter das tragische Geschehen gesetzt. Eine Schwurgerichtskammer verurteilte den Berliner Arzt Reinhard S. wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Darüber hinaus verhängten die Richter gegen den 60-jährigen Mediziner ein vierjähriges Berufsverbot.
Mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil endete in erster Instanz ein Verfahren, dass sich über mehr als zwei Jahre hingezogen hatte, wiederholt unterbrochen werden musste und mehrfach mit überraschenden Wendungen für Aufsehen sorgte. Am Ende folgte die Schwurgerichtskammer den Aussagen mehrerer Sachverständiger, die von einer „kunstfehlerhaften Operation“ gesprochen und das Vorgehen des Arztes als fahrlässig, verantwortungs- und rücksichtslos bezeichnet hatten.
Der ebenso tragische wie spektakuläre Fall nahm seinen Ausgang am 30. März 2006 in der Praxis von Reinhard S. Dort wollte sich Anja S. einer Schönheitsoperation unterziehen, einer Bauchstraffung durch Fettabsaugen für 1800 Euro. Die 49-Jährige hatte vollstes Vertrauen zu Reinhard S., erst kurz zuvor hatte ihre erwachsene Tochter bei ihm eine Brustvergrößerung vornehmen lassen. Die Operation begann um 9 Uhr, anfangs lief alles planmäßig, doch gegen 12.30 Uhr schlug das Überwachungsgerät Alarm: Kollaps, Herzstillstand.
Dem Chirurgen gelang es zunächst, die Patientin zu reanimieren. Doch dann beging er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft einen schweren Fehler: Anstatt sofort die Überführung der komatösen Patientin auf die Intensivstation einer Klinik zu veranlassen, ließ er die Frau erst gegen 19.15 Uhr in das St. Gertrauden-Krankenhaus in Wilmersdorf bringen. Nicht durch einen Notarzt oder Rettungsdienst, sondern mit einem normalen Krankentransport. Dort starb Anja S. zwölf Tage später, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben.
Dass er Anja S. erst mit sieben Stunden Verspätung in ein Krankenhaus einliefern ließ, begründete der Angeklagte im Prozess damit, dass seine Patientin nach dem Kollaps nicht transportfähig gewesen sei. Zudem habe sich ihr Zustand stetig gebessert, so dass eine Verlegung nicht nötig gewesen sei. Bis zuletzt bestritt Reinhard S. jegliches Fehlverhalten. Das sah die Staatsanwaltschaft vom ersten Prozesstag an anders. Sie warf dem Angeklagten vor, er habe durch sein Verhalten den Tod der Patientin billigend in Kauf genommen und somit bedingt vorsätzlich gehandelt. Der ursprüngliche Anklagepunkt der Körperverletzung mit Todesfolge wurde schließlich auf ein vorsätzliches Tötungsdelikt ausgeweitet. Dafür forderte der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Schlussplädoyer achteinhalb Jahre Haft und ein lebenslanges Berufsverbot für Reinhard S.
Der Staatsanwalt stützte sich dabei nicht nur auf die Gutachten der Sachverständigen, die das Verhalten des Angeklagten scharf kritisierten, sondern auch auf die Aussage des Leiters der Intensivstation im St. Gertrauden-Krankenhaus. Man habe überhaupt nicht gewusst, was mit der eingelieferten Patientin los gewesen sei, erklärte der Klinikarzt in der Verhandlung. Reinhard S. habe weder den Herzstillstand noch die Reanimation erwähnt und unvollständige Papiere übergeben. „Das komplette Narkoseprotokoll hätten wir gerne gehabt, ein anständiger Operateur bringt die Unterlagen zur Not auch mitten in der Nacht“, erklärte der Intensivmediziner den Richtern.
Den in dieser Aussage steckenden massiven Vorwurf konterte der Angeklagte seinerseits mit schweren Anschuldigungen gegen die Ärzte des St. Gertrauden-Krankhauses, die er wiederholt als die wahren Schuldigen für den Tod seiner Patientin bezeichnete.
Unterstützung bekam Reinhard S. bei diesem Vorgehen von seinem Verteidiger. Der benötigte für sein Schlussplädoyer zwei Verhandlungstage und bemühte sich, detaillierte Belege für eine Schuld der Krankenhausärzte beizubringen. Das Gericht konnte er damit nur mäßig beeindrucken. „Auch etwaige Fehler Dritter entlassen einen Arzt nicht aus seiner Verantwortung für seine Patienten“, stellte der Vorsitzende Richter gestern klar.
Der Ehemann der verstorbenen Anja S. hat den ganzen Prozess als Nebenkläger verfolgt. Er hat mehr als einmal sichtlich den Tränen nahe zugehört, wenn die Ereignisse während der letzten Stunden und Tage im Leben seiner Frau detailliert erörtert wurden. Er hat erlebt, wie Angeklagter, Zeugen und medizinische Sachverständige im Gerichtssaal mehrfach einen heftigen Schlagabtausch über Schuld und Verantwortung lieferten.
Und der Wittwer hat fassungslos den Versuch verfolgt, seiner verstorbenen Frau selbst eine Mitschuld zu unterstellen. Anja S. müsse vor der Operation Alkohol getrunken haben, nur so lasse sich erklären, dass sie während der Reanimation erbrochen habe, gab Reinhard S. zu Protokoll. Auch dazu fand der Vorsitzende Richter deutliche Worte: „Die Patientin hat ihre Praxis als gesunde Frau betreten und als Todgeweihte wieder verlassen“, sagte er an die Adresse des Angeklagten.