Die Stimmen werden immer lauter. Je näher die Kindergruppe kommt, desto besser sind die Worte zu verstehen. „The driver on the bus says tickets please“ singen die Vierjährigen auf ihrer Rückkehr vom Ausflug. Sie grüßen mit „Hello“, verschwinden im Haus und sagen winkend „Bye“. Die Kleinen heißen Gerda, Greta, Carlotta, Jonah und Nikolai. Sie kommen aus Familien, in denen die Partner deutsch reden, aus Familien verschiedener Nationalitäten und aus Botschafter- und Diplomatenkreisen.
Mit Englisch und Deutsch wachsen sie in der Kita des freien Jugendhilfeträgers „Lara Berlin“ an der Schulstraße auf, und die Zweisprachigkeit soll auch nach der Kita-Zeit erhalten bleiben. Dafür sorgen fünf junge Frauen, die eine neue bilinguale Schule gegründet haben.
Zum Schuljahr 2010/11 geht die Platanus-Schule im historischen Pankower Postgebäude an der Berliner Straße mit einer ersten Klasse in der Grundschule und zwei siebenten Klassen im Gymnasium an den Start. Angeschlossen sind ein neuer Kindergarten mit drei Gruppen und die Vorschule. Die Anmeldefrist hat begonnen .
Unterricht in deutscher und englischer Sprache, mathematisch-naturwissenschaftlicher Schwerpunkt, Betreuung von 6 bis 18 Uhr – so lässt sich das Konzept in knappen Worten beschreiben. Das sind auch die Gründe, warum Margarita Bernal ihre Tochter an der Schule anmelden will. „Ich finde es gut, wenn meine Tochter zwei Sprachen von der Pike auf lernt“, sagt die 37-jährige Erziehungswissenschaftlerin. Nicht zuletzt habe sie die Ganztagsbetreuung überzeugt. Dass als zweite Fremdsprache Spanisch unterrichtet wird, ist für die in Hamburg geborene Spanierin ein ganz besonderer Pluspunkt.
Eine Ingenieurin kämpft für die Naturwissenschaften
Auch für Anja Leber steht schon fest, dass sie ihren Sohn an der Privatschule anmelden wird. Der zweijährige Nikolai besucht derzeit die bilinguale Kita. „Die zweisprachige Ausbildung soll er an der Schule fortzusetzen“, sagt die 33-Jährige. Sie sei mit 17 Jahren für ein Jahr an einer Highschool in den USA gewesen und habe ihre guten Sprachkenntnisse immer als Vorteil empfunden, sagt die kaufmännische Angestellte. Diesen Vorteil wolle sie Nikolai mit auf den Weg geben. Dafür nehmen die jungen Frauen auch ein Schulgeld in Kauf, das nach dem Einkommen berechnet wird und bei 100 Euro anfängt.
Die fünf Gesellschafterinnen der neuen Platanus-Schule kommen aus verschiedenen Berufen. So hat Karen Krüger zum Beispiel Ingenieurpsychologie an der Humboldt-Universität studiert und jahrelang in der Entwicklungsabteilung der Daimler AG gearbeitet. Sie bringt das Faible für die Naturwissenschaften ein und kämpft gegen das Image, Mathe und Technik seien etwas für Jungen, während die Sprachen den Mädchen leichter fielen.
Eine andere ist Sylke Mouroum, sie gründete 1990 eine Sprachschule und entwickelte eine eigene Methode, wie Kindern am besten eine Fremdsprache vermittelt werden könnte. Ihr Sprachkonzept wird jetzt auch an der Platanus-Schule umgesetzt: Die Kinder werden in der1. und 2. Klasse teils auf Englisch, teils auf Deutsch unterrichtet, damit sie in der Lage sind, in der 3. und 4. Klasse dem Unterricht komplett auf Englisch zu folgen. Von der 5. Klasse bis zum Abitur erfolgt der Unterricht wieder in beiden Sprachen. „Die Kinder sollen beide Sprachen als Bildungssprache beherrschen“, sagt Karen Krüger. Wichtig sei, dass die Kinder täglich in die Sprache eintauchten und viel Input durch die Muttersprachler bekämen. Durch das tägliche „Sprachbad“ seien sie schnell in der Lage, die fremde Sprache zu verstehen. Meist sprechen sie dann auch akzentfrei wie ihre Lehrer.
Auf zwei Kitas folgte die Schule
Den Grundstein für die neue Schule hat der freie Jugendhilfeträger Lara gelegt. Seit zehn Jahren ist Kristin Wendorf dort beschäftigt. Sie kümmerte sich um Kinder von überforderten Eltern, von alleinerziehenden Frauen und sehr jungen Müttern. Meist waren die Kinder in ihrer Entwicklung zurück, verhaltensauffällig oder hyperaktiv. Die Erziehungswissenschaftlerin versuchte mit ihren Kolleginnen aufzuholen, was möglich war. Sie kam von dem Gedanken nicht los, dass die Unterstützung früher anfangen müsste. Daraufhin gründeten sie 2003 die erste Kita in der Hermann-Hesse-Straße. Eine zweite folgte 2009 in der Schulstraße – eine bilinguale Einrichtung, in der Deutsch und Englisch gesprochen wird. Die Idee einer Schule wurde konkret, als Eltern immer wieder nachfragten, wo sie ihre Kinder nach der zweisprachigen Kita-Zeit anmelden sollten – eine Frage, die auf den ersten Blick erstaunt angesichts der Schullandschaft rings um den S- und den U-Bahnhof Pankow. Gleich zwei private Grundschulen haben sich bereits angesiedelt, eine Montessori-Schule und die Grundschule im Jüdischen Waisenhaus. Direkt neben der alten Post ist eine öffentliche Grundschule. Dennoch sehen die jungen Frauen den Bedarf. Pankow sei attraktiv für Familien, sagen sie. Viele bevorzugten die ruhige Wohngegend. Nicht zuletzt sind zahlreiche Neubauvorhaben im Viertel Garant für einen stetigen Zuzug.
Die alte Post wurde zum Schulgebäude
Von den anderen Schulen unterscheidet sich die Platanus-Schule durch ihr Profil. Die Platane als Namenspatin steht als Symbol für Leben im Einklang mit der Natur. Naturwissenschaftliche Fragen und Experimente sollen in allen Fächern Eingang finden, genau wie die englische Sprache. „Wir haben weder einen reformpädagogischen Ansatz noch einen musisch-ästhetischen“, stellt Karen Krüger klar. Daher sei die Platanus-Schule eine Ergänzung der Schullandschaft.
Schon lange waren die jungen Frauen auf der Suche nach einem geeigneten Schulgebäude. Als die Post Teile des 1923 errichteten Baus aufgab, kamen sie zum Zug. Die Umbauarbeiten haben begonnen. Wände müssen neu eingezogen, Böden verlegt und Aula und Turnhalle unter dem Dach eingebaut werden. Noch heute sind die Löcher für die Kabelstränge im alten Wählersaal zu erkennen, dort, wo das Fräulein vom Amt die Verbindung zusammenstöpselte.
Schwere Eisenträger zeugen von einer ganz anderen Ära: Sie könnten die Stützen für schwere Abhöranlagen der Stasi gewesen sein. In Schränken fanden die Schulgründerinnen Orden der „Helden der Arbeit“ und alte Brausegläser und Zeitungen aus DDR-Tagen. Karen Krüger und Kristin Wendorf fühlten sich in ihre eigene Jugend zurückversetzt: Sie sind in Treptow geboren. In Pankow fanden sie das Leben, das sie suchten. Es ist eine spannende Zeit. Mitten im Gespräch blickt Karen Krüger auf das Display ihres Blackberrys, und ihr Gesicht hellt sich auf. Sie zeigt es Kristin Wendorf. „Wieder eine Anmeldung“, verraten sie.