Vor fünf Jahren wurde in Berlin die Deutsch-Türkin Hatun Sürücü auf offener Straße erschossen. Der Täter: ihr jüngerer Bruder. Er hatte sich am westlichen Lebensstil seiner Schwester gestört. Die junge Frau hatte sich geweigert, zu ihrem Ehemann in die Türkei zurückzukehren. Am Sonntag gedenken Freunde, Angehörige und Politiker der Tat, die bundesweit eine heftige Debatte ausgelöst hatte.
Mit einer Kranzniederlegung am Tatort in Tempelhof wird am Sonntag der vor fünf Jahren ermordeten Deutsch-Türkin Hatun Sürücü gedacht.
Die nach einer Zwangsehe geschiedene Mutter eines damals fünf Jahre alten Sohns war am 7. Februar 2005 von ihrem jüngeren Bruder in der Nähe einer Bushaltestelle mit mehreren Schüssen niedergestreckt worden. Die 23-Jährige hatte sich geweigert, zu ihrem Ehemann in die Türkei zurückzukehren und stattdessen eine Lehre als Elektrotechnikerin begonnen. Der zum Tatzeitpunkt 18-jährige Bruder hatte nach eigenen Angaben den westlichen Lebensstil seiner Schwester als Kränkung der Familienehre empfunden. Der Fall löste eine deutschlandweite Debatte über Zwangsehen aus.
Für das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg wird Bezirksbürgermeister Ekkehard Band (SPD) einen Kranz am Gedenkstein in der Oberlandstraße niederlegen, wie das Bezirksamt mitteilte. Staatssekretärin Almuth Nehring-Venus vertritt bei der Zeremonie den Berliner Senat.
Nach Angaben von Frauensenator Harald Wolf (Linke) ist es ein zentrales Anliegen des Senats, dass alle Mädchen und Frauen unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer religiösen Überzeugung die Möglichkeit haben, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen und frei von Gewalt zu gestalten. Mord und jegliche Form von Gewalt im Namen der Ehre sind «in keinem Fall hinnehmbar».
Integrationssenatorin Carola Bluhm (Linke) fügte hinzu, Beratungsstellen und Zufluchtseinrichtungen leisteten einen wichtigen Beitrag, damit betroffene Mädchen und Frauen einer «gewaltgeprägten Situation» entfliehen könnten. Gemeinsam mit den Gemeinden führe der Senat zudem einen kontinuierlichen Diskurs mit dem Ziel, Gewalt gegen Mädchen und Frauen in jeglicher Form zu ächten.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anja Kofbinger, und die Sprecherin für Integrations-, Migrations- und Flüchtlingspolitik, Canan Bayram, forderten ein präventives Vorgehen gegen Ehrenmorde. Hier fehlten immer noch die versprochenen Beratungs- und Aufklärungsangebote in Schulen und Jugendfreizeitstätten.
Nach Einschätzung der Berliner Grünen-Landesvorsitzende Irmgard Franke-Dressler ist ein falsch verstandener Ehrbegriff unter muslimischen Familien immer noch verbreitet. Weiterhin würden junge Frauen von ihren Familien verstoßen, bedrängt, unter Druck gesetzt und bedroht, wenn sie einen eigenen Lebensstil für sich wählten.
Für den Mord an seiner Schwester wurde der Heranwachsende zu einer Gefängnisstrafe von mehr als neun Jahren verurteilt. Seine mitangeklagten älteren Brüder erhielten Freisprüche, das Urteil wurde Ende August 2007 vom Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig aufgehoben. Der Prozess wurde bislang jedoch nicht wieder aufgerollt, da beide Männer inzwischen in der Türkei leben. Das Land liefert seine Bürger nicht aus.
Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Peter Zuriel, sieht wenig Chancen für eine neue Verhandlung. Nach derzeitiger Rechtlage werde es keinen Prozess geben, sagte er, es sei denn, die Männer verließen die Türkei.
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