Ein Jahr hat Berlin über seine Schulen gestritten, nun steht fest: Die Hauptstadt fasst im Sommer ihre Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu sogenannten Sekundarschulen zusammen. Sie bilden dann die einzige weiterführende Schulform neben den Gymnasien. Das Abgeordnetenhaus beschloss die Reform am Donnerstag mit den Stimmen von SPD und Linken.
Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) versprach den Schülern mehr Chancengleichheit, den Schulen mehr Eigenverantwortung. „Dies ist das Ende der Zwangsbeglückung von Schulen, es ist das Entlassen in Verantwortung und Freiheit.“ Der Linken-Bildungspolitiker Steffen Zillich sagte: „Das Stigma ‚Du bist Hauptschüler’ wird es nicht mehr geben.“ Gegen die Reform stimmten CDU und FDP, die Grünen enthielten sich.
Die Lehrergewerkschaft GEW, der Landesschülerausschuss und die Wirtschaft begrüßten die Entscheidung für ein zweigliedriges Schulsystem. Die Union warf dem Senat dagegen vor, unterschiedliche Schüler ideenlos nebeneinander zu setzen. „Ihnen ist es lieber: Alle sind etwas schlechter, aber dafür gleich“, sagte ihr Bildungspolitiker Sascha Steuer. Gymnasien würden benachteiligt.
Die Koalition verwies auf das schwarz-grün regierte Hamburg, das ebenfalls auf ein zweigliedriges Schulsystem umstellen will. Ähnlich wie dort geplant können Berliner Schüler künftig in beiden Schulformen das Abitur erreichen – auf dem Gymnasium nach 12 Jahren, in der Sekundarschule überwiegend nach 13 Jahren. Berlin reagiert auch darauf, dass nur noch sieben Prozent der Schüler zur Hauptschule gehen – mit wenig Erfolg und schlechten Perspektiven.
Der Umbau des Schulsystems hatte im vergangenen Jahr auch innerhalb der Regierungsfraktionen für erregte Debatten gesorgt, mehrfach musste Senator Zöllner Korrekturen vornehmen. Teile der Reform sind weiterhin umstritten: So entscheidet künftig über bis zu 30 Prozent der Plätze an begehrten Gymnasien und Sekundarschulen das Los. Das soll die von der Linken geforderten soziale Durchmischung der Gymnasien gewährleisten. Im Bundestagswahlkampf hatte selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Losverfahren kritisiert.
Die Berliner Bezirke fassen nun vom nächsten Schuljahr an ihre Haupt-, Real- und Gesamtschulen in 105 Sekundarschulen zusammen. Auch mit Geld aus den Konjunkturpaketen bauen sie dafür derzeit Mensen und Klassenräume. Zum Teil sind Fusionen von Standorten geplant, mindestens 20 Schulgebäude werden aufgegeben. Für Schülervertreter ist die Reform „ein Schritt in die richtige Richtung“. „Es kann nicht sein, dass die Schüler wie bisher in drei Schubladen gesteckt werden“, sagte Landesschülerausschuss-Vorstand Enis Wilmesmeier.
Er erwartet allerdings einen noch stärkeren Ansturm auf die Gymnasien. „Eltern werden – zum Teil fälschlicherweise – denken: Dort wird unser Kind besser gefördert und nicht von anderen heruntergezogen.“ Die GEW forderte, nun die verunsicherten Eltern von den Vorteilen der Sekundarschule zu überzeugen. Noch stellt die Reform die Eltern nach Worten der Pädagogin Swantje Goldbach vor Rätsel. Viele seien beunruhigt, teilte die Gründerin der Lernwerk-Nachhilfeschulen mit.
Die Wirtschaft setzt vor allem auf das Duale Lernen an den Sekundarschulen. Dabei sollen sich Schüler in Betrieben, Werkstätten oder Schülerfirmen auf das Berufsleben vorbereiten. „Dies könnte ein wegweisendes Modell für die ganze Republik werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Jürgen Wittke.