Berliner Jugendliche

Wie die Polizei Problemschüler zur Raison bringt

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Michael Behrendt

Foto: Steffen Pletl

Sport, gesunde Ernährung und Anti-Gewalt-Training: Polizisten kümmern sich um die Jugendliche einer Lichtenberger Schule. Mit deutlichem Erfolg. Die Jungen und Mädchen finden plötzlich eine Perspektive für ihr Leben.

Daniel stemmt sich über die Turnbank. Immer wieder. Er schwitzt, das Training zehrt an seinen Kräften. Eigentlich möchte er aufgeben. Aber er tut es nicht. Daniel lächelt. Gequält, aber er lächelt. Außenstehende werden nicht auf Anhieb sehen, um welche Art Erfolg es sich bei der sportlichen Betätigung des 15-Jährigen aus Afrika handelt. Polizeihauptmeister Christian Schulze schon, denn er hat diesen ermöglicht.

Durch Respekt, Strenge, Freundschaft und Ehrlichkeit haben der Hüne mit dem Spitznamen „Schulle“ und seine Kollegen der „Operativen Gruppe Jugendgewalt“ der Polizeidirektion 6, kurz OGJ, erste Schritte gemacht, zwei 7. Klassen einer Lichtenberger Schule wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Wo früher kaum ordentlicher Unterricht möglich war, wo Mädchen anzüglich beschimpft wurden und bei Kleinigkeiten die Fäuste flogen, wo richtige Ernährung ein Fremdwort war und sich Jungs wie Daniel nicht in den Sportunterricht trauten, herrscht heute ein fast freundlicher Umgangston.

Es gibt weniger Gewalt. Dafür gibt es gegenseitiges Vertrauen. Die schulischen Leistungen sind besser geworden, die Lehrer danken es den Beamten. Mit einfachen Mitteln haben die zehn Polizisten mit ihrem Gewaltpräventionsprojekt geschafft, was viele andere für unmöglich halten – schwierigen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive zu geben.

„Mitte des Jahres 2007 hatte die Hauptschule am Rathaus in Lichtenberg massive Probleme“, sagt Sven Krause, stellvertretender Chef der OGJ der Direktion 6. „Der Unterricht wurde von den Schülern durch mieses Sozialverhalten immer wieder gestört, Lernen war nicht möglich, die Lehrer waren mit ihrem Latein am Ende.“

„Scheißbulle war noch harmlos“

Regelmäßig mussten die Mitarbeiter der Dienststelle zu dem Schulgebäude fahren, um Anzeigen aufzunehmen und sich mit trotzigen Jugendlichen auseinandersetzen. Sie stammen aus allen Teilen der Welt, aus Arabien, der Türkei, Afrika und Russland. „Scheißbulle war noch ein harmloses Wort“, sagt einer von Krauses Kollegen. „Es war für die Kids normal, eine Mitschülerin vulgär zu beleidigen oder ihr an den Busen zu grabschen. Schlägereien vor der Disco gehörten ihrer Meinung nach zu den üblichen Umgangsformen.“

Als sich Vorfälle und Anzeigen häuften, entschlossen sich die Beamten zu einem etwas anderen Versuch: Eine Vernetzung verschiedener Einrichtungen zu schaffen, um gemeinsam mit Lehrern, Psychologen und Mitarbeitern des Bezirksamts den Jugendlichen zu zeigen, dass es auch andere Arten eines Lebens geben kann. Dass Lernen ebenso Spaß machen kann wie Sport und echte Freundschaft. Das Motto war schnell gefunden: „Gemeinsam Leistung zeigen!“

Sven Krause und seine Leute wussten, dass der Weg schwer sein würde. „Viele der Kids haben Eltern, die unter Alkoholsucht leiden und gewalttätig waren. Andere wurden gar nicht beachtet und schlicht vernachlässigt. Um Schularbeiten wurde sich so gut wie nie gekümmert.“ Mit Vorträgen wurden erste Schritte gemacht und zarte Erfolge erzielt. „Es wurde vermittelt, warum es überhaupt ein Schulsystem gibt und was die Schule einem mitgeben kann“, erzählt Sven Krause. „Wir haben den Jugendlichen bei rechtlichen Lesungen klar gemacht, dass das Abziehen eines Handys juristisch nicht mit einem Ladendiebstahl vergleichbar ist, sondern eine Raubtat darstellt, die mit Gefängnis geahndet werden kann.“ Besuche beim Amtsgericht zu Prozessen gegen Gleichaltrige wegen vergleichbarer Taten folgten. Die Truppe wurde ruhiger und nachdenklicher. Zudem kamen die Polizisten der OGJ für mindestens zwei Stunden die Woche in die Schule und nahmen am Unterricht teil. Der Schuldirektor veränderte den Stundenplan so, dass es passte. Eine Wohnungsbaugesellschaft und ein Club spendeten Bargeld für das Projekt, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stiftete Trainingsanzüge für die Polizisten.

Für zusätzlichen Ansporn sorgte eine in Aussicht gestellte Klassenfahrt. „Den Problemschülern wurde eine Kanu-Fahrt auf dem Müggelsee versprochen, wenn sich die schulischen Leistungen spürbar verbessern würden“, sagt Sven Krause. „Zwar wurden aus Mathe-Sechsern von heute auf morgen keine Paradeschüler, aber das Bemühen im Unterricht ist seitdem deutlich zu spüren.“ Lehrer Raik Weinert bestätigt diese Entwicklung. „Die Verbesserung in allen Bereichen des täglichen Umgangs ist ganz klar zu erkennen. Es kann wieder Unterricht in diesen beiden 7. Klassen gegeben werden.“

Um das Sozialgefüge in der Gruppe der Jugendlichen untereinander zu steigern, wurden spezielle Sportstunden eingeführt. Die Schüler nehmen jenseits des offiziellen Unterrichts wahr – wieder ein kleiner Erfolg. Schon deshalb, weil sich einige der Mädchen vor Monaten noch nicht in den Sportunterricht getraut haben. Eine Stunde lang wird geschwitzt, werden Liegestütze gepumpt und Runden um die Halle gedreht. Mit verschlossenen Augen und Hand in Hand müssen Parcours überwunden werden – das Vertrauen zum Schulkameraden, zum Freund, soll gestärkt werden. „Wir brauchen ein Gemeinschaftsgefühl“, sagt Sven Krause. „Die Schüler sollen sich leiden können und gegenseitig helfen. Das tun sie jetzt.“ Das Wappen ihres Projekts – „Gemeinsam Leistung zeigen“ – wurde nicht von den Beamten vorgegeben, die Jugendlichen haben es zusammen mit den Polizisten entworfen. Viele tragen es jetzt als T-Shirt beim Sport.

Vollkorn statt Cola und Kippe

Anschließend wird gemeinsam gefrühstückt, Gesundes kommt auf den Tisch. „Die meisten unserer Kandidaten kamen mit Cola und Zigarette zur Schule. Vollkornbrötchen und Quark standen vorher nicht auf dem Programm. Einige kannten nicht einmal die Unterschiede zwischen den einzelnen Zitrusfrüchten“, sagt Schulle. Nach der Mahlzeit treibt er sie wieder an, Dauerlauf ist laut Plan vorgesehen. „Kommt Mädels“, ruft er laut und grinst, als sich zwei Jungen mokieren, sie seien doch keine Mädchen.

Im Verbund laufen die Jugendlichen unterschiedlichster Herkunft mit den Polizisten durch die Parkanlagen des Freizeit- und Erholungsheimes an der Wuhlheide. Einige sind schneller und laufen voraus. Einer ist an diesem Tag etwas langsamer als die anderen. Es ist Daniel, der sich durch den Schnee quält. Aber er ist nicht allein, Schulle läuft neben ihm her. Sein Kumpel von der Polizei, der es geschafft hat, dass der Junge ein Ziel hat. Irgendwann einmal will Daniel professionell American Football spielen.