Zwölf Stunden

Im Berliner Mauerpark ist immer Party angesagt

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Raimon Klein

Foto: Reto Klar (7) / Reto Klar

Karaoke singen, picknicken, grillen und Basketball im Sonnenschein spielen: Nur wenige Orte Berlins stehen so für das neue Lebensgefühl der Stadt wie der Mauerpark in Prenzlauer Berg.

7.55 Uhr: Außer ein paar Joggern ist der Mauerpark noch recht verlassen. Auf dem Areal des Flohmarkts geht es jedoch schon geschäftig zu: Viele Stände sind zum offiziellen Start um acht Uhr bereits aufgebaut. Viele Händler räumen ihre Kisten aus und positionieren ihre Waren. Constantin Teichmann drapiert Hüte, Portemonnaies, Laptoptaschen und Schlüsselanhänger. „Die Produkte sind alle aus recyceltem Material wie etwa Gummischläuchen, Tetrapaks oder Kaffee- und Zementsäcken“, sagt Teichmann. Da er heute zum ersten Mal hier ausstelle, sei er gespannt, wie sein Angebot bei den Marktbesuchern ankomme.

8.45 Uhr: Katharina und Claudia warten schon seit über einer Stunde auf die ersten Kunden. Auf ihrem Stand liegen Secondhand-Kleidung, alte Bücher und CDs sowie allerlei Krimskrams. Das klassische Flohmarkt-Sortiment eben. Ein kleiner Plastikspiegel wechselt für drei Euro den Besitzer. „Früh morgens kommen erst einmal die anderen Händler vorbei und schauen, ob sie von uns möglichst billige Sachen kaufen können, um sie später an ihrem eigenen Stand teurer weiterzuverkaufen“, sagt Katharina.

10.20 Uhr: Während der Park immer noch verwaist ist, füllt sich der Flohmarkt langsam. Ein winziger Stand sticht ins Auge, an dem Anna gerade eine Wollpuppe näht. „Meine Produkte sind so klein, dass ich damit einen normalen Tisch gar nicht richtig ausfüllen könnte“, sagt Anna. Sie habe ihren Stand daher einfach selbst gezimmert, da ihre Produkte so harmonischer aussähen. Die zierlichen Feen, Mobiles und Spielpüppchen stellt sie aus Biowolle her. „Sie sollen Zärtlichkeit und Magie vermitteln.“

11.05 Uhr: Die Sonne zeigt sich endlich von ihrer freundlichen Seite, und schon liegen die ersten Menschen auf den Wiesen. Die übliche musikalische Untermalung lässt auch nicht lange auf sich warten. Als eine der ersten Musikbands spielt Rupert’s Kitchen Orchestra vor einer immer größer werdenden Menge in der Mitte des Parks. Ihr Sound aus Funk, Disco und Soul kommt bei den Parkbesuchern gut an, es wird mitgewippt und geklatscht. Ein älterer Mann mit langen grauen Haaren tanzt in wilden Verrenkungen. „Früher habe ich in Discos getanzt, heute mache ich das im Mauerpark“, sagt John aus Weißensee, der vor allem wegen der vielen Bands da ist.

13.30 Uhr: Zur Mittagszeit kommen zehn Freunde im Park an, um dort Burger zu grillen. Die jungen Menschen aus Pankow, Moabit und Prenzlauer Berg treffen sich zweimal im Jahr im Mauerpark, um den Nachmittag gemeinsam zu verbringen. Wer nicht Selbstversorger ist, dem bietet der Flohmarkt vor allem Fast Food an: Bratwurst und Pommes im Café „Mauersegler“, Holzofenbrot, Schweinsbraten und Waffeln im Café „Schönwetter“ oder Köfte, Börek und Gözleme an den türkischen Ständen. Alles sehr fleischlastig, alles sehr fettig. Für Vegetarier und Veganer gibt es wenig Auswahl. Ein Essenswagen hat zumindest von einer Hälfte seiner Fläche das Fleisch verbannt und verkauft gebratenes Gemüse mit Hummus und Salat im Fladenbrot.

14.15 Uhr: Abseits des Flohmarkts ist der Mauerpark vor allem eine Bühne für Künstler aller Art. Eine Gruppe von 14 Chinesen bietet eine etwas skurril anmutende Performance aus Tanz und Gesang dar, aus der man nicht ganz schlau wird. „Wir sind Studenten aus Hongkong, die zur Zeit auf Kunstreise in Europa sind und einfach unsere Kultur teilen wollen“, sagt Studentin Winky. Der Mauerpark biete einen künstlerischen Freiraum, den es in Hongkong so nicht gebe.

15 Uhr: Beim traditionellen Karaoke ist bereits zu Beginn jeder Platz im Amphitheater besetzt. Das Amateur-Singen startet furios: Den Text von Meat Loafs Rockballade „I’d do Anything for Love“ kann Dylan aus Neuseeland auswendig. Er legt eine bühnenreife Show hin. Dafür gibt es viel Applaus. Beim nächsten Kandidaten sind es dann allerdings die Zuschauer, die singen. Dean aus Israel wird an diesem Tag 21 Jahre alt und bekommt ein Geburtstagsständchen. Seine Version von Queens „Crazy Little Thing Called Love“ fällt aber eher durchschnittlich aus. Er erhält trotzdem viel Beifall. Karaoke-Veranstalter Joe Hatchiban kommentiert trocken, dass dies ja wohl mehr mit Deans Geburtstag als mit seinen Gesangskünsten zu tun habe.

16.05 Uhr: Am „Infostand Ukraine“ geht es politisch zu: Sergej Steuer sammelt dort Spenden für die Verletzten des Maidan-Platzes in Kiew. „Es geht uns nicht nur um finanzielle Hilfe für die Verwundeten, wir möchten den Menschen hier auch erklären, was eigentlich in der Ukraine los ist“, sagt Steuer, der als Arzt für Innere Medizin in Berlin tätig ist.

17.25 Uhr: Der Park ist mittlerweile sehr gut besucht. Nicht nur Touristen und Anwohner, auch Straßenkünstler und Musiker bevölkern das Areal. Während Artisten jonglieren und Breakdancer die Massen mit waghalsigen und witzigen Stunts begeistern, singt die blonde Südafrikanerin Alice Phoebe unter einem alten Baum ihre Folklieder.

18 Uhr: Das Public Viewing zur Fußball-WM macht auch vor dem Flohmarkt nicht halt. Im Café „Schönwetter“ sollte eigentlich das Spiel Ecuador gegen die Schweiz übertragen werden. Es gibt jedoch technische Probleme, weder Ton noch Bild sind zu sehen. Als es nach gut 20 Minuten schließlich ein wackeliges Bild ohne Ton gibt, fällt sogleich das erste Tor für Ecuador. Charlotte aus Friedrichshain, die aus der Nähe von Zürich stammt, macht sich jedoch keine Sorgen. „Bislang wurden bei der WM viele Spiele noch gedreht, ich habe auf ein 2:1 für die Schweiz getippt.“

19.30 Uhr: „Drei gegen Drei“ heißt es auf dem Basketballplatz. Im Halbfeld wird auf einen Korb nach Streetball-Regeln gespielt: Ein Korb aus dem Feld zählt einen Punkt statt zwei, wer aus der Distanz der Drei-Punkte-Linie trifft, bekommt zwei statt drei Punkte. Gewonnen hat, wer zuerst elf Punkte erreicht. Die Siegermannschaft darf dann gegen das nächste Team antreten, dessen Mitglieder sich meist aus Spielern rekrutieren, die am Spielfeldrand zuschauen. Joe und Stefan haben gerade ein Spiel verloren und schauen sich an, was sie besser machen können. „Das Niveau hier ist nicht so hoch“, sagt Joe. „Aber viele Zuschauer gibt es immer.“