Der Senat ist mit seinem Konzept der Randbebauung am Tempelhofer Feld gescheitert. Neuer Wohnraum entsteht dort also nicht. Dabei braucht die Stadt ihn dringend - es gibt Alternativen.
In Berlin sind bezugsfreie Mietwohnungen, anders als noch vor zehn Jahren, mittlerweile ein knappes Gut. Rund 100.000 Menschen kamen allein in den vergangenen zwei Jahren dazu – das entspricht der Größe einer Stadt wie Cottbus. Bausenator Michael Müller (SPD) hat deshalb immer wieder betont, dass die Wohnbebauung auf dem Tempelhofer Feld „alternativlos“ sei. Die bis zu 4800 Wohnungen, die nach dem Masterplan des Senators an den Rändern des Feldes vorgesehen sind, seien ein unverzichtbarer Teil des „Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen“. Zumal auch in anderen Bereichen der Stadt die direkt betroffenen Anwohner nicht begeistert reagieren, wenn in ihrer Nachbarschaft lieb gewonnene Freiräume bebaut werden sollen.
Im StEP Wohnen hat Müller 25 große Standorte ausgewiesen, die sich nach Auffassung seiner Behörde besonders gut für eine Wohnbebauung eignen. Fast 48.000 Wohnungen könnten auf diesen Flächen, zu denen auch die drei Baufelder am Tempelhofer Feld gehören, kurz- bis mittelfristig bebaut werden. Mehr als die Hälfte, nämlich 28.500 Wohnungen, könnten innerhalb oder direkt am S-Bahnringes errichtet werden – also da, wo sich der zunehmende Wohnungsmangel durch stark steigende Mieten bereits deutlich bemerkbar gemacht hat.
Tausende neue Wohneinheiten sind möglich
Neben dem Tempelhofer Feld sind dies das Quartier Oberspree – entlang der Spree von Friedrichshain bis Treptow (4400 Wohnungen), die Europacity am Hautbahnhof in Mitte (3000), die historische Mitte/Alexanderplatz (2500), die Gegend um den Gleisdreieck-Park zwischen Kreuzberg und Schöneberg (2400) sowie die Luisenstadt im ehemaligen Mauerstreifen zwischen Kreuzberg und Mitte (2000). Dazu kommen jeweils knapp 1000 Wohneinheiten am Südkreuz (Schöneberg), Mauerpark (Mitte-Prenzlauer Berg), sowie auf den ehemaligen Güterbahnhöfen Pankow und Wilmersdorf sowie der Spreestadt Charlottenburg.
Außerhalb des S-Bahnringes befinden sich die größten Flächen in Buch (3200), Lichterfelde-Süd (2700), Wasserstadt Spandau (2700), Köpenick-Zentrum (2700), Alt-Lichtenberg (2400), Dahmestadt Köpenick (2400) sowie Johannisthal/Adlershof (1800). Neben den Großflächen sind auch kleinere Standorte ausgewiesen, an denen je 250 und mehr Wohnungen gebaut werden können. Laut Müller ergebe sich so ein weiteres Potenzial für 29.000 Wohnungen, davon wiederum 10.000 in der Innenstadt. Kleinste Baulücken sind in dem StEP zwar nicht aufgelistet, werden aber mit hineingerechnet. Insgesamt kommt der Senator so auf ein Flächenpotenzial für bis zu 220.000 Wohnungen, die langfristig, bis 2025, entstehen könnten. Rein rechnerisch sind das 83.000 Wohnungen mehr, als der Senat für notwendig hält.
Berlin braucht absehbar 137.000 neue Wohnungen
Zur Erinnerung: Die jüngste Bevölkerungsprognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus dem vergangenen Jahr sagt Berlin ein Wachstum in Höhe von 250.000 Einwohnern bis zum Jahr 2025 voraus. Für diese Menschen müssten rein rechnerisch 137.000 Wohnungen neu errichtet werden. Denn auf leer stehende Wohnungen, so belegt eine aktuelle Abfrage des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) unter den 144 Berliner Mitgliedsunternehmen, kann Berlin inzwischen nicht mehr zurückgreifen. Das starke Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass der Bestand an frei verfügbaren Wohnungen auf zwei Prozent zusammengeschmolzen ist. Noch vor zehn Jahren lag die Quote bei sechs Prozent.
Auch die Gegner einer Bebauung in Tempelhof bestreiten nicht, dass Berlin bedarf an Mietwohnungen hat. Allerdings argumentieren sie, dass Berlin auch ohne die Flächen auf dem ehemaligen Flughafenareal theoretisch noch genügend Potenzial für Wohnungsbauflächen gibt, halten Bebauungsgegner die drei Baufelder in Tempelhof für entbehrlich. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), der in der Tempelhof-Frage auf Seiten der Baugegner von der Initiative „100 % Tempelhofer Feld“ streitet, schlägt beispielsweise eine „intelligentere und nachhaltigere Wohnungspolitik“ vor. So könnten laut BUND je 50 bis 100 Wohnungen auf flächenfressenden Discountern errichtet werden. Insgesamt bestünde dort ein Potenzial für 12.000 Wohnungen. Dazu sollten „überdimensionierte Parkplätze“ umgewidmet werden. Zudem könnten Dachgeschosse ausgebaut sowie leer stehende Bürogebäude zu Wohnungen umgebaut werden. Ungeklärt bleibt bei diesem Alternativ-Vorschlag allerdings die Frage, wie der Senat Zugriff auf diese in Privatbesitz befindlichen Flächen erlangen soll.
Bausenator Müller hat deshalb auch stets darauf verwiesen, dass das Tempelhofer Feld eine der ganz wenigen Flächen im Innenstadtbereich sei, die sich im Landesbesitz befindet. Berlin hatte die Anteile des Bundes am ehemaligen Flughafen 2009 übernommen. Das Land Berlin hat dafür 35 Millionen Euro an den Bund überwiesen.