Essen, trinken und bekannten Künstlern zuhören: Dafür kommen die Fans aus ganz Berlin nach Köpenick. Vor der Sanierung des historischen Rathauses findet dort das 18. Blues- und Jazzfestival statt.

12:30 Musiker sind auf einem Festivalgelände selten die ersten, Michael Rodgers allerdings ist die Ausnahme von dieser Regel. Er will sein Schlagzeug in aller Ruhe aufbauen. Jedes Schräubchen soll sitzen, wenn er heute Abend John Lee Hooker junior begleiten wird. Der 58-jährige Kalifornier war schon häufiger beim Köpenicker Blues & Jazzfestival dabei und ist bei den Tontechnikern für seine Power bekannt. „Ich spiele laut. Aber sobald John seinen Mund am Mikrofon hat, regele ich das herunter. Mein Unterschied zu den ganzen Rockern ist: Ich spiele dynamisch.“

14:10 „Sie sitzen mittig in der dritten Reihe, ein sehr beliebter Platz“, sagt Verkaufsleiterin Sarah Scherling und beruhigt damit einen Abendgast, den die zugeteilte Tischnummer 133 skeptisch gemacht hatte. „Die Tische draußen zählen wir erst ab Nummer 111“, erklärt Sarah Scherling, während sie in ihrem winzigen Büro die Sitzpläne des Abends sortiert. Noch sitzt auch Scherling. Einen großen Teil des Tages verbringt sie allerdings stehend. Am Einlass macht sie die Abendkasse. „Wenn die Gäste gegangen sind, kommt noch die Abrechnung auf mich zu. Meine Schicht geht für gewöhnlich bis ein Uhr früh.“

15:20 Der „Möbelaufbau“ schreitet voran. Die Ferienhelfer Marc, Paul, Christopher und Sascha reihen streng nach Plan Tisch um Tisch und Stuhl um Stuhl auf dem Hof auf. Die Jugendlichen aus dem Bezirk bessern sich mit dem Festivaljob ihr Taschengeld auf. Dann ist alles bereit für die Jazzfans.

16:10 Aufmerksam überwacht Tourneeagent Riad Idilbi den Soundcheck. Er ist extra aus Freiburg im Breisgau angereist, um bei seinen Schäfchen zu sein. Die fühlen sich in Köpenick rundum wohl. „Ein guter Veranstalter baut der Band eine Heimat für einen Tag – und hier ist das so“, sagt Riad Idilbi. „Die Jungs von der John Lee Hooker junior Band sind hier quasi schon zu Hause.“ Auch Idilbi ist nicht zum ersten Mal in Köpenick. Die herzliche Betreuung und die spezielle Atmosphäre des historischen Rathaus-Innenhofes begeistere Agenten wie Musikfans gleichermaßen, sagt Idilbi.

17:00 Ruhe vor dem Sturm. Das Team von Küchenchef Matthias Starke ist einsatzbereit fürs große Schlemmen. Riesige Mengen Kesselgulasch, Sülze oder Spätzle gehen an einem solchen Abend über den Tisch, „und alles ist frisch und hausgemacht“, sagt er. Eine in vielen Jahren perfektionierte Logistik kommt in Gang. „Das Wichtigste bei einem Festival ist die Vorbereitung“, sagt Starke. Gut „verschickbar“ müsse das Essen sein. Ob Haxe, Eisbein oder Spätzle: Von der Bestellung bis zur Lieferung beim Gast vergehen maximal zehn Minuten. Und das gilt für jedes der rund 500 Gerichte, die innerhalb von zwei Stunden geordert werden.

17:30 Mehr als 20 konzentrierte Mitarbeiter blicken zu Andreas Effer. Auf einem Seitenhof, wo die Papiertonnen des Bürgeramts stehen, gibt der Oberkellner die letzten Instruktionen für das Team und teilt die Zuständigkeiten ein: Schankhaus, Getränke, Speisen. Team rot nimmt die Bestellungen entgegen, Team blau trägt aus. Es ist wie in einer Mannschaftskabine vor dem Spiel. „Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Schaut euch noch einmal an. Und dann würde ich sagen: einen schönen Abend!“

17:55 Überpünktlich setzt Festivalchef, Ratskellerbetreiber und Jazzenthusiast Wolfgang Pinzl die Finger an. Ein durchdringender Pfiff schallt von den Ziegelsteinwänden des neugotischen Rathaushofes wieder. Das hat Tradition. Pinzl gibt höchstpersönlich diesen Startschuss für das Team. Ab jetzt muss alles wie am Schnürchen laufen. Der Einlass öffnet, die Kellner stehen bereit. Das Fest kann beginnen.

19:35 Ein Tusch – und Wolfgang Pinzl, jetzt im schwarzen Jackett, betritt die Bühne. Er begrüßt die Gäste überglücklich und zu Tode betrübt. Denn seit Kurzem ist klar: Dieses Festival ist das letzte. Im Herbst sollen umfangreiche Sanierungsarbeiten im Rathaus beginnen. Der Konzertbetrieb ist damit gestorben. Jammern will Pinzl aber nicht. „Nach 18 Jahren ist mein Baby nun zumindest volljährig geworden. Es heißt ja auch, man solle aufhören, wenn es am schönsten ist.“ Aber erst einmal ist es Zeit, die Bühne den Stars zu überlassen. Solange die Musik spielt, sind die Alltagssorgen vergessen.

20:20 „The Blues is alright!“ Und alles andere auch. Keine fünf Minuten dauert es, bis die Musiker ihr Publikum im Griff haben. Am Ende hat sich wirklich alles erhoben, was anfangs noch einen Stuhl unterm Allerwertesten hatte. Die Frage „Are you ready to boogie?“ ist da nur noch rein rhetorischer Natur, die bejahende Antwort aus Hunderten Kehlen lässt daran keinen Zweifel aufkommen.

21:15 In der Pause wird noch einmal kräftig nachgeordert, kein Problem für die Brüder Thomas und Markus Hampel, die Herren im Schankhaus. Schneller kommen Durstige wohl nirgends an ihr Bier. „Manche glauben, wir können Gedanken lesen“, sagt Markus Hampel. Der Trick: Die Kellner nehmen die Bestellungen an Handterminals auf, die sie drahtlos an die Theke funken, wo die Austräger umgehend losgeschickt werden. „Es kommt vor, dass das Bier gebracht wird, während der Kellner noch am Tisch steht.“ Für das Wochenende stehen 36 Fässer Pils und Schwarzbier bereit, außerdem neun Fässer Hefebier.

22:25 Mit dem letzten furiosen Schlussakkord ist es für den Star des Abends noch nicht getan. In der zweiten Schicht heißt es für John Lee Hooker junior: Fans betreuen und Autogramme geben. Die CDs verkaufen sich bestens, und manch einer lässt sich ein uraltes und seit vielen Jahren sorgfältig aufbewahrtes Konzertplakat unterschreiben, auf dem sich schon der berühmte Vater verewigt hat.

23:50 Nach dem Bühnenabbau kann endlich auch Tontechniker Torsten Dietz seinen Feierabend genießen. Er hatte keinen leichten Job. „Die Band spielt lauter als die meisten, und von den Ziegelwänden knallt es hier unheimlich.“ Mehr als 20 Boxen sind auf dem Hof verteilt, digital eingemessen, um Zeitverzögerungen des Schalls auszugleichen. Das Publikum schien mit dem akustischen Resultat sehr zufrieden zu sein. „Es muss eben noch jucken, darf aber nicht wehtun“, erklärt es Dietz im Technikersprech. Weh tat den Gästen tatsächlich nur eines: der Abschied.