Während der Hype um Internet-Gründer in der Stadt tobt, müssen Jungunternehmer im Bereich der Naturwissenschaften oder Green-Tech oft mit Widrigkeiten kämpfen, es fehlen Labors und Finanzierungsinstrumente.
Sonja Jost hat eine Gnadenfrist bekommen. Drei Monate länger darf sie mit ihrer kleinen Firma Dexlechem noch die Labors in der Technischen Chemie der Technischen Universität nutzen. Zwar regnet es hier durch, die Forscher müssen das Wasser mit Eimern auffangen und acht geben, dass es nicht die chemischen Reaktionen verdirbt. Aber wenn man raus muss, erscheint selbst ein enges Büro mit vier Schreibtischen und Zugang zu den Maschinen im Nachbarraum sehr wertvoll. Zumal das Acht-Personen-Unternehmen noch keine neuen Räume gefunden hat. Das neue Gründerzentrum für TU und Universität der Künste an der Bismarckstraße wäre ideal gelegen. Aber dort gibt es keine Laborräume.
„Es gibt keine Infrastruktur in der Stadt für naturwissenschaftliche Gründungen“, sagt die 33 Jahre alte Jungunternehmerin, die ein Verfahren erfunden hat, um bei der Herstellung chemischer Substanzen die teuren Katalysatoren wiederverwendbar zu machen. Dabei spucken die Berliner Hochschulen jedes Jahr Hunderte von Physikern, Chemikern und Biologen aus. Während aber alle Welt über die hippe Start-Up-Szene rund ums Internet und IT spricht, weitet sich der Blick in der Stadt erst ganz allmählich auf jene Absolventen, die eben nicht mit ein paar Laptops in einer Hinterhofetagen ihr eigenes Geschäft aufbauen können.
Aber ebenso schnell kann der Hype auch wieder vorbei sein und die Karawane zieht weiter. Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei, sieht Nachholbedarf bei den Gründungen in den Feldern Technologie, Chemie und Pharma. Im Vergleich zum Internet-Boom „sehen wir hier langfristig mehr Nachhaltigkeit bei den Arbeitsplätzen“.
Forscher gründen selten
Noch aber fehlen die Voraussetzungen, damit sich kleine Unternehmen aus diesen Sektoren entwickeln können. Ein erfahrener Unternehmer und Investor in zahlreichen Biotech-Firmen wie Andreas Eckert vom Medizintechnik-Konzern Eckert & Ziegler beklagt schon lange, dass angesichts von Milliardenausgaben für die Berliner Forschung aus diesem Sektor kaum erfolgreiche Gründungen kommen. Nun scheint es so, dass gerade aus dem so genannten Green-Tech-Bereich sich junge Leute auf den weg machen wollen und dabei durchaus vom Start-Up-Boom der Internet-Gemeinde inspiriert werden.
Aber sie bräuchten Unterstützung, sagt Roland Silmann, der im Auftrag der landeseigenen Gesellschaft Wista aus dem Technologiepark Adlershof mehrere Gründungszentren in Berlin leitet. „Laborflächen sind ein großes Problem“, sagt der Fachmann. Selber können die Mini-Firmen die Ausgaben für Unterdruck-Räume, Entlüftungssysteme und Sicherheitsglas kaum stemmen. Da sei man schnell im sechsstelligen Bereich, so Silmann.
Senatskanzlei-Chef Björn Böhning verweist auf die Pläne für die Nachnutzung des Flughafens Tegel und auf ein neues Gründerzentrum an der Freien Universität, wo Laborräume entstehen sollten. Aber der Ausbau des Flughafens dürfte kaum vor 2016 beginnen, für das ehemalige US-Militärkrankenhaus an der Fabeckstraße haben gerade die Abgeordnetenhaus-Fraktionschefs neun Millionen Euro für den Erwerb des Geländes locker gemacht. Der Senat hatte nichts vorgesehen.
So wie Dexlechem geht es auch anderen Firmen, die sich aus Forschungsgruppen der Universitäten entwickelt haben. Greenlab Berlin entwickelt Bio-Dünger aus Abfällen der Lebensmittelindustrie. Bis Dezember 2014 hat das kleine Team dafür Platz in der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt Universität in Dahlem. „Wenn wir da raus müssen, wird es für uns extrem schwierig“, sagt Daniel Kania, ein Wirtschaftsingenieur, den die beiden Agrarwissenschaftlerinnen Ines Eichholz und Sabine Schäfer als Verkaufsexperten mit ins Team geholt haben.
Für Firmen der Umwelttechnologien fehlt es an Inkubatoren, in denen sie nach der Phase in den Unis wachsen können. Das einzige Angebot ist die Green Garage auf dem Euref-Campus am Schöneberger Gasometer. Für neue Nachwuchsunternehmer gibt es kaum noch Platz an den Hochschulen. „Es ist alles voll“, sagt Sonja Jost von Dexlechem, „niemand hätte die Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren.“
Neben fehlenden Räumen ist die Finanzierung das größte Hemmnis. Sonja Jost von Dexlechem hat die ersten 150.000 Euro über ein Förderprogramm des Bundesforschungsministeriums erhalten. Jetzt braucht sie weitere Mittel, um ihre Produkte weiter zu entwickeln und an die wenigen international agierenden Chemiekonzerne zu verkaufen, die damit ihre Chemie grüner und billiger machen könnten. Aber der nächste Schritt gestaltet sich schwierig. Die Antragspapiere für die landeseigene Förderbank IBB füllen einen ganzen Aktenordner. Die Reaktion der Banker sei sehr verhalten, berichtet Jost, sie verlangten für ihr Verfahren wissenschaftliche nachweise, „dafür würden wir einen Nobelpreis gewinnen“.
Ihr Eindruck ist, dass alles durchfalle, was nicht wie in der klassischen Internet-Welt funktioniere, Risikokapital nutze und den Investoren nach ein paar Jahren den möglichst lukrativen Ausstieg ermögliche. „Wir wollen unser Unternehmen aber in der Hand behalten und langfristig aufbauen, sagt die Jungunternehmerin, deren italienischer Vater bei VW am Band gearbeitet hat.
Den Eindruck einer einseitigen Sicht möglicher Geldgeber in Berlin bestätigt auch Serkan Tavasli, Gründer des Beratungs- und Softwareunternehmens Proxcel, das kürzlich seinen fünften Geburtstag feierte. Wie Dexlechem ist auch Proxcel darauf aus, die Produktionsprozesse in der Industrie zu verbessern, Tavaslis Firma ist viel in der Automobil-Zulieferer-Branche unterwegs. Jetzt hat der in Neukölln geborene Sohn türkischer Arbeiter mit seinen Leuten ein von der IBB gefördertes Forschungsprojekt gestartet. Es geht um eine Plattform, auf der verschiedene Teilnehmer gemeinsam in Echtzeit an einem gemeinsamen Projekt arbeiten können. Eine solche Technologie könnte zum Beispiel bei Reklamationen in der Autoindustrie Anwendung finden. 130.000 Euro hat Tavasli von der IBB bekommen.
„Aber was kommt, wenn das Projekt fertig ist“, fragt der Unternehmer. Wird er auch das Geld bekommen, das Produkt in den Markt zu bringen? Die IBB sei zu formalistisch und bürokratisch, sie denke zu stark auf die Technik und zu wenig auf die Geschäftsidee. Niemand habe gefragt, was der Kunde denn machen werde, wenn der Prototyp fertig ist. „Was bringen uns die 130 000 Euro, wenn wir im Anschluss die Million nicht bekommen“, fragt der 35 Jahre alte Proxcel-Chef, der inzwischen in mehreren Aufsichtsräten sitzt. Anfang 2014 werde er auf Geldsuche gehen.
Zu starker Fokus auf IT
Insgesamt fühlt er sich von den Berliner Wirtschaftsförderern übersehen. „Der Fokus ist stark auf die IT gerichtet, andere Gründungen stünden nicht so im Vordergrund, ist sein Eindruck. „Aber die Welt ist nicht nur IT.“ Es gibt sogar Erfinder, Tüftler und junge Unternehmen, die beklagen sich über die Nichtachtung Berliner Politiker. „Wir werden von Seiten Berlins und des Senats Null unterstützt“, sagt Guido Lütsch, der als Präsident des Bundesverbandes Höhenwindenergie eine entstehende Branche vertritt, die mit neuen Systemen Windenergie in Höhen von oberhalb 200 Metern ernten möchte.
Im September gab es eine internationale Konferenz mit Teilnehmern aus 21 Ländern in der Beuth-Hochschule inklusive einer Vorführung auf dem tempelhofer Feld, wo die Teilnehmer mit dem von einem Lenkdrachen gewonnenen Strom Waffeln buken. „Aber die Unterstützung ist komplett versandet“, klagt Lütsch. „Wir werden Schwierigkeiten haben, neue Unternehmen nach Berlin zu bekommen. Woanders werden sie offener empfangen.“