Vereinfachte Technologien und Internetmarktplätze wie Etsy oder DaWanda ermöglichen es auch Menschen ohne Programmierkenntnisse, ein Start-up zu gründen – wie Melanie Heitkämper von „Küstenmädel“

Eine Frau von der Küste ist nicht so leicht zu erschüttern. Seit Stunden harrt Melanie Heitkämper an ihrem Stand auf dem Markt am Maybachufer aus. Gerade hat es kurz geregnet, als hätte Petrus die Dusche angelassen. Die Verkäufer waten bereits in Pfützen, die Zeltdächer sind vom Wasser durchgedrückt wie Hängematten unter müden Strandurlaubern.

Melanie Heitkämper hat in Bremen und Bremerhaven gelebt, seit zwölf Jahren lebt sie in der Hauptstadt. Die Kapriolen des Berliner Wetters in diesem Jahr können ihr nicht die Laune verderben. Und überhaupt: Wer wie die 41-Jährige gerade eine eigene Firma gegründet hat, den bringen Hitze und Regen nicht so schnell aus der Ruhe.

Schon seit sie 20 Jahre alt ist, spielt Melanie Heitkämper mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen. Ein Café oder eine Bar zu eröffnen, was Eigenes zu haben, fand sie schon ihr halbes Leben lang reizvoll. Dass sie eines Tages ihre eigene Modelinie entwerfen würde, kam ihr eigentlich nie in den Sinn.

Alles begann mit einer Idee für den Geburtstag einer Freundin. Melanie Heitkämper entwarf ihr ein T-Shirt, eine junge Frau von der See war darauf abgebildet. Freunde und Gäste sind begeistert, sie werden zum Motor für Melanie Heitkämpers Geschäft. Auf das Drängen der Bekannten hin erstellt sie weitere T-Shirts. „Mach was daraus“, sagen die Freunde, „die musst du professionell verkaufen“ und „die Leute werden sie dir aus der Hand reißen“.

Das positive Feedback, das Lob und der Zuspruch tragen dazu bei, dass Melanie Heitkämper vor zwei Jahren den Mut aufbringt und aus ihrer Idee ein Geschäft macht. Nicht ohne Risiko. Ihre gesamten Ersparnisse aus sechs Jahren und ein Bausparvertrag fließen in einen Namen, der sich eines Tages auszahlen soll: „Küstenmädel“.

Sieben Tage, 24 Stunden

Sie investiert 6000 Euro, um einen Grafiker zu bezahlen, T-Shirts, Einkaufstaschen, Matrosenmützen, Schals und Handtücher zu kaufen und sie mit einem Schriftzug und dem dazugehörigen Konterfei zu bedrucken. Ein Pin-up-Girl, ein fröhliches, junges, schlankes Mädchen hält ein Fernrohr in der Hand, ein Rettungsring rahmt sie ein, darunter steht der Schriftzug, den Melanie Heitkämper als Marke beim Patentamt angemeldet hat.

In „Küstenmädel“ stecken ihre Hoffnungen, ihre Träume, ihr Geld. Beinahe wäre jedoch alles genau daran gescheitert. „Mein Grafiker und ich haben Wochen daran gearbeitet, den Schriftzug möglichst leserlich zu gestalten“, sagt Melanie Heitkämper. „Doch am Ende verschwamm das ‚n‘ immer in dem ‚m‘, und es schien, als finden wir keine Lösung dafür.“

Es war der Moment, in dem sie ernsthaft an ihrem Vorhaben zweifelte. Solange der Schriftzug nicht fertig, war, konnte sie kein Patent anmelden, ohne Patent kein Auftritt im Internet. Mit den verschwimmenden Buchstaben, einem winzigen Detail in dem großen Schritt zur Selbstständigkeit, schien ihre ganze Idee, ihr Lebenstraum den Bach hinunterzugehen.

Schließlich gelang der Schriftzug doch noch, fünf Monate später sprach ihr das Patentamt das Markenrecht zu, der Weg zum Online-Verkauf war geebnet. Also lädt Melanie Heitkämper eines Tages die ersten Fotos von ihren bedruckten T-Shirts und Mützen bei einem Internetverkaufsportal hoch.

DaWanda und Etsy als Starthilfe

Anbieter wie Dawanda oder Etsy stellen Designern, Bastlern und Handwerkern, die in den Anfängen stehen, eine Online-Plattform für den Social Commerce, um Selbstgemachtes zu verkaufen. Melanie Heitkämper bezahlt für ihre Produkte von „Küstenmädel“ eine Einstellgebühr und eine Provision für jeden verkauften Artikel. Über 25 T-Shirts hat sie auf diesem Weg bereits unter die Leute gebracht.

Anders als der Marktstand am Maybachufer hat der Markt im Internet 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche auf. Der Verkauf läuft auch, wenn die Verkäuferin nicht dabei ist und berät, er ist unabhängig von Wetter und Jahreszeiten. „Das ist schon ein großer Vorteil“, sagt Melanie Heitkämper. Sie muss nicht mit ihren Rollkoffern voller T-Shirts und dem Deko-Rettungsring in der U-Bahn durch die Stadt fahren, der Online-Verkauf läuft auch ohne Reisegewerbekarte, auch wenn sie ihrer Arbeit in einem Berliner Kino nachgeht oder wenn sie mal krank ist.

Mit den Herausforderungen des Online-Verkaufs, einer eigenen Homepage und Facebook-Seite musste die 41-Jährige sich aber erst mal anfreunden. Ein Model musste her, Beschreibungen für die Produkte, sie musste AGB und Impressum aufsetzen, sich mit Versand, Umtausch und Optimierung der Suchbegriffe auseinandersetzen. Dinge, mit denen sich Melanie Heitkämper vorher nie beschäftigt hat.

Mit Rollkoffern auf Berliner Märkten

Wer sich selbstständig macht wie sie, muss außerdem einen Gewerbeschein haben, beim Finanzamt Prognosen abgeben und sich um die Buchhaltung kümmern. Einen Kredit oder einen Existenzgründerzuschuss zu beantragen, darauf hat Melanie Heitkämper bewusst verzichtet. „Ich will nicht unter dem Druck eines Businessplans stehen und am Ende wieder von jemandem abhängig sein“, sagt sie. Ihr Geschäft solle sich von Anfang an selbst tragen.

Ihr Job im Kino gibt ihr Sicherheit, solange sie ihn hat, braucht sie nicht zu fürchten, am Ende des Monats ihre Miete nicht bezahlen oder ihren Kühlschrank nicht füllen zu können. Doch auch die Filmbranche ist im Umbruch, auf ihren Job verlassen will sich die junge Frau nicht. Ihr Traum sei es, eines Tages nur noch für „Küstenmädel“ zu arbeiten.

Es läuft nicht schlecht, bald schon muss sie T-Shirts nachdrucken lassen. Die Marke soll so viel Geld einbringen, dass die Unternehmerin es sich leisten kann, auf die richtig großen Märkte zu gehen. In Berlin sei es zwar nett zu experimentieren, aber wirklich gut verkaufen wird sich „Küstenmädel“ nur an der Küste, glaubt Melanie Heitkämper. Die Standgebühr bei der Kieler Woche oder dem Hamburger Hafengeburtstag kostet etwa 5000 Euro. Das müsse man erst mal wieder einnehmen. Bis sie sich das leisten kann, wird sie weiter mit ihren Rollkoffern auf Berliner Märkte gehen und das Verkaufen üben. Wie man in einer steifen Brise standhaft bleibt, das zumindest weiß sie schon ganz genau.