Biotechnologie

Berliner Wirkstoffe auf dem Weg zum Medikament

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Joachim Fahrun

Foto: Getty Images

Nur wenige neue Medikamente schaffen die Hürden für eine Zulassung. Berliner Biotechfirmen sind dabei besonders weit. Mehrere Entwickler hoffen mit ihren Schöpfungen auf den Durchbruch.

Die Zeiten, als die Anleger ihr Geld mit vollen Händen in alle Unternehmen schaufelten, die irgendetwas mit Biotechnologie versprachen, sind seit der Jahrtausendwende vorbei. Zu wenige neue Wirkstoffe schaffen den Langstreckenlauf bis zur Zulassung und zur Marktreife.

Unternehmer, Wissenschaftler und Finanziers benötigen einen langen Atmen, die Forschungsbudgets schrumpfen: „Es ist mühselig“, beschreibt Andreas Mätzold, Geschäftsführer des Biotechnologieparks in Berlin-Buch, die Lage.

Trotz aller Schwierigkeiten hat die Biotechnologiebranche in Deutschland 2012 zugelegt. Der Berliner Branchen-Dienstleister Biocom AG durchleuchtet seit Jahren im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Landschaft und hat für das vergangene Jahr einen Rekordumsatz von 209 Milliarden Euro festgestellt, ein Plus von elf Prozent gegenüber 2011. 565 Unternehmen, die sich hauptsächlich der Biotechnologie widmen, gaben 17.430 Menschen Arbeit (plus sieben Prozent). Die 128 Pharma-, Chemie- oder Lebensmittelfirmen, die ebenfalls der Biotechnologie betreiben, beschäftigten weitere 17.760 Mitarbeiter.

Probleme mit der Finanzierung

20 Biotech-Unternehmen wurden 2012 neu gegründet. Zwei davon in Berlin. Insgesamt ist der Aufbau neuer Unternehmen aber schwieriger geworden. „Wenn wir mit ansiedlungswilligen Projekten im Gespräch sind, brauchen die meistens zwei bis drei Jahre, um eine tragfähige Finanzierung auf die Beine zu stellen“, berichtet Campus-Manager Mätzold. Das spreche für schlechte Rahmenbedingungen. So belohne das Steuerrecht Investitionen in Innovationen viel zu wenig.

In den vergangenen Jahren seien rund drei Milliarden Euro in deutsche Biotech-Firmen geflossen, sagt Patrick Diekhoff von Biocom. 1,7 Milliarden Euro davon stammten von zwei Investoren: Den Brüdern Strüngmann, die ihr Vermögen mit dem Generika-Hersteller Hexal machten, und dem SAP-Gründer Dietmar Hopp. Beide hielten sich jetzt aber etwas zurück.

Trotz der positiven wirtschaftlichen Kennzahlen sehen die Beobachter einen „kleinen Fluch“ auf der deutschen Biotechnologie-Branche. Einige Unternehmen sein mit ihren Neuentwicklungen kurz vor der Zulassung in der dritten Phase gescheitert. „Die hatten nicht so ein gutes Händchen“, sagt Diekhoff.

Erhöhte Sicherheitsanforderungen

Drei Testphasen muss ein Medikament durchlaufen, ehe es das Zulassungsverfahren erreicht und danach in den Handel gehen kann. 2011 hatten Deutschlands Biotech-Unternehmen noch 109 Wirkstoffkandidaten in der klinischen Erprobung. Ein Jahr später waren es nur noch 93. Bis heute haben deutsche Firmen neun Therapeutika zur Zulassung gebracht. Die große Hürde steht zwischen den Phasen zwei und drei. Befinden sich in der vorletzten Testphase in Deutschland noch 49 Präparate, haben es in die dritte nur zehn geschafft. Im Zulassungsverfahren befindet sich 2012 gar kein neues Medikament aus deutscher Entwicklung. Die Schwierigkeiten führen die Branchenkenner bei Biocom auf erhöhte Sicherheitsanforderungen der Aufsichtsbehörden zurück. Aber auch darauf, dass es den Entwicklern schwerer fällt, den wahren Mehrwert ihrer Medikamente im Vergleich zu bereits im Handel befindlichen nachzuweisen und die höheren Preise zu rechtfertigen.

Die sogenannte Pipeline ist also weniger gut bestückt in Deutschland. In Berlin allerdings haben einige Unternehmen Wirkstoffe im Rennen, die Erfolgsaussichten versprechen. Insgesamt 13 Wirkstoffe aus Berliner Labors befinden sich in den Testperioden, drei in der ersten und gleich zehn in der zweiten Phase. Allein das Bucher Unternehmen Glycotope testet vier Anti-Tumor-Medikamente, davon drei in Stufe zwei. An Glycotope ist neben den Gebrüdern Strüngmann der Berliner Medizintechnik-Unternehmer und Wagniskapitalgeber Andreas Eckert beteiligt. Eckert schwört darauf, dass Glycotope das nächste große Ding sein werde.

Gene zum Schweigen bringen

Ebenfalls drei Wirkstoffe in Phase zwei hat Noxxon Pharma, die in Charlottenburg im Berlin Biotech-Park sitzt, dem zweiten größeren Standort derartiger Unternehmen in der Stadt neben Buch. Noxxon entwickelt unter anderem spezielle Wirkstoffe zur Bekämpfung von Entzündungskrankheiten. Das Unternehmen konnte seit 2007 insgesamt 72 Millionen Euro von Kapitalgebern einsammeln, darunter auch von der Beteiligungsgesellschaft der landeseigenen Investitionsbank Berlin.

Zwei Präparate in Testphase zwei und eines in Phase eins hat Silence Therapeutics. Die Forscher in Buch nutzen die RNAi-Technologie, für deren Erforschung es 2006 die Nobelpreise für Chemie und für Medizin gab. Mit deren Hilfe werden krankheitsrelevante Gene spezifisch zum „Schweigen“ gebracht, also gezielt in ihrer Funktion gehemmt. Silence profitierte im vergangenen Jahr auch von einer neuen Finanzierungsrunde und sammelte von Investoren 6,8 Millionen Euro ein. Noch stärker wurde in Berlin die in der Nähe der Freien Universität in Dahlem angesiedelte Mologen mit frischem Kapital ausgestattet. Allein die 22 Millionen Euro, die der Hersteller von Anti-Krebspräparaten erhielt, übertraf die 2011 an Berliner Firmen ausgereichte Finanzierungssumme von 16,77 Millionen Euro. Mologen hat je ein Präparat in den Phasen eins und zwei. Auch die MerLion aus Adlershof, die zu einem Konzern aus Singapur gehört, hofft mit einem Medikament gegen Infektionskrankheiten in Phase zwei auf den Durchbruch.