Der Mai kommt und ganz Deutschland feiert. Jeder anders. Kaum ein Fest kennt so viele regionale Traditionen wie Walpurgisnacht und 1. Mai. Wir haben sie zusammengestellt.
Wenn Hexen reiten
Die Walpurgisnacht im Harz – seit Goethes Faust kennt sie jeder. Allerlei sonderbare Kreaturen feiern diese Nacht am Brocken. Manche Hexe steht dann am Hexenfeuer; wenn man Glück hat, sieht man sie fliegen. Obwohl, Hand aufs Herz. Die meisten Hexen im Harz sind nur kostümiert.
Ein großes Feuer
Das Maifeuer, es brennt lichterloh. Schon nachmittags steht das Holz zum Lagerfeuer hoch gestapelt da, mit viel Reisig dazwischen, damit die Flammen ordentlich lodern. Die örtliche Feuerwehr ist auch anwesend. Und meist ein Grillstand für Bratwürste. In Rügen ist das Maifeuer besonders schön – es brennt direkt am Strand. Daneben steht eine bunt geschmückte Birke mit flatternden Bändern.
Rote Nelken
Für Gewerkschaften und Sozialisten ist der 1. Mai ein ganz besonderer Tag – der Tag der Arbeit. Im Ruhrgebiet hält der DGB traditionell Großveranstaltungen ab, oft mit der SPD. Dann flattern rote Papierfahnen im Wind. Rote Nelken werden verschenkt. Und markige Reden gehalten.
Liebesmaien
Im Rheinland hört man in dieser Nacht häufig Sägegeräusche. Denn junge Männer fällen Birken, binden die Bäume auf das Autodach und fahren damit zum Haus ihrer Liebsten. Dort kriegt die Angebetete einen Maibaum gestellt. Manche Mädchen sind stark umworben. Hier gilt: Der letzte gewinnt! Den Maibaum des Vorgängers räumt man einfach ab. Und stellt den eigenen auf.
Zünftig, zünftig
Wer schon mal in Bayern war, der hat sicher den Maibaum bemerkt. Er wird zentral auf dem Marktplatz aufgestellt. Ein Baum ist es allerdings nicht, sondern nur noch der Stamm, oft blau-weiß bemalt. Links und rechts hängen dann dekorative Schilder. Sie zeigen Wappen, Bierfässer, Kutscher, Pferde. Urige Szenen halt. Manche Maibäume sind bis zu 30 Meter hoch.
Kraxeln
Wir sind weiterhin in Bayern. Der Maibaum - ein langer, glatter Stamm. Viele Meter hoch. Das fordert junge Männer heraus. Und so erfand man in Niederbayern das Maibaumkraxeln. Die einzigen Hilfsmittel? Pech und Spucke. Das Pech schmiert man sich unter die Füße, dann wird in die Hände gespuckt. Und ab geht es nach oben! Wer am höchsten kommt, ist der Held.
Maibraut
Das schönste Mädchen im Ort wird in Franken zur Maikönigin ernannt. Das ist seit dem Mittelalter so. Doch es geht noch weiter. Nach der Krönung wird die frisch Gekürte versteigert. Meistbietend. Das Geld kommt dem Mädchen zugute – für ihre Aussteuer. Was soll man sagen? Nicht sehr modern. Vielleicht geht sie heute shoppen.
Hier wird getanzt
Traditionen und neue Bundesländer – die Rechnung geht selten auf. Aber der 1. Mai wird auch hier gefeiert. Wie? Mit einem Tanz in den Mai. Allerdings ist die Musik alles andere als volkstümlich. Electro, Freibeute FM, house, hiphop, black. Party, party, party. Tanz in den Mai mit DJ Quarkkeulchen. Hauptsache es rockt.
Krawall
Am 1. Mai kracht es in Kreuzberg. Das hat schon Tradition. In den 80er Jahren fuhr man den weiten Weg aus West-Deutschland her, um einmal am Kotti ’nen Supermarkt zu plündern. Nach dem Mauerfall erweiterte sich das Kampfgebiet. Inzwischen fliegen auch in Friedrichshain oder auf dem Prenzlauer Berg die Pflastersteine.
Vorsicht! Baumklau in Bayern!
Es ist schon verrückt mit diesem 1. Mai in Berlin. Als Bayer hat man das im Fernsehen und staunt: die vielen schwarz Vermummten, die Randale, die Verletzten, und überall diese Schäden. Total verrückt, dieses Berlin.
Denn der 1. Mai ist in Bayern ein Feiertag, an dem man – wie es der Name sagt – zu feiern hat. Die Sonne hat von einem blauen Himmel zu scheinen auf einen kleinen Dorfplatz mit einem bunt geschmückten Maibaum, um den dann im Laufe des Tages Grüppchen von angeschickerten Jugendlichen fröhlich herum zu tanzen haben. Es hat den Maibock, ein malziges und sehr, wirklich sehr kräftiges Bier und Bratwürste natürlich. Vorausgesetzt, es hat den Maibaum noch am 1. Mai.
Was dem Berliner Randalemacher der 1. Mai, ist dem bayerischen schwarz vermummten Dorfraudi der 30. April. Bis spätestens dann nämlich hat jeder, der etwas auf sich und sein Dorf hält, den Maibaum vom Nachbardorf gefälligst zu stehlen, zu zersägen oder anzuzündeln. Dabei hat man auch nicht zimperlich vorzugehen, erst recht nicht gegen die Maibaumwachen. Verletzte hat es jedes Jahr gegeben, auch sogenannte Bierleichen mit zwei, drei oder vier Promille sollen vorgekommen sein. Es hat Gerüchte über echte Leichen gegeben, über vermisste Personen, die selbst die Polizei nicht finden konnte. Wenn sie am nächsten Tag, dem 1. Mai, Bilanz zu ziehen hat über die Nacht davor, mit den vielen unbekannten Tätern und den vielen Vorfällen.
Am Abend hat man dann die Randaleberichte aus Berlin im Fernsehen, mit den vielen Vermummten, den Verletzten und den Schäden. Total verrückt dieses Berlin. Hans-Jürgen Polster
Der Tausch: Bier gegen Baum
Wer hätte das gedacht: Wenn es um das Offenbaren einer romantischen Ader geht, tun sich die gern als rustikal beschriebenen Bayern leichter als die Menschen im Westen oder Norden der Republik. Das gilt insbesondere für die traditionellen Rituale rund um den 1. Mai. Bis heute ist es an dem Tag im Freistaat zumindest auf dem Lande üblich, dass ein Jung-Bajuware vor dem Haus seiner Angebeteten einen Maibaum positioniert, gewissermaßen als Signal des Herzens. Wer aus dem Nordwesten Deutschlands stammt, etwa aus der ländlichen Grenzregion zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, kennt die Riten um den Maibaum auch. Herzensangelegenheiten spielen da allerdings eine untergeordnete, genauer gesagt gar keine Rolle. Die Nordlichter sind halt nüchterner, wobei der Begriff nüchtern in diesem Fall seine eigene Bedeutung gewinnt.
Hier bringt nicht der einzelne ein entsprechendes Gehölz zu seiner Liebsten, hier schleppen gleich ganze Gruppen das forstwirtschaftliche Produkt an die Zielperson ihres Begehrens: den Wirt der Stammkneipe. Das ganze natürlich in der Erwartung, dieser möge sich mit Freibier und anderen an diesem Tag kostenfreien Getränken erkenntlich zeigen, einer Erwartung, der die Wirte in aller Regel auch freigiebig nachkommen. Womit wir wieder bei dem Begriff „nüchtern“ wären, ein Wort, das an diesem Tag kaum jemand in den Mund nehmen würde. Und das gilt nicht nur für den traditionellen Aufmarsch an der Stammkneipe.
Ebenso alt wie die Bräuche rund um den Maibaum ist die Tradition des Maigangs. Ganze Gruppen ziehen an diesem Tag bereits frühmorgens ins Grüne, Hochprozentige und andere Getränke in einem Bollerwagen mitschleppend. Spätestens Mittag fällt das Ziehen des Wagens angesichts der zunehmend geringeren Ladung leichter. Die Vertreter der örtlichen Gastronomie schätzen den Brauch des Maigangs. Wer den ganzen Tag unterwegs und fortwährend um Stärkung in Form von Flüssignahrung bemüht ist, dem kann man am Abend ohne größeres finanzielles Risiko Freibier anbieten. Wenn nichts mehr reinpasst, passt nichts mehr rein. Hans Nibbrig
Verliebte Kerle, die sägen
Einmal im Jahr fühlen sich die rheinischen Jungmänner zu Baumfällern berufen. Dann kreischen in den Wäldern rund um Bonn und Köln die Sägen, stürzen große und auch kleinere Bäume, vorzugsweise Birken, zu Boden. Es ist die Nacht zum 1. Mai, in der die jungen Männer losziehen, um grüne Beute zu machen. Die schleppen sie dann ab und stellen sie ihrer Liebsten oder der, die noch begehrt wird und erst zur einvernehmlich Liebsten werden soll, vors Fenster. Ein geschlagener Baum als Liebesbeweis – das hat im Rheinland eine lange Tradition. Ein Brauch freilich, der auch seine Tücken hat. So groß die Freude bei den jungen Damen, die des morgens die nächtliche männliche Ernte erblicken, so dick die Tränen bei denen, die vergeblich Ausschau halten nach dem grünen Gunstbeweis.
Und ganz ungefährlich ist die Fällaktion auch nicht. Weil der Umgang mit einer Säge, zumal der durch meist kräftigen Genuss von Gerstensaft erschwert wird, nicht Jedermanns Sache ist, fließt auch schon mal Blut oder endet diese Pflege des Brauchtums statt vor dem Haus der Angehimmelten im Krankenhaus. Und dann gilt es noch eine ökologische Tücke zu meistern. Immer häufiger weisen Förster bestimmte Areale aus, die allein zum „Einschlag“ freigegeben werden, um den Wald zu schonen. Solche Beschränkungen auszutricksen, gehört natürlich auch zum nächtlichen Ritual. Abgeräumt werden die Bäume dann wieder am 31. Mai. Natürlich von denen, die sie aufgestellt haben. Spätestens dann haben die jungen Damen Gewissheit, wer ihr wahrer Verehrer ist. Dass die Abräumaktion einmal mehr kräftig begossen wird, versteht sich von selbst, weil dem rheinischen Frohsinn geschuldet. Jochim Stoltenberg