In den Daten zur Kriminalitätsentwicklung 2013 sticht ein Bereich besonders hervor: Zehn Prozent mehr Rauschgiftdelikte gab es in Berlin. Besonders heftig ist die Entwicklung beim Kokain. Die Berliner Morgenpost hat darüber mit Polizeidirektor Olaf Schremm gesprochen. Der 53-Jährige leitet das Rauschgiftdezernat beim Landeskriminalamt.
Berliner Morgenpost: Vergangenes Jahr gab es 40 Prozent mehr Rauschgiftdelikte mit Kokain. Wird Berlin zur Koks-Hauptstadt?
Olaf Schremm: Aus den anderen Bundesländern kenne ich die Zahlen zum Vergleich nicht. Aber den Eindruck können wir bestätigen, es ist in der Tat so, dass wir in den letzten Jahren vermehrt Ermittlungsverfahren mit Kokain haben.
Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Das ist schwer zu erklären. Einmal haben wir gerade im vergangenen Jahr beachtliche Ermittlungserfolge gehabt, bei denen wir Kokain-Banden in Berlin aufdecken konnten. Solche Ermittlungen dauern im Vorfeld manchmal Monate, bis man an die Hintermänner kommt und dann eine ganze Bande auffliegen lassen kann. Andererseits ist in Europa nach allem, was wir wissen, beim Handel mit Heroin und Kokain eher eine Stagnation zu verzeichnen. Ob Berlin da im Moment gerade eine Ausnahme ist – schwer zu sagen. Wir wissen einfach nicht, was in Berlin im Dunkelfeld wirklich mit Kokain umgesetzt wird. Wir bekommen nur zu Gesicht, was wir im Zuge von Ermittlungen beschlagnahmen können. Das ist das Problem.
Ist Kokain eine Modedroge oder eine Society-Droge? Was wissen Sie über die Konsumenten?
Bei dieser Droge haben wir leider wenige Kenntnisse über die Ausmaße des Konsums in der Stadt. Aber es gibt Lieferdienste für Kokain, mit denen man sich Kokain auf Partys oder nach Hause liefern lassen kann. Das zeugt davon, dass die Kundschaft eher finanziell unabhängig ist. Man kann daraus schließen, dass Kokain die Droge der Besserverdienenden ist. Und da die wenig Hilfe suchen etwa bei Suchtberatungsstellen, fehlt uns der Einblick. Das ist bei Heroinsüchtigen etwas anders.
Was hat es mit den „Kokain-Lieferdiensten“ auf sich, von denen Sie vergangenes Jahr einige hochnehmen konnten?
Das funktioniert wie ein Pizzaservice mit Telefonnummer und Lieferung an die Wunschadresse. Das hat sich in letzter Zeit etabliert. Trotz der Unkosten der Logistik für die Dealer springt damit offenkundig noch immer genug Gewinn bei dem Geschäft heraus. Insofern muss es schon potente Kundschaft geben, die sich den Lieferservice leisten kann.
Wie teuer ist Kokain?
Wir rechnen mit einem Straßenverkaufswert von 50 oder 60 Euro pro Gramm. Aus einem Gramm kriegt man mehrere Portionen heraus.
Wissen Sie, woher das Kokain nach Deutschland kommt?
Wir haben Kenntnisse darüber, wie das Kokain nach Europa kommt. Herkunftsregion ist unverändert Südamerika, Kolumbien oder Venezuela zum Beispiel. Über den Frachtschiffverkehr kommt es dann nach Europa, kommt in den Großhäfen – Rotterdam, Amsterdam, Hamburg, Bremen – an und wird von dort aus verteilt. Das ist nicht kontrollierbar. Auf einem großen Frachtschiff werden heute 7000 oder 8000 Container geladen, und einen drei mal sechs Meter großen Container kann auch der Zoll nicht jedes Mal von vorne bis hinten durchsuchen.
Neulich der Fall mit den Bananenkisten im Supermarkt…
…der klassische Fall, an dem man schön nachvollziehen konnte, wie die Wege verlaufen. Da kontrollieren Rauschgiftkartelle zum Beispiel in Venezuela die Häfen und sorgen für den abgesicherten Abtransport. Andere Organisationen nehmen die Ware dann hier ab.
Rauschgiftdelikte sind Kontrolldelikte, ist der Anstieg von insgesamt zehn Prozent mehr Verstößen also auf verstärkte Ermittlungen 2013 zurückzuführen?
Nicht nur. Aber natürlich spielt eine verstärkte Kontrolle auch eine Rolle dabei. Diese Tätigkeit wird von vielen Stellen bei der Berliner Polizei übernommen. Denken Sie nur an die Razzien im Görlitzer Park, das hat dort 2013 erheblich zugenommen. Und gegen jede Person, bei der Betäubungsmittel festgestellt werden, wird erst einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch wenn es später wegen geringer Mengen eingestellt wird. Deshalb sind aber trotzdem die Masse der Ermittlungsverfahren sogenannte Konsumentenvorgänge.
Was sind die Schwerpunkte der Arbeit in Ihrer Abteilung? An Razzien im Park sind Sie ja nicht beteiligt…
Nein. Wir behalten zum Thema Betäubungsmittel beim LKA zwar den Gesamtüberblick, aber wir wollen an die großen Händler ran und wir wollen den Einfuhrschmuggel kontrollieren.
Haben Sie eine Ahnung davon, wie viel Geld in Berlin jedes Jahr mit Drogen umgesetzt wird?
(lacht) Das wäre schön. Es gibt alte Schätzungen von 2006 zum Heroinumsatz. Die sind heute nicht mehr valide. Wir gehen davon abgeleitet heute beim Heroin in Berlin von einem Tagesumsatz von 300.000 bis 400.000 Euro aus für einen Tagesabsatz von neun bis zehn Kilogramm Heroin – bei geschätzten 10.000 Konsumenten. Die Zahlen sind schon beeindruckend. Dazu kommen dann Kokain, Amphetamine und natürlich zehn bis vierzehn Kilogramm Cannabis jeden Tag mit geschätzten 200.000 Euro Umsatz.
Da steckt zu viel Geld drin, als dass man den Handel je besiegen könnte…
Klar, der Gewinnanreiz ist groß. Die, die in der Hierarchie ganz oben sind, führen ein luxuriöses Leben und können Investitionen auch wieder in legale Geschäfte machen… Das kann man nicht kontrollieren. Da könnte ich 1000 Mitarbeiter mehr haben, das ginge nicht. Unser Anspruch ist es, das Entdeckungsrisiko aufrecht zu erhalten. Wir wollen deutlich machen, dass in Berlin nicht jeder tun kann, was er will, ohne Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden.
Was wissen Sie über die Dealer und die Banden dahinter? Wie wird der Drogenhandel organisiert?
Es gibt viele, viele Banden. Deutlich betonen möchte ich aber, dass wir keinen Drogenkrieg in Berlin haben. Aber es gibt eine große Anzahl von Personen, die diese Banden bilden mit klaren hierarchischen Strukturen vom Bandenkopf bis zu den Laufburschen. In der Regel kaufen die Gruppen, die in Deutschland Drogen handeln, ihre Ware im Ausland an oder lassen sich von da beliefern, oft aus den Niederlanden oder Spanien. In Berlin gibt es dann noch Wohnungen, in denen die Drogen gelagert und für den Straßenverkauf gestreckt und verpackt werden.
Dass es keinen Drogenkrieg gibt, liegt daran, dass die sich das Geschäft aufgeteilt haben?
Ich denke, in Deutschland herrschen noch Rechtsverhältnisse, dass man einem Krieg lieber aus dem Wege geht. Man möchte in Ruhe seinen Geschäften nachgehen und mit der Polizei nichts zu tun haben. Und je gewalttätiger es wird, schauen Sie sich das Rockermilieu an, desto intensiver werden die polizeilichen Maßnahmen. Das kann sich kein Drogendealer leisten.
Welche Rolle spielt Crystal Meth in Berlin, das etwa in den USA bereits zum großen Problem geworden ist?
Wir können glücklicherweise anhand der Fallzahlen, die wir kennen, noch nicht sagen, Crystal würde Berlin überschwemmen. Die Sicherstellungsmengen bewegen sich unter einem Kilogramm pro Jahr. Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn Crystal hier noch einmal massiver auftreten wird, denn bei Berlins Größe und sozialer Zusammensetzung gibt es nichts, was dagegen spricht. Die Droge wirkt enthemmend und stimulierend und ist billig. Wir arbeiten daher bereits etwa mit Bayern zusammen, wo Crystal über die tschechische Grenze nach Deutschland kommt, um an Erkenntnisse über Lieferungen und Ausbreitung zu kommen.
In Hamburg wurde 2013 erstmals wieder ein Anstieg der Delikte mit Heroin festgestellt. Wie ist die Lage in Berlin?
Wir haben vergangenes Jahr einen hohen Zuwachs an Erstkonsumenten sogenannter harter Drogen, aber Heroin gehört nicht dazu. Da geht es besonders um chemische, synthetische Drogen. Wir hatten erstmals mehr Erstkonsumenten bei diesen Amphetaminen als bei Heroin und Kokain. Das ist erschreckend.
Das sind die sogenannten „Partydrogen“.
Genau, die Drogen zum nächtelangen Tanzen. Die werden stark bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachgefragt.
Der Anstieg der Erstkonsumentenzahl lag bei 13,8 Prozent. Wie ermitteln Sie diese Zahl?
Wenn jemand mit Betäubungsmitteln erwischt wird, werden ja Daten erhoben. Und in der Regel geben diese Personen auch Auskunft darüber, wie oft sie diese oder jene Droge schon konsumiert haben.
Wie erklären Sie sich diesen anhaltenden Trend der wachsenden Zahl der Erstkonsumenten?
Der Zugang zu diesen synthetischen Drogen ist einfach. Schon der Handel ist einfacher, weil diese Drogen nicht aus Südamerika eingeführt werden müssen, sondern auch in Deutschland in Drogenküchen hergestellt werden können. Und die jungen Leute machen sich bei diesen Drogen viel zu wenig Gedanken darüber, wie gefährlich das Zeug ist. Da wird man noch viel mehr Aufklärung und Prävention betrieben müssen, um den Trend zu stoppen.