Rund zwei Wochen danach ist Hildegard W. mit zwei Freunden zurückgekehrt, um ein paar Sachen rauszuräumen. Denn ihre Bar ist jetzt bis auf weiteres geschlossen, Hildegard W. drohen bis zu drei Jahre Haft. Sie lacht trotzdem. Sie trägt ihre grauen Haare in einem modischen Kurzhaarschnitt, goldene Ohrringe, ist geschminkt, in ihren Augen funkelt der Schalk. „Das ist alles komplett übertrieben. Wenn, dann soll man bei der Wahrheit bleiben“, sagt sie.
Ihre Geschichte war durch die Medien gegangen: Eine 76 Jahre alte Oma dealte in einer Kneipe in Wilmersdorf mit Kokain. 35 Gramm der Droge und 5000 Euro Bargeld waren Ende Januar bei ihr zu Hause gefunden worden.
Sechs Tage später gab es eine zweite Razzia in ihrem Etablissement mit Namen „fiftynine“. In der Polizeimeldung hieß es damals: „Beamte haben eine Drogenparty in einer Bar in Wilmersdorf beendet und eine Drogenhändlerin festgenommen.“
Die Stimmung war gut
Sven G., 48, gepflegt, Lederjacke, Gelegenheitskokser, hilft ihr, ihre Habseligkeiten in einen Transporter zu packen. Er erzählt von der Razzia in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar – der Geburtstagsnacht von Hildegard H. „Zwei Minuten vor zwölf sind die hier rein mit zwei Mannschaftswagen. Alle mussten sich ausziehen, die haben uns auf der Toilette in den Hintern geguckt.“
Es seien aber nur bei drei Gästen geringe Mengen Kokain gefunden worden. Hildegard W. sagt, dass sie nur mit der Droge gehandelt habe, um ihren Eigenbedarf zu decken. Sven G. sagt, im Bundestag würden die das ja auch alle machen. Da sollte man mal die Toiletten nach Kokainspuren überprüfen. „Aus einer Mücke wird ein Elefant gemacht. Da haben sie aus Mutti n’ Paten gemacht“, sagt er. „Mutti“, so nennen sie Hildegard W.
Ein dunkelhaariger Mann kommt in die Kneipe und will Zigaretten kaufen. „Ja, Schätzelchen, da gehste hinten lang, dann gehste links und dann haste schon Automatico“, erklärt sie ihm den Weg. Die Nachbarn, die Gäste, alle mögen sie. Hildegard W. erzählt von ihrer Geburtstagsnacht, die Stimmung war gut.
Kartoffelsalat und Würstchen waren aufgetischt, kaum berührt. „Ein Kokser frisst ja nischt.“ Und dann kamen die Polizisten mit einem Rollkommando.
„Da findet man schnell Gefallen dran“
Hildegard W. sagt, dass sie erst vor etwa einem Jahr angefangen habe mit dem Koksen, sie sei ein „Frischling“. Im Hinterzimmer der Bar stehen Sofas und niedrige Tische. An die Wände der Kneipe hat ein Sohn von ihr stilisierte Stars und Pin-Up-Girls gemalt. Marilyn Monroe und Johnny Depp etwa. In der Toilette daneben klebt ein Verbots-Sticker, auf dem ein Mann zu sehen ist, der eine Frau im Stehen von hinten beglückt. Eine fetter roter Strich liegt darüber. Das soll man hier also nicht machen.
Hildegard W. betreibt seit vier Jahren die Kneipe. „Davor hab ick alleene fünf Kinder großgezogen, das war ein Fulltimejob“, sagt sie. Erfahrungen in dem Metier habe sie, denn sie sei ein „Kneipenkind“, ihre Eltern „hatten och ne Kneipe“. Irgendwann habe sie angefangen wie einige Gäste das weiße Pulver durch die Nase zu ziehen.
„Dann machen wir ne fette Party!“
Sorgen beschwichtigt sie vergnügt: „Wenn alles wieder im Reinen ist, dann machen wir ne fette Party!“Bienenstichkuchen und eisige Cola werden gereicht. Sven G. schüttelt den Kopf über die Zeitungsberichte über die „Koks-Omi“.
Die 76-Jährige sitzt auf einem Barhocker, ist ein bisschen nachdenklich geworden. Sie will ihren „kleenen Pfirsich“ anrufen, das ist ihr 42 Jahre alter Sohn John, eines ihrer fünf Kinder. Er hat die Bilder auf die Wände der Kneipe gemalt, auch ihm wolle die Polizei was mit Drogenhandel anhängen, dabei würde er nicht mal Haschisch rauchen. „Der is och janz taurig.“
Die „Mutti“ wartet auf ihren Verhandlungstermin, ein Ermittlungsrichter hat Haftbefehl mit Verschonung angeordnet. „Wir gehen davon aus, dass Frau W. auch nach der ersten Durchsuchung am 31. Januar noch weiterhin Drogen verkauft hat.
Deshalb gab es die zweite Razzia“, heißt es von der Polizei. Wie es aussieht, kann Hildegard W. die ganze Aufregung nicht verstehen.