Sie wollte Polizistin werden, schon als kleines Mädchen. „Ich hatte Respekt vor der Polizei“, sagt sie. „Wenn alle sich verkriechen, dann sind wir da. An Orte, wo niemand hin will, da gehen wir hin.“ Sie ist stolz auf ihren Job, stolz auf das, was sie und die Kollegen jeden Tag leisten.
Einmal, da musste sie Überstunden machen, obwohl sie längst auf dem Hochzeitsfest ihrer Cousine sein wollte. Am Ende hatte sie keine Zeit mehr sich umzuziehen, also betrat sie den Festsaal einfach, wie sie war, in Uniform. „Meine Eltern haben mich richtig gefeiert“, erzählt sie. „Da habe ich gemerkt, wie wichtig auch ihnen mein Beruf ist.“
Das Telefon klingelt. Die Beamtin drückt die Fußtaste unter ihrem Tisch. Jetzt kann sie der Anrufer hören. „Polizeinotruf Berlin.“ Es ist Herr Schneider* aus der Ringbahnstraße. Vor seiner Einfahrt parken vier Autos. Die Polizei möge bitte etwas unternehmen. Die Beamtin nimmt die Daten in einer Maske am Bildschirm auf. Die W-Fragen, wer, was, wo, warum? Sie hört zu, fragt nach, schreibt. Alles gleichzeitig. Sie prüft, ob das Ordnungsamt noch im Einsatz ist, und schickt den Auftrag weiter. „Bleiben Sie da, wir kommen.“
Es ist acht Uhr abends. Seit zwei Stunden läuft ihre Nachtschicht, zehn Stunden liegen noch vor ihr. Mit 40 Kollegen, alle in Uniform, sitzt die Beamtin in der Einsatzleitzentrale, ein lang gestreckter Raum im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Deutlich mehr Männer als Frauen, die meisten älter. Man braucht Erfahrung für den Job, muss einige Jahre Streife gefahren sein.
Drei Bildschirme pro Platz
Es ist halbdunkel, nur die Gesichter sind durch die Bildschirme erleuchtet. Jeder hat drei davon vor sich. Einer, auf dem man alle Einsätze sieht, einer für den aktuellen, den man selbst bearbeitet, einer mit einem Stadtplan. Auf der einen Seite des Raumes werden Notrufe angenommen, auf der anderen Einsätze in Auftrag gegeben, in der Mitte wacht über alles die Insel mit den Chefs.
Sie beobachten die Eingänge und werten sie aus. 1.296.009 waren es 2013. Wenn sich eine Lage entwickelt, wenn die Anrufe auf ein größeres Unglück hindeuten, wenn Verdacht auf Terror besteht, dann melden sie das weiter. Die Insel koordiniert auch Sondereinsätze. Wenn ein Hubschrauber gebraucht oder ein Gefangenentransport angefordert wird. Auch der Tierfang wird hier koordiniert.
Noch ist der Abend ruhig. Ein Anrufer hatte zu Beginn der Schicht gemeldet, ein Nachbar bringe sein Kind um. Es war aber falscher Alarm. Man kann selten Prognosen abgeben, wie die Nacht verlaufen wird. Es gibt nur zwei Regeln. Bei Vollmond rufen mehr Verrückte an. Entscheidender aber sei das Wetter. „Wenn es kalt ist, bleibt es ruhig. Wenn es heiß ist, dann glühen auch hier die Drähte.“ Lärmbelästigung ist neben Falschparken das häufigste Thema der Anrufer.
Falscher Alarm kommt immer wieder vor
„Polizeinotruf Berlin“. Eine Frau ist in der Leitung. Sie ist aufgeregt. Ihr Bekannter liegt leblos auf dem Sofa. Sie hat ihn so vorgefunden. „Wie ist ihr Name?“ Nicht alle Anrufer verstehen die Fragetechnik der Polizisten. Was tut denn der Name jetzt zur Sache? Sie wollte doch gerade erzählen, wie sie den Bekannten gefunden hat, fragen, was sie tun solle. Bestohlene wollen sagen, was in ihrer Tasche war. Aber die Polizistin muss eben vor allem Fragen zum Tatort und zum möglichen Täter stellen. Wichtiger, als dass die Angerufene alle Details kennt, ist, dass das Einsatzteam vor Ort sein kann.
„XX“ schreibt die Polizistin vor den Namen der Anruferin. Das bedeutet, dass die Frau auf Polizei und Notarzt warten wird. Herr Schneider ruft wieder an. Es sind keine fünf Minuten vergangen, aber er würde jetzt wirklich gerne wissen, wann denn „die Herrschaften von der Polizei“ gedächten, bei ihm einzutreffen. Im Hintergrund schimpft seine Frau.
Ob er noch einmal das Kennzeichen der Falschparker durchgeben solle? Die Polizistin bleibt freundlich, aber bestimmt. Call-Center-Mentalität, daran müssen sich jetzt alle hier gewöhnen. Auch wenn die Leute einen beschimpfen, und das tun einige, muss die Polizei freundlich sein. Der Bürger möge sich gedulden, die Kollegen seien verständigt.
110 steht auch für 1 Minute und 10 Sekunden
Auf ihrem Bildschirm laufen inzwischen Meldungen der Kollegen an den anderen Tischen ein. Auf einem Dach in der Manteuffelstraße steht eine Frauenhandtasche. Allein. Der Anrufer vermutet, dass die Besitzerin soeben in die Tiefe gesprungen ist. „VP“ schreibt der Polizist neben die Meldung. Verletzte Person. So läuft es in der Notrufzentrale.
Einer stirbt, einem läuft die Katze weg, einer wird beraubt, einem ist langweilig, einer hat sich nur verwählt, alle rufen die 110. Die Zahl steht auch für: 1 Minute und 10 Sekunden. Kaum ein Anruf dauert länger. Es ist wichtig, dass die Beamten die Gespräche kurz halten. Es ruft ja gleich wieder ein anderer Bürger an, vielleicht einer, der dringend Hilfe braucht.
Nur manchmal müssen die Polizisten länger in der Leitung bleiben, wenn jemand Angst hat, wenn er bedroht wird oder Anweisungen befolgen muss. „Das ist natürlich leichter vor Ort. Dann kann ich Blickkontakt halten. Die Bürger sind abgelenkt, wenn sie anrufen. Sie erleben eine akute Gefahr“, sagt die Polizistin.
Nicht jeder spricht verständliches Deutsch und weiß, wo er ist
Keinen warten zu lassen, ist bei der Personalstärke eine große Herausforderung. Es gab jüngst Kritik, deswegen werden jetzt strenge Statistiken geführt. 83 Prozent aller Anrufe wurden innerhalb von zehn Sekunden beantwortet. Die Zielvorgabe ist 90 Prozent.
In der Manteuffelstraße ist jetzt die Polizei vor Ort. Sie geben es in die Maske ein: Große Blutlache, Person weiblich. Das Telefon klingt. Ein Gast mit Hausverbot pöbelt andere Gäste an. „Wie heißt die Straße?“ Die Beamtin muss dreimal nachfragen.
Nicht jeder spricht verständliches Deutsch, nicht jeder weiß sofort, wo er ist. Für solche Fälle fragt die Polizistin. Was sehen sie? „Eine Berliner Sparkasse.“ In die Suchmaske kann sie „@Berliner Sparkasse“ eingeben. Sofort kommt eine Liste aller Orte. Es gibt auch @Kino oder @Tankstelle. „Ich schicke jemanden hin.“
Glückserlebnis Festnahme
Ist der Anrufer nervös, steigt auch der Adrenalinspiegel der Polizistin. „Aber ich muss ruhig bleiben.“ Einmal rief eine Frau an, komplett aufgelöst. Mein Freund erstickt, habe sie immer wieder gesagt, tun sie doch etwas. Die beiden hatten Fisch gegessen, eine Gräte war in seinem Hals stecken geblieben. Die Beamtin hatte die Einsatzkräfte alarmiert. Die Polizei ließ die Straße sperren, damit der Notarzt mit dem Hubschrauber landen konnte. Aber es half alles nichts. Der Mann starb.
„Stellen Sie sich das vor“, sagt die Beamtin. „Sie sitzen da mit ihrem Freund beim Abendessen, und dann erstickt er vor ihren Augen.“ Es gibt Einsätze, von denen kann sie sich nur schwer lösen. Manchmal beschäftigt sie ein Fall auch über den ganzen Abend. Ein Raubüberfall oder ein Einbruch zum Beispiel. Dann schaut sie immer wieder nach, was die Kollegen als Sachverhalt in die Maske eintragen. „Wenn dann da steht ‚Täter gestellt‘“, sagt sie, „dann ist das ein richtiges Glückserlebnis.“
„Die Einsatzleitzentrale“, sagt die Polizistin, „ist das Herzstück der Polizei.“ Das wollen nicht alle Kollegen so sehen. Der Job ist fordernd, nicht jeder ist froh, wenn er vom Streifenwagenfahren hierhin versetzt wird. Große Selbstverwirklicher sind hier nicht gefragt, eher Polizisten, die schnell und kontrolliert handeln. Kreativität wäre fehl am Platz.
Polizisten mit großer Leidenschaft für ihren Beruf
Die Menschen rufen ununterbrochen an, die Polizisten müssen in Sekundenschnelle entscheiden. Fährt jemand einen Strommast um, kann sie mit einem Knopfdruck Vattenfall verständigen. Eine Person im S-Bahn Gleis? Mit einem anderen Button ist sie sofort bei der BuPol, der Bundespolizei. In der Einsatzleitzentrale, der ELZ, läuft alles über Abkürzungen. TP – Tote Person, Pol-Präs – Polizei Präsidium, PFST – Personalienfeststellung, DVONK – Diebstahl von Kraftfahrzeug. Ex – Exhibitionist. Für ganze Worte fehlt die Zeit. Die Vorgänge werden mit Farben gekennzeichnet. Rot steht für den Verdacht auf Tötung, blau für eine Verkehrsbehinderung, der Rest ist schwarz.
Die Wachleitung will sich bemühen, jüngere Leute in der Einsatzleitzentrale einzusetzen. Polizisten mit großer Leidenschaft für ihren Beruf. Es scheint in diesem Fall geglückt zu sein. Nach einer Stunde wechselt die Polizistin auf die andere Seite des Raums. Dort wird sie Einsätze veranlassen.
Alle Polizisten wechseln mehrmals in der Schicht die Aufgaben. Alle 24 Sekunden ein Anruf– länger als eine Stunde am Stück hier zu sitzen, ist nicht zumutbar. Zwischen Mitternacht und ein Uhr ist es besonders anstrengend, dann wird alle sechs Sekunden ein Anruf angenommen.
Mit Touristen und Künstlern kommen auch Kriminelle
Die Wachleiterinsel ist mit drei Beamten besetzt. Von hier hat man im Blick, was in der Stadt passiert und wie es sich entwickelt. „Berlin zieht alles an“, sagt der Wachleiter. Mit den Touristen und den Künstlern kommen auch die Kriminellen. „Die Zahl der Einsätze hat stark zugenommen.“ 2011 waren es noch 1830 Funkwageneinsätze, 2012 schon 1913 pro Tag.
Auch in allen anderen Bereichen sind die Anforderungen an die Polizisten gestiegen. Polizei ist Ländersache, und jedes Bundesland hat ein anderes Polizeigesetz. Die EAÜ zum Beispiel, die Elektronische Aufenthaltsüberwachung per Fußfessel, hat den Berlinern mehrere Ordner über ein paar einstige Sexualstraftäter verschafft, die von Bayern nach Berlin gezogen sind. Ihre Straftaten sind verbüßt, deswegen ist die Maßgabe für die Berliner Polizei, keine Maßnahme zu ergreifen.
Fährt allerdings ein Träger einer Elektronischen Fußfessel mit der S-Bahn und überquert so einmal kurz die Landesgrenze nach Brandenburg, dann wird das automatisch in der Einsatzleitzentrale in Berlin und in der zentralen Stelle in Frankfurt gemeldet. Die Frankfurter melden auch, wenn die Batterie der Fessel leer ist. Bislang kam die Berliner Polizei da allerdings nicht zum Einsatz, die Fußfesselträger luden selber auf.
21.30 Uhr: Überfall auf Supermarkt
Auf dem Bildschirm laufen neue Meldungen ein. Verdacht auf Vergewaltigung an der Warschauer Brücke, ein Überfall auf einen Supermarkt in Schöneberg, zwei Verdächtige auf der Flucht. Es ist halb zehn. Wenn eine Gefahrenlage größer wird, wenn sie mehr Einsatztruppen oder Koordination braucht, dann kommen die Polizisten der Wachinsel ins Spiel.
Sie wiederum kommunizieren mit einem anderen Raum im Polizeipräsidium, in dem die „Chefs der Nacht“ wachen. Wenn geschossen wird in der Stadt, wenn ein Kollege schießen muss, wenn ein ICE entgleist oder ein Flugzeug kein Signal sendet, wenn der Polizeipräsident oder der Innensenator geweckt werden müssen. Die Informationen kommen von den Streifenwagen. „Wir sind auf die Augen und auf die Füße angewiesen, die draußen unterwegs sind“, sagt der Leiter.
Die Chefs der Nacht haben gerade zu Abend gegessen. Thai Curry. Es ist elf Uhr. Jetzt sitzen wieder alle Polizisten vor ihren Bildschirmen. „Wir müssen den Finger ständig am Puls der Stadt haben“, erklärt der Leiter. „Wir müssen wissen, welche Situationen gerade sensibel zu behandeln sind.“ Und was ist das momentan? „Alles, was mit Flüchtlingen zu tun hat.“
Verlassene Kühlbox am Hauptbahnhof
Die Chefs der Nacht denken für Berlin, das aber bundesweit, wenn nötig weltweit. Wird auf einem anderen Kontinent die US-Botschaft angegriffen, so muss überlegt werden, ob nicht auch die US-Botschaft in Berlin geschützt wird. Jüngst gab es ein elf Monate altes Baby mit einem Herzfehler, das zum Spezialisten nach Berlin sollte.
Das Kind war in den Niederlanden, Polizeieskorten sorgten dafür, dass es so schnell wie möglich in die deutsche Hauptstadt kam. Jedes Bundesland stellte Beamte zur Verfügung. Auch um so etwas kümmert sich die Zentrale, auch tagsüber. Vor ein paar Tagen gab es eine verlassene Kühlbox am Hauptbahnhof. Dass der Fall nicht so große Wellen schlug, ist dem schnellen Einsatz der Polizei zu verdanken. Man fand schließlich doch nur Bierflaschen in der Box, aber jeder weiß, dass solche Vorfälle anders ausgehen könnten.
Zurück zur ELZ. Um den Polizeinotruf zu entlasten und um den Bürgern, die nicht in einer akuten Notlage sind, dennoch eine Anlaufstelle zu bieten, hat die Polizei den Bürgerservice erfunden. Seit sieben Jahren gibt es nun das Bürgertelefon, seit drei Jahren ist die Internetwache dazu gekommen. Der diensthabende Polizist hat sogar fünf Bildschirme vor sich. Die drei, die alle haben, einen, auf dem N24 läuft, und den für die Internetwache.
Beliebte Internetwache
Die Internetwache ist besonders beliebt bei Freizeit-Ordnungshütern. Die meisten sind den Polizisten längst namentlich bekannt. Antworten auf die Acht-W Fragen können in eine Maske eingetragen werden, aber da es keine Begrenzung der Zeichenzahl gibt, holen einige gewaltig aus. Andere behandeln konkret gemeinte Fragen philosophisch. Zum Beispiel die Frage „Warum ist es geschehen?“ Da schildert dann Herr Hübner ausführlich und in Berufung auf den Zeitgeist, warum es immer mehr Falschparker gebe. Am häufigsten aber werden hier Fahrraddiebstähle angezeigt.
Der Polizist macht sich an die Bearbeitung. Ein Bürger zeigt an, er sei überfallen worden, ihm seien Handy und Portemonnaie geklaut worden und die Täter hätten ihm in den Magen geboxt. Warum er den Überfall erst sechs Tage später über Internet meldet, ist nicht ganz klar. Der Polizist schickt die Anzeigen weiter an die zuständige Direktion.
Im Durchschnitt gibt es 200 E-Mails am Tag, 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Am meisten gestiegen sind die Strafanzeigen, um mehr als ein Fünftel. Ein anderer Wert ist hingegen deutlich zurückgegangen: Es gibt 22 Prozent weniger Beschwerden, dafür 13 Prozent mehr Dank. Auch hier schlägt sich übrigens nieder, wie international die Stadt geworden ist. Die Zahl der fremdsprachlichen E-Mails ist um 14 Prozent gestiegen.
Der Polizist gehört zu den älteren Beamten in der Nachtschicht. Er ist seit vierzig Jahren im Dienst. Warum er Polizist werden wollte? Er streicht sich über den Schnäuzer. „Ich wollte Gerechtigkeit“, sagt er dann. Am Anfang sei er am liebsten „Funke“ gefahren. „Dann aber wird man ruhiger.“
Unzählige Varianten des Enkeltricks
Das Bürgertelefon klingelt. Eine Frau ruft an, ihr Betriebssystem ist gesperrt. Sie hat eine Aufforderung vom „Bundeskriminalamt“ bekommen, sie möge 150 Euro überweisen. Dann war auf einmal der Bildschirm eingefroren. Der Polizist ist ein Profi, sollte er amüsiert sein, dann lässt er es sich nicht anmerken. Das Problem ist ihm gut bekannt. Bevor die Frau es ihm sagt, weiß er schon: Sie hat auf Porno-Seiten gesurft. Da fällt man leicht einem Betrüger zum Opfer, denn wer gibt schon gern bei der IT-Abteilung des Unternehmens zu, was man sich angeschaut hat. Dann doch lieber 150 Euro irgendwohin überweisen.
Solche Anzeigen gibt es häufig, auch in der Internetwache. Ein Mann wurde von einer Firma angerufen, er habe 38.000 Euro gewonnen, müsse sich, um den Gewinn zu erhalten, erst Paysafe-Karten im Wert von 700 Euro besorgen. Deren Daten fragt die vermeintliche Firma dann ab und taucht unter. Mit den 700 Euro. Anderen erzählt man, sie hätten ein Auto gewonnen. Unzählige Varianten des Enkeltricks, der Polizist kennt sie alle.
Er arbeitet gern beim Bürgertelefon. „Ich kann mich hier viel selbst einbringen“, sagt der Polizist und lächelt. „ Ich kann hier etwas bewegen. Ich kann sogar die U-Bahn anhalten.“ Verändert habe sich in den letzten Jahren vor allem die Anspruchshaltung der Bürger. Es müsse alles immer sofort geschehen. Verändert hat sich aber auch der Schichtdienst der Beamten. Die ständig wechselnden Anfangs- und Schlusszeiten gäben dem Körper kaum Möglichkeit, sich auszuruhen.
0 Uhr: 63 Funkwagen im Einsatz
Es ist Mitternacht. 63 Funkwagen sind im Einsatz in Berlin. Fast alle Anrufplätze sind belegt. Manchmal dringen Gesprächsfetzen durch den Großraum der Einsatzleitstelle. „Machen Sie bitte die Musik leiser, ich kann sie nicht verstehen.“ „Reden Sie bitte nur mit mir, also, wo sind sie?“ „Was für eine Farbe hatte die Jacke des Täters?“ In Spandau ist ein Auto geklaut worden. DVONK. Ein Balkon brennt in der Fasanenstraße: F. In der Kurfürstenstraße verprügelt ein Mann seine Frau. HSG.
Am Bürgertelefon gibt es Anrufe aller Art. Einmal fand jemand im Hafen von Gibraltar ein Schiff, von dem er glaubte, es sei geklaut. Der Fall wurde mit der Polizei vor Ort geklärt. Der Anrufer hatte Recht. Einmal vergaß ein Reisebus eine Frau an einer Tankstelle. Sie kam aus dem Kosovo und war unterwegs zu ihrer Familie nach Schweden. Jetzt stand sie da, mitten in Brandenburg, ohne Geld.
Manchmal rufen auch Leute an, die sich einfach nur verlaufen haben. Dann sucht der Polizist in der Schicht nach Kollegen, die in der Gegend wohnen, damit die anhand der Ortsbeschreibung rauskriegen, wo der Bürger ist. Es gibt auch schwierige Anrufe. Häufig rufen Menschen in seelischen Notlagen an und drohen mit Suizid. Aber wer anruft, das weiß der Polizist, der will reden und leben, der will nicht sterben.
Gerechtigkeit gibt es nicht
Trotz 40 Jahren im Job gibt es immer noch Dinge, die den Polizisten aufregen. Wenn Jugendliche Senioren beklauen zum Beispiel. „Es gibt so viel Elend, das durch einen einfachen Raub ausgelöst wird: Zwei Idioten entreißen einer älteren Dame die Handtasche. Die haben davon nur ein paar Euro. Die Dame aber fällt hin, bricht sich den Schenkel und landet im Krankenhaus. Die meisten erholen sich davon nicht wieder. Da hat ein Mensch 80 Jahre gelebt und dann muss er sterben, nur weil zwei Bengel einen Zehner haben wollen.“
Auch ihm gehen manche Einsätze nach. Wie der der Kollegin, die zu einem Unfall gerufen und dann verprügelt wurde, weil sie sich einmischte. Vor ein paar Tagen übten andere Verkehrsteilnehmer Gewalt gegen einen Autofahrer aus, der an der Roten Ampel gehalten hatte. Was der Polizist am schlimmsten findet: „Ein Mann, der sich an die Regeln hält, bekommt Ärger, und die Bevölkerung regt sich nicht mehr auf.“
Und was ist aus der Gerechtigkeit geworden? Der Polizist lächelt. „Die gibt es nicht“, sagt er, „es gibt nur Glück.“
*Alle Namen und Einsatzorte sind geändert

Foto: Infografik Berliner Morgenpost