Am 3. November sollen die Berliner beim Volksentscheid über die Zukunft der Energieversorgung abstimmen. Die Morgenpost stellt die Positionen des Berliner Energietisches und des Senats vor.

Der Senat ist am Dienstag der Linie der Koalitionsfraktionen im Abgeordnetenhaus gefolgt und hat den Bürgern ausdrücklich empfohlen, beim Volksentscheid zur Energiepolitik am 3. November mit Nein zu stimmen. Der Volksentscheid sei überflüssig.

Der Berliner Energietisch hatte in einem erfolgreichen Volksbegehren die Volksabstimmung durchgesetzt. Es geht um die Gründung eines Öko-Stadtwerkes, das saubere Energie erzeugen und verteilen soll sowie um die angestrebte Übernahme des Berliner Stromnetzes durch eine kommunale Netzgesellschaft, die zum Zuge kommen soll, wenn 2015 die Konzession für eine Tochterfirma des Energiekonzerns Vattenfall ausläuft.

Die Fraktionen von SPD und CDU hatten sich nach längerem Hin und Her vergangene Woche auf eine gemeinsame Position zum Volksentscheid verständigt. Die beiden Seiten hatten sich dabei auf die gemeinsame Kritik am Gesetzesentwurf des Energietisches beschränkt. Ihre unterschiedlichen Einschätzungen über Sinn und Unsinn des Vorhabens insgesamt hatten sie ausgeklammert. Denn während die SPD ein Stadtwerk sowie das Stromnetz in Landeshand befürwortet, ist die Union skeptisch.

Senat sammelt Gründe gegen Volksentscheid

Wie die Parlamentarier haben sich auch die Senatoren verhalten. Sie verzichteten weitgehend auf politische Bekenntnisse und beschränkten sich auf die Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Gesetzestext. In der Senatspressekonferenz präsentierten Wirtschaftssenatorin Cornalia Yzer (CDU), deren Skepsis gegenüber beiden Projekten bekannt ist, und Senatskanzleichef Björn Böhning (SPD) die Haltung des Senats. Sie sollten darauf achten, dass der jeweils andere nicht weitergehende Interpretationen des Beschlusses abgebe, hieß es aus Koalitionskreisen.

Am Montag war noch von vier Gründen die Rede gewesen, die gegen den Gesetzesentwurf sprechen und die in der Informationsbroschüre zum Volksentscheid dem Energietisch-Plan gegenüber gestellt werden. Geeinigt haben sich die Senatoren nur auf drei Gründe. So sieht der Senat erhebliche Haftungsrisiken ohne ausreichende Kontrolle aus dem Stadtwerk und fordert die Bürger auf, gegen „finanzielle Risiken in Milliardenhöhe“ zu stimmen. Die geforderte Netzgesellschaft sei bereits gegründet, zudem verbessere der Gesetzentwurf des Energietisches nicht die Umwelt- und Klimaschutzpolitik in Berlin. Entfallen ist der vierte Grund, wonach das Stadtwerk nicht garantiert Gewinne mache und es für das Versprechen auf Strom-Sozialtarife keine Grundlage gebe.

Die Morgenpost analysiert die Positionen des Volksentscheids und des Senats:

Stadtwerk

Der Berliner Energietisch, ein Bündnis aus zahlreichen Initiativen und Organisationen vom BUND über attac bis zur Volkssolidarität möchte eine neue Energiepolitik in Berlin. Ein wichtiges Ziel ist ein Öko-Stadtwerk in kommunaler Hand. Das Stadtwerk soll erneuerbare Energien vertreiben und sukzessive eigene Kapazitäten zur Erzeugung erneuerbarer Energien aufbauen. Außerdem sollen sie übergangweise effiziente Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen bauen, mit denen Strom und Wärme gewonnen wird. Zweites Geschäftsziel der Stadtwerke soll die Senkung des Energieverbrauchs sein. Das wollen die Initiatoren erreichen, indem das Stadtwerk in Maßnahmen zur Energieeffizienz und -einsparung investiert.

Der Senat und die rot-schwarze Koalition verfolgen im Kern ähnliche Anliegen wie der Energietisch. Vor allem in der SPD haben die Ideen eines Stadtwerkes und einer Stromnetzkonzession in Landeshand viele Anhänger. Hauptargument des Senats gegen den Volksentscheid ist, dass dieser überflüssig sei. Die Koalitionsfraktionen haben vergangenen Herbst beschlossen, ein Stadtwerk aufzubauen. Der Gesetzentwurf ist im parlamentarischen Verfahren, soll noch vor dem Volksentscheid beschlossen werden. Umweltsenator Michael Müller (SPD) arbeitet an Plänen für ein Stadtwerk. Drei Millionen Euro sind dafür 2014/15 vom Senat eingeplant. Der landeseigene Betrieb Berlin Energie hat sich um die Stromnetz-Konzession beworben.

Organisation

Der Energietisch möchte Stadtwerk und Netzgesellschaft besonders demokratisch und transparent organisieren. Vorgesehen ist ein 15-köpfiger Verwaltungsrat, der die Geschäftsführung in der Rechtsform der Anstalten öffentlichen Rechts kontrollieren soll. Darin sitzen Wirtschafts- und Umweltsenator sowie sieben Beschäftigtenvertreter. Sechs weitere Mitglieder werden von den Berlinern direkt gewählt. Sammelt eine Initiative 3000 Unterschriften, wird sie vom Verwaltungsrat angehört, bei 5000 Unterschriften muss das Gremium über das Bürger-Anliegen eine Kundenbefragung durchführen. Eine Ombudsperson soll in Stadtwerk und Netzgesellschaft als Ansprechpartner und Beschwerdestelle für Bürger dienen.

Mangelnde Kontrollmöglichkeiten für Senat und Abgeordnetenhaus sind wesentliche Argumente des Senats. Anstalten öffentlichen Rechts, als die der Energietisch Stadtwerk und Netzgesellschaft organisieren will, unterliegen weitreichenden Haftungsverpflichtungen des Landes. Ohne Aufsicht durch Regierung und Parlament, wie sie in anderen Anstalten wie BVG oder BSR besteht, hafte der Steuerzahler für alle Aktivitäten der Stadtwerke. Daraus ergebe sich ein Milliardenrisiko für den Landeshaushalt. Ob die Regel des Gesetzentwurfs verfassungskonform ist oder nicht, ist umstritten. Selbst Befürworter des Volksentscheides räumen aber ein, dass die Initiatoren unterlassen haben, die Rolle des Gesellschafters Berlin festzuschreiben.

Soziales

Das Stadtwerk soll nach dem Willen der Volksentscheid-Initiatoren nicht nur die Produktion dezentral erzeugter Energie unterstützen sondern auch soziale Aufgaben übernehmen. Sein Auftrag ist, die Berliner mit Energie zu versorgen und „Energiearmut“ entgegen zu wirken. Das Stadtwerk soll verhindern, dass Bürgern der Strom abgestellt wird, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Es soll für eine „sozialverträgliche energetische Gebäudesanierung“ sorgen sowie sozial schwache Bürger bei der Anschaffung stromsparender Haushaltsgeräte unterstützen. Ansonsten arbeitet das Stadtwerk nach kaufmännischen Grundsätzen. Die Landeshaushaltsordnung findet keine Anwendung. Das Prüfungsrecht des Rechnungshofs von Berlin bleibt unberührt.

Die CDU-Seite des Senats hatte vor, die sozialen Versprechen der Volksentscheid-Initiatoren als Kritikpunkt aufzugreifen. Aus der Stellungnahme wurde dieser Passus auf Druck der SPD gestrichen. Aus dem Entwurf ist ersichtlich, wie zumindest die CDU denkt. Demnach gehen Teile des Senats davon aus, dass soziale Leistungen Sache der Politik seien und nicht an Unternehmen delegiert werden dürften. Wie der Energietisch Leistungen an sozial Schwache finanzieren wolle, sei offen. Sie bedeuteten höhere Energiepreise für die anderen Kunden. Gewarnt wird auch vor den Anlaufinvestitionen angesichts von mehr als 200 Unternehmen, die in Berlin Strom anbieten.

Netzgesellschaft

Der Energietisch möchte durchsetzen, dass Berlin eine Netzgesellschaft gründet, die die Elektrizität verteilt. Weil das Verfahren zur Vergabe der Stromnetz-Konzession begonnen hat, sieht der Volksentscheid vor, dass die landeseigene Berlin Energie, die sich am Wettbewerb beteiligt, nach einem Erfolg im Wege der Gesamtrechtsnachfolge mit seinem Betriebsvermögen auf die Netzgesellschaft übergeht. Die Mitarbeiter des bisherigen Konzessionärs, der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin, gehen ebenfalls über, hinzu kommen die Beschäftigten, die mit dem Netzbetrieb beschäftigt sind. Deren Tarifverträge bleiben gültig, betriebsbedingte Kündigungen sollen bis 2020 ausgeschlossen sein.

Der Senat verweist darauf, dass er bereits die Berlin Energie als Netzgesellschaft gegründet habe. Bundes- und europarechtliche Vorgaben machten es unmöglich, die Stromnetz-Konzession per Gesetz an eine kommunale Einrichtung zu übergeben. Ein Übergang der Berlin Energie auf die noch zu gründende Netzgesellschaft berge zudem erhebliche rechtliche Risiken. Der Senat warnt auch vor Erwartungen, der Netzbetrieb werde für das Land viel Geld abwerfen. Der Netzbetreiber sei nicht frei in seiner Preisgestaltung, da die Netzentgelte von der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Weil der Rückkauf des Netzes über Kredite finanziert werden müsste, könnte es allenfalls eine knappe Rendite geben, bei Missmanagement müsste Berlin zahlen.

Netz

Der Energietisch verspricht sich von einer Rekommunalisierung des Stromnetzes Einfluss auf die künftige Energiepolitik. Die städtische Netzgesellschaft solle sich an „ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit“ orientieren. Wie das genau im Falle des Stromnetzes geschehen soll, lässt der Gesetzestext aber offen. Der Energietisch weiß, dass ein Netzbetreiber verpflichtet ist, alle Arten von Strom diskriminierungsfrei durchzuleiten, also auch Strom aus Atomkraft oder Kohle. Dennoch gehen die Initiatoren davon aus, dass ein Netzbetreiber bei der künftigen Umgestaltung der Energieversorgung hin zu kleineren, dezentralen und erneuerbaren Anlagen mitgestalten kann.

Der Senat wirft dem Energietisch vor, mit seiner Zielsetzung, Berlin ausschließlich mit Öko-Strom zu versorgen, die Tatsachen zu ignorieren. Strom auch aus konventionellen Quellen müsse durchgeleitet werden. Schon heute müsse jede Anlage zur Erzeugung von erneuerbaren Energien angeschlossen werden. Das geschehe in Berlin. Neue Impulse für die Energiewende seien durch den Volksentscheid nicht zu erwarten. Der Senat sorgt sich auch um den Kaufpreis, den Vattenfall einem Übernehmer des Stromnetzes abverlangen würde. Experten gehen davon aus, dass die Gerichte aber nur einen solchen Preis zulassen, der sich in 20 Jahren Konzessionslaufzeit mit den von der Bundesnetzagentur genehmigten Erlösen wieder erwirtschaften lässt.