Im Streit über das Flüchtlingscamp am Oranienplatz will der Bezirk jetzt doch handeln. Bei einer Begehung sollen die hygienischen Zustände untersucht werden. Es gibt Klagen über Müll und Unrat.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat angekündigt, die hygienischen Zustände im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz zeitnah zu überprüfen. Anvisiert sei ein Termin in dieser Woche, sagte die neue Bezirksbürgermeisterin und Gesundheitsstadträtin Monika Herrmann. „Ich würde aber nicht von einer Kontrolle sprechen, sondern von einer Begehung“, versuchte die Grünenpolitikerin zu beschwichtigen.

Die Senatsgesundheitsverwaltung hatte in den vergangenen Tagen öffentlich und nachdrücklich eine Hygieneuntersuchung gefordert. Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) hatte indirekt außerdem damit gedroht, dem Bezirk seine Zuständigkeit zu entziehen und über die Fachaufsicht des Landes eine Auflösung des vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg geduldeten Protestcamps zu erzwingen.

Das Zeltlager der Flüchtlinge bezeichnete Krömer als „rechtsfreien Raum“. Der Druck aus der Landespolitik werde „täglich erhöht“, bestätigte Herrmann. Die Kritik insbesondere der CDU bezeichnete sie aber als Wahlkampfmanöver. „Dafür, dass das Gesundheitsamt hingeht und sich die Zustände anschaut, brauchen wir keine Senatsverwaltung“, so die Bezirkspolitikerin, die am 1. August den langjährigen Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg Franz Schulz (Grüne) ablöst.

Strengere Regeln für Sauberkeit

Eine Schließung des Flüchtlingscamps wäre nach ihrer Aussage auch nicht zwingend, sollte es bei der Begehung weiterhin Grund zur Beanstandung geben: „In dem Fall würde ich erneut hingehen und mit den Flüchtlingen und ihren Unterstützern noch strengere Regeln vereinbaren.“

Anlass für Beschwerden insbesondere aus der Nachbarschaft hatten zuletzt Müll, offen herumliegende Lebensmittel und Essensreste sowie der Standort des Toilettencontainers direkt vor einem Café gegeben. Letzterer wurde inzwischen durch den Bezirk auf die andere Seite des Oranienplatzes umgesetzt.

Wie schwierig die Organisation des Camps sich auch intern gestaltet, davon konnten sich Journalisten bei einer Pressekonferenz im Camp am Montagvormittag ein Bild machen. Anstatt zu den Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen Frauen Stellung zu nehmen, die erstmals im Mai von einer ehemaligen Unterstützerin im Internet geäußert worden waren, stritten sich die Flüchtlinge die meiste Zeit lautstark darum, wer überhaupt als legitimierter Sprecher auftreten dürfe.

Heterogene Zusammensetzung der Flüchtlinge

Defizite bei der Kommunikation bestätigte ein Mitglied der Unterstützergruppe. Die Zusammensetzung der Flüchtlinge – der Bezirk geht von rund 50 ständigen Bewohnern des Camps und der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule aus, laut Unterstützern sollen es zwischen 200 und 300 sein – sei heterogen. Der Kreis der Aktivisten ändere sich ständig, so der junge Mann, der sich als Jan vorstellte.

Flüchtlingsvertreterinnen aus dem Frauenbereich in der alten Schule verurteilten Gewalt gegen Frauen und Sexismus. „Wir haben die Augen nicht verschlossen, wir schmeißen solche Leute vom Camp“, so ein Unterstützer. Zugleich fühlen sich die Campbewohner aber auch instrumentalisiert. Bei den Vorwürfen gehe es um Stereotypen, die besonders Flüchtlingen gerne zugeschrieben würden.

Weder das vermeintliche Opfer der behaupteten Vergewaltigung noch der potenzielle Täter seien aber im Camp bekannt, hieß es. „Es gab keinerlei Kontakte“, so einer der Flüchtlingssprecher. „Wir haben hier mit etwas zu tun, was für uns noch ein Phantomdelikt ist.“

Verdacht auf sexuelle Übergriffe im Camp

Unter dem Pseudonym „fidicin“ hatte eine Unterstützerin im Mai auf der Internet-Plattform „indymedia“ anonym von ihrer Vergewaltigung berichtet und außerdem von mindestens zwei weiteren Fällen sexistischer Übergriffe gesprochen. Im Camp, so der Vorwurf des vermeintlichen Opfers im Internet, würden diese Delikte aber totgeschwiegen.

Die Polizei hatte ein Ermittlungsverfahren von Amts wegen eingeleitet, das möglicherweise mangels konkreter Hinweise oder einer Anzeige nun aber wieder vor der Einstellung steht. In den nächsten Tagen werde der Vorgang der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt, sagte ein Polizeisprecher der Berliner Morgenpost.

Skepsis angesichts der Zukunft des Flüchtlingscamps

In der Senatsgesundheitsverwaltung wurde die Initiative des Bezirks zur erneuten Hygienekontrolle begrüßt. „Wir gehen davon aus, dass die Infektionsschutzbeauftragte des Landes dabei sein wird“, sagte die Sprecherin von Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU), Regina Kneiding. Dies war von Landespolitikern bereits im Vorfeld gefordert worden.

Die Entscheidung, welche Konsequenzen aus der Begehung gezogen würden, sei allerdings Sache des Bezirks. „Wir können nur fachlich und personell begleiten“, so Kneiding. Skepsis angesichts der Zukunft des Flüchtlingscamps äußerte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Thomas Kleineidam.

Zwar gebe es in seiner Partei Sympathien für die Forderungen nach einer Änderung der Asylgesetzgebung. „Ich habe aber große Zweifel, ob die gewählte Form des Protestes hilfreich ist.“ In einer Demokratie könne es nicht angehen, dass ein Protest so lange fortgesetzt werde, bis der Bundestag die Gesetze beschließe, die man sich wünsche, so Kleineidam.

Rückführung an Herkunftsorte in den Bundesländern

Sollte es zu einer Auflösung des Lagers kommen, müsse eine Rückführung der Flüchtlinge in ihre Herkunfts-Bundesländer erfolgen, aus denen die ersten im Winter in einer Demonstration quer durch die Bundesrepublik in die Hauptstadt gekommen waren. Sie protestierten damit unter anderem gegen die Residenzpflicht sowie für eine Arbeitserlaubnis und eine liberalere Asylgesetzgebung.

Wochenlang hatten sie zunächst bei winterlichen Temperaturen auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor campiert, bevor der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ihnen eine Duldung aussprach. Auf eine Räumung der besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule, die zuvor zwei Jahre leer gestanden hatte, hatte der bisherige Bezirksbürgermeister Franz Schulz bewusst verzichtet. „Es hat aber niemand einen Anspruch darauf zu sagen, Berlin muss mir eine Unterkunft stellen“, verwies Kleineidam auf den unter den Bundesländern geltenden Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge.

Rückendeckung erhalten die Flüchtlinge aus der Fraktion der Linken im Abgeordnetenhaus. „Die in Berlin protestierenden Flüchtlinge wehren sich zu Recht gegen Stimmungsmache und pauschale Vorverurteilungen in der medialen Debatte“, so der flüchtlingspolitische Sprecher Hakan Taş. Für ihre Forderungen nach einem humanen Asylrecht hätten die Flüchtlinge weiterhin die volle Unterstützung der Linken.