Angler Ralf Behnke wirft seine Köder am liebsten mitten in Berlin aus. An der Jannowitzbrücke fischt der 52-Jährige regelmäßig Hecht, Aal und Plötze aus dem nicht immer ganz sauberen Wasser.

„Es gibt Wobbler, Blinker und natürlich auch Spinner“, sagt Ralf Behnke am frühen Morgen am Spreeufer. „Die Wobbler sind aus Holz oder Plastik. Die Blinker aus Metall. Und die Spinner, das sind kleine auf einer Achse rotierende Blätter.“ Der Friedrichshainer spricht von Fischködern. Je nachdem welchen Fisch man angeln wolle, eigne sich der eine oder andere Köder besser.

„Einen Karpfen angelt man zum Beispiel am Besten mit einem Boili“, erklärt der gelernte Binnenfischer. Der Boili sei eine große harte Kugel. So groß – eine normale Plötze könne die gar nicht fressen. „Aber der Karpfen, der hat so einen großes Maul, der könnte ein ganzes Brötchen einatmen.“ Behnke wirft die Schnur seiner Angelrute über das Spree-Geländer. „Aber vor allem ist es Überzeugungssache, mit welchem Köder man Fischen geht.“

Seit 23 Jahren ist Deutschland wiedervereinigt. Deutschlands Ost- und Westangler haben die Vereinigung aber erst in diesem Jahr vollzogen. Die Ost-Organisation DAV „Deutscher Angler Verband“ und das West-Pendant „Verband Deutscher Sportfischer“ (VDSF) haben sich im Frühjahr dieses Jahres, nach jahrelangen Diskrepanzen, endlich zum DAFV zusammen geschlossen.

Es ging um Eitelkeiten und Posten

Rund 800.000 Mitglieder hat der neue Verband. Ralf Behnke ist seit 32 Jahren Mitglied beim DAV. Der 52-Jährige war Berliner Landesgewässerwart und Jugendreferent. Jetzt hofft er, beim neu gegründeten DAFV wieder für die Jugendarbeit zuständig zu sein. „Die Angler an der Basis haben, so wie ich das an Berliner Ufern mitbekommen habe, nie ein Problem miteinander gehabt. Diese Unstimmigkeiten waren immer auf die höheren Etagen beschränkt.“ Es sei um Eitelkeiten gegangen. „Auch um Posten“, sagt Behnke.

„Aber jetzt haben sie es ganz geschickt gelöst: Der neue Präsident ist weder der alte von DAV, noch der alte vom VDSF.“ Behnke grinst: „Sie haben eine Frau geholt. Von außen.“ Mindestens einmal die Woche geht Behnke fischen. „Großstadtfische gehen meistens ganz früh morgens oder später am Abend fressen. Da ist es am ruhigsten“, weiß der Angler. Und dieser Umstand kommt ihm ganz gelegen. Ihm gehört ein Anglerbedarf-Geschäft. Jeden Tag steht er dort hinter dem Tresen und verkauft und berät. „Also angele ich vor zehn Uhr morgens oder nach 18 Uhr abends. Nachtfischen ist seit diesem Jahr in Berlin auch wieder erlaubt.“

Mögen Fische Glitzer?

Behnkes Köder der Wahl ist heute ein Kopyto: Ein gelber Gummifisch mit eingearbeitetem Glitzer. Mögen Fische das? Glitzer? „Die Partikel in dem Köder sollen Reflektionen im Wasser hervorheben“, sagt er und guckt auf das Wasser unter ihm. „Aber die Spree ist natürlich sehr trübe.“ Das Glitzern wird wenig bewirken. Wohl aber der Bleikopf des Kopyto. Dank ihm taucht der Gummifisch bis auf den Grund. Die Schnur sinkt langsam ab. Wird einer anbeißen?

„Meistens gehe ich am Kupfergraben angeln. Der ist schön groß und lang“, sagt Behnke. Weil dort aber auch immer so viele Touristen seien und ihn immer wieder fragten: „Was? Hier kann man angeln? Kann man die Fische denn auch essen?“ habe er sich mittlerweile eine Deutsch-Englisch-Übersetzungsapp auf sein Handy geladen, damit er sich mit den Touristen auch gut verständigen könne. „Da kommt ja alles vorbei: Spanier, Japaner. Alles“, sagt Behnke. Und er kläre sie gern auf. In der Spree gibt es Karpfen, Welse, Rapfen, Barsche, Aale und Zander zu erbeuten. Und ja, er esse die auch. „Entweder kommen die in den Kühlschrank, um später gegrillt zu werden, oder ich räuchere sie“, sagt Behnke. Einzig den Berliner Aal sollte man in Maßen genießen. „Der hält sich vorwiegend am Grund auf. Kann schon mal sein, dass der Schwermetalle aufnimmt. Von dem darf man nicht mehr als ein Kilo im Monat essen.“

Eine halbe Stunde ist vergangen. Bisher kein Biss. „Aber der Zander ist dafür bekannt, dass er einen sehr unauffälligen Biss macht“, gibt Behnke zu Bedenken. Manchmal komme es nämlich vor, dass ein Zander längst gebissen habe, aber man bemerke es gar nicht richtig. „Natürlich gibt es auch Fische, die ziehen einen mit der Rute ins Wasser, aber es gibt eben auch unauffällige Beißer. Da muss man sich konzentrieren.“ Ein Zander stehe zudem gern mal im Schutz einer Brücke oder eines Schiffsanlegers. „Da muss man die Angel gezielt auswerfen.“ Gesagt. Getan. Behnke kurbelt seine Schnur ein, um den Köder dann gezielt neben einen Pfeiler der Jannowitzbrücke zu werfen. Im Hintergrund fährt die S-Bahn vorbei.

Er redet viel, während er wartet

Ralf Behnke sitzt nicht beim Angeln. Trägt auch keine Stiefel und keine Tarnkleidung, sondern normale Straßenschuhe und T-Shirt. Und er redet viel ,während er auf den Fisch wartet. „Das, was ich hier mache, nennt man Streetfishing. Man steht und angelt aktiv. Das heißt man wirft den Köder immer wieder neu aus.“ Da es in der Stadt immer laut sei, müsse man beim Streetfishing auch nicht schweigen. Und da er hier auf Beton stehe und nicht auf einem unbefestigten Ufer, könne er auch hin und herlaufen. „Das stört die Großstadtfische nicht.“

Streetfishing sei der Gegenentwurf zum gemütlichen Fischen auf einer Bank, wo man die Position der Angel den ganzen Abend nicht ändere und nebenher mit Freunden gemütlich ein Bier trinke. „Aber ob aktives oder inaktives Fischen: Für mich ist das immer ein Vorgang, bei dem ich meine Gedanken sehr gut sortieren kann“, sagt Behnke. „Obwohl, wenn ich in Brandenburg in der Natur angele, ist das manchmal auch ein so intensives Naturerlebnis, dass ich später gar nicht mehr weiß, was ich gedacht habe. Dann gehe ich einfach in dem Fischen auf.“

Ein Jugend-Karpfenteich in Pankow

Streetfishing sei in Berlin besonders bei den jungen Menschen beliebt. „Die tragen keine Tarnkleidung. Die tragen bunte Klamotten, hören Musik über ihr Smartphone und angeln im Stehen.“ Aber Angeln sei in Berlin dennoch kein Jugendtrend. „Das Angebot ist hier einfach so vielfältig. Wie viele andere Vereine auch, haben wir ein Nachwuchsproblem.“ Behnke bedauert das. Angeln empfindet er als ausgesprochen wertvoll. Wertvoller als vor dem Computer zu sitzen. „In Pankow haben wir sogar extra einen Jugend-Karpfenteich. Da dürfen die Erwachsenen nicht ran“, sagt er.

Der Friedrichshainer fischt, seit er fünf Jahre alt ist. Und seit er elf ist, führt er ein Fangbuch. Für heute gibt es allerdings keinen Eintrag. In zwei Stunden wollte keiner den gelben Glitzerfisch beißen. „Heute bleiben wir Schneider“, sagt Behnke. Das sagt man so im Fischerjargon. Wenn man leer ausgeht.