Pleiten, Pech und Pannen – das Flughafen-Debakel steht in einer langen Berliner Tradition. Schon früher war die Stadt mit Blamagen, Flops und Luftnummern in die Schlagzeilen geraten.
Cornelia Tomerius hat jetzt einige dieser Geschichten zusammengetragen – in ihrem Buch „Ach du dickes B – Eine Berliner Pleitengeschichte“ (Berlin-Verlag, 12,99 Euro).
Dabei geht es unter anderen um die Garski-Affäre, die Olympia-Bewerbung und das Tempodrom – und den sprichwörtlichen Berliner Größenwahn, der zum Beispiel in Kombination mit viel Pech dazu geführt hat, dass Ende des 19. Jahrhunderts eine großspurig angekurbelte Weltausstellung buchstäblich ins Wasser fiel.
Berliner Morgenpost: Wir haben das Debakel um den Flughafen, die Bauprobleme bei der Staatsoper und am Hauptbahnhof sind auch ein paar Schrauben locker. Brauchen wir jetzt wirklich noch ein Buch über die Pleiten der Hauptstadt?
Cornelia Tomerius: Wie diese Beispiele schon zeigen, gehört das Scheitern zu Berlin wie die Currywurst und der Fernsehturm. Aber statt die permanenten Pleiten anzuerkennen und anzunehmen, wird ihnen meist nur mit Spott und Häme begegnet. Wenn man sich mit diesen Geschichten jedoch einmal genauer auseinandersetzt, entdeckt man auch sehr viel Schönheit im Scheitern, den Witz im Wahnsinn, den Glanz im Debakel. Das möchte mein Buch zeigen.
Woran liegt es eigentlich, dass in Berlin so viel schief geht?
Ich habe anhand der Einzelfälle natürlich geschaut, ob es etwas Berlintypisches an diesen Pleiten gibt. Dabei konnte ich zwar keine Formel finden, die man auf alle Pleiten anwenden kann, aber ein paar Parameter identifizieren – also Gründe, Aspekte, Rahmenbedingungen, die sehr oft vorkommen und viel über das Wesen der Stadt verraten.
Ich nehme an, einer davon ist der Berliner Größenwahn?
Der ist von Anfang an natürlich immer dabei. Schon 1896 bei der Verhinderten Weltausstellung war er die treibende Kraft ins Desaster. Damals wollten die Berliner gern eine Weltausstellung ausrichten, so wie es Paris und London zu der Zeit abwechselnd taten. Doch der Kaiser lehnte das Vorhaben ab. Er fand es zu teuer und Berlin dafür zu klein. „Ausstellung is nich“, ließ er verlauten. Die Berliner indes wollten sich ihren Traum, ganz oben mitzuspielen, nicht so einfach nehmen lassen. Kurzerhand erklärten sie einfach die nächste lokale Gewerbeschau inoffiziell zur Weltausstellung und motzten sie dementsprechend auf: auf dem Ausstellungsgelände im Treptower Park wurde sogar ein See angelegt und neben Pavillons für 3800 Aussteller eine Pyramide aufgebaut – für die Sonderausstellung Kairo.
Aber es war eine Pleite?
Zunächst war es tatsächlich ein großes Spektakel und das Ereignis der Saison. Allerdings kamen nicht so viele Besucher, wie hätten kommen müssen, damit sich die gigantische Ausstellung gerechnet hätte. Denn leider hat es an 120 von 165 Ausstellungstagen geregnet und so kam zum Größenwahn auch noch Pech dazu.
Das Wetter ist ja auch regelmäßig am S-Bahn-Chaos Schuld. Ist es typisch für Berlin, die Schuld an der Misere bei anderen zu suchen, und gern auch bei den Wetter- oder Bodenverhältnissen?
Es ist auf jeden Fall nicht untypisch, das zu tun oder sich ewig rauszureden, weil man oft nicht wirklich Verantwortung übernehmen mag. Aber dieses Verhalten kommt auch nicht von ungefähr. Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, hatten die Berliner in ihrer Stadt oft nicht viel zu sagen, sprachen immer andere mit: die Siegermächte nach der Teilung oder später der Bund, als Berlin Hauptstadt wurde. Hinzu kommt, dass die Stadt auch finanziell nie wirklich auf eigenen Beinen stand. Während der Teilung wurden die jeweiligen Halbstädte vom Rest der Republik gepäppelt. Man hat es offenbar nie wirklich gelernt, mit Verantwortung oder Geld umzugehen.
Das klingt ein bisschen, als wäre Berlin noch nicht so recht erwachsen.
Da ist sicher etwas dran. Wenn man sich Berlin im Vergleich mit anderen Metropolen anschaut, sieht man ja auch sofort, dass es vergleichsweise klein ist. Und so verhält es sich zuweilen auch: wie das kleine Geschwisterkind, das gern all das hätte, was die Großen auch haben – in diesem Fall etwa ein Riesenrad oder Olympia oder, wie anfangs beschrieben, die Weltausstellung –, stolpert den anderen aber immer etwas ungeschickt hinterher. Dabei offenbart sich dann immer die große Diskrepanz zwischen Wollen und Können, zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex, zwischen Weltstadtanspruch und Provinzialität.
Viele der Pleiten haben aber noch einen ganz anderen Grund, da geht es um Vetternwirtschaft und Bestechung, um diese Interessenvermischung von Politik und Wirtschaft, wie etwa beim Steglitzer Kreisel in den 70er Jahren oder dem Antes-Skandal in den 80ern.
Das Interessante ist ja, dass die Verfilzung eine lange Tradition hat in Berlin. Gleich am Anfang der Geschichte von Großberlin, das 1920 aus Alt-Berlin und den Vororten gegründet wurde, gab es einen großen Skandal. Damals hatten die Brüder Sklarek mehrere Bürgermeister und Bankangestellte geschmiert, um das Monopol ihrer städtischen Kleiderfirma zu sichern und Kredite zu bekommen. Denn sie lebten auf großen Fuß, waren stadtbekannte Playboys im Berlin der Zwanziger. Der Filz von Berlin wurde also mit den Textilhändlern direkt von Fachleuten initiiert – und war vielleicht auch deshalb so nachhaltig.
Als der Skandal 1929 aufflog, stand auch der Name des Berliner Bürgermeisters Gustav Böß auf der Liste der Empfänger von Geschenken und Vergünstigungen.
Und dabei hatte er offenbar noch nicht mal gemerkt, dass er geschmiert wurde. Herr Böß hatte zwar festgestellt, dass die Rechnung für den Pelzmantel für seine Frau lächerlich niedrig war, aber sich gedacht, dass man ihm schmeicheln wolle oder ihn beeindrucken. Er hat dann das Geld, das er durch die niedrige Rechnung gespart hat, denen gegeben, die es damals in seinen Augen nötiger hatten als die Sklarekbrüder: dem Maler Max Pechstein und seinen beiden Schwägerinnen. Vor dem Untersuchungsausschuss und vor Gericht kam er damit allerdings nicht durch – und so stürzte der Bürgermeister, der Berlin bis dahin ziemlich gut durch die turbulenten Zwanzigerjahre manövriert hatte, am Ende sehr unglücklich über den Pelzmantel seiner Frau.
Sie schildern in Ihrem Buch 21 Berliner Pleitengeschichten. Haben Sie da eine Lieblingsgeschichte?
Im Prinzip sind das alles meine Lieblingsgeschichten, denn ich musste sie auswählen. An Pleiten und Pannen gibt es ja sehr viel mehr als diese 21. Aber es hat mir natürlich immer besonderen Spaß gemacht, wenn ich Geschichten ausgegraben habe, die mir nicht so geläufig waren. Als Zugezogene, zudem noch Ostdeutsche, war ich vor dem Fall der Mauer nie in West-Berlin und so fand ich zum Beispiel die Geschichte der M-Bahn, eine Art Minitransrapid für den ÖPNV, die in den 1980ern auf einer Strecke am Potsdamer Platz getestet wurde, sehr spannend und tragisch: Das ambitionierte Projekt ist letztlich daran gescheitert, dass etwas ganz Wunderbares geschah, nämlich die Mauer fiel.
Haben Sie selbst eine besondere Affinität zum Scheitern?
Es gibt sicher keinen Menschen, der noch nicht selbst schon mal auf irgendeinem Gebiet gescheitert ist: ob im Job, in der Liebe, mit der eigenen Firma oder in der letzten Klassenarbeit. Was mich betrifft, so wird man natürlich auch in meiner Biografie schnell fündig: Ich komme aus einem Land, das es nicht mehr gibt. Ich habe als Journalistin für verschiedene Medienprodukte gearbeitet, die es nicht mehr gibt. Und als freie Autorin ist die eigene Existenzsicherung ja auch nicht selten eine Herausforderung.
Was können Berliner aus Ihrer Sammlung der Pleiten der Stadt lernen?
Natürlich kann man immer, wenn etwas schief geht, daraus eine ganze Menge lernen. In diesem Fall über die Geschichte der Stadt, die Politik, die Umstände, die nicht selten einen besonderen Nährboden boten für die Pleitegeschichten dieser Stadt. Und vielleicht ist es auch etwas tröstlich für den Einzelnen, wenn man der Stadt beim Scheitern im großen Stil zusieht. Das relativiert ja auch die eigenen Probleme und Pannen. Und ganz nebenbei: Wer möchte schon in einer Stadt leben, in der immer alles funktioniert?