Ein Jahr nach Aufdeckung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hat der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, eine düstere Bilanz gezogen und der Kirche mangelnden Aufklärungswillen bescheinigt. Das Verhalten der Kirche könne gar zu ihrem Zerbrechen führen.

Der Jesuitenpater Klaus Mertes hat seine Kritik am Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen untermauert. „Es gibt ein klares Verweigern des Zuhörens“, sagte der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs der in Berlin erscheinenden „tageszeitung“. Es gebe eine „riesige Mauer, die nichts hören will von dem, was wehtun könnte, wenn man es anhört“, kritisierte Mertes. Der katholische Geistliche hatte vor einem Jahr als erster Missbrauchsfälle an seiner konfessionellen Schule öffentlich gemacht.

Wie Mertes weiter betonte, gebe es ein „Doppelleben innerhalb der Kirche“. So predige das kirchliche Lehramt „die einen Sachen“, gelebt werde aber etwas anderes. Das sei auf Dauer ein Zustand, der zum inneren Zerbrechen der Kirche führe. Der Jesuitenpater hatte bereits in der vergangenen Woche scharf kritisiert, dass der Umgang mit Sexualität in der katholischen Kirche sich nicht geöffnet habe.

Nach seiner Auffassung steht die Kirche noch lange nicht am Ende ihrer Aufklärungsarbeit. Aufklärung spalte eine Institution und führe zu einem unheimlich schmerzhaften Prozess. Dieser werde auch im nächsten Jahr noch nicht abgeschlossen sein, sagte der Pater.

Mertes hatte vor einem Jahr mit seinen Enthüllungen über Fälle sexuellen Missbrauchs durch Jesuiten an seiner Schule den Missbrauchsskandal offengelegt.

Mertes bilanzierte: „Es gibt für mich auch eine tiefe Entfremdung und Enttäuschung, wenn die Kirche anfängt – wie es manche getan haben – das Problem für sich dadurch zu lösen, dass sie auf andere mit dem Finger zeigt. Dass sie also das Thema nicht annimmt in seiner Größe und Tiefe.“

Mertes hält es für wichtig, dass die Bischöfe dem Unmut an der Basis zuhören. „Das ist ja eine der Konsequenzen aus dem Versagen der Verantwortlichen bei den Missbräuchen: Sie haben, als die Opfer versucht haben zu reden, nicht gehört“, sagte Mertes. Er glaube, dass sich die Kirche im vergangenen Jahr erheblich bewegt habe, aber das sei noch lange nicht genug. „Ohne ein Durchbrechen des Schweigens von innen her gibt es keine wirkliche Bewegung.“

Klaus Mertes (56) wechselt in diesem Jahr als Rektor nach St. Blasien im Schwarzwald. Am Canisius-Kolleg übernimmt dann der derzeitige Schulseelsorger Pater Tobias Zimmermann (43) die Leitung.