In Berlin gibt es offenbar einen neuen Fall von Missbrauch in der katholischen Kirche. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Pfarrer aus der Gemeinde St. Marien in Reinickendorf. Das bestätigte Stefan Förner, Sprecher des Erzbischöflichen Ordinariats. Auch von kirchlicher Seite würde ein Verfahren eingeleitet, sagte er. Der Diözesanadministrator, Weihbischof Matthias Heinrich, habe interne Untersuchungen in die Wege geleitet. „Der Pfarrer ist seit diesem Wochenende beurlaubt“, sagte der Sprecher und bestätigte damit einen Bericht des „Berliner Kurier“. Am Sonnabend habe der frühere Missbrauchsbeauftragte des Bistums, Dompropst Stefan Dybowski, die Gemeinde in der St.-Marien-Kirche informiert.
Bei dem Missbrauchsverdacht geht es um einen Fall aus den 90er-Jahren. Der Pfarrer soll damals als Kaplan in einer Steglitzer Kirchengemeinde einen 16 Jahre alten Jungen missbraucht haben. Was genau passiert ist und ob es zu einem wiederholten Missbrauch gekommen ist, wollte der Sprecher nicht sagen. Schon damals wusste die Kirche von dem Verdacht. Trotzdem war der Pfarrer und Seelsorger weiter in der Gemeinde tätig und wurde erst jetzt beurlaubt.
Nach Angaben Förners habe es seinerzeit ein Gespräch zwischen dem damaligen Oberhaupt des Erzbistums Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, und dem Pfarrer gegeben. Dabei habe sich der Beschuldigte dem Kardinal anvertraut. Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs sei nicht erfüllt gewesen, sagte der Sprecher. Daher habe man sich darauf geeinigt, den Beschuldigten in seinem Amt als Pfarrer und Seelsorger zu lassen.
Dass der Missbrauchsverdacht erst Jahre später bekannt geworden ist, sei aus Rücksicht auf das Opfer geschehen. Den Angaben zufolge wollte der damals 16-Jährige weder über die Tat sprechen, noch wollte er, dass andere davon erfahren. Auch eine Anzeige gegen den Pfarrer lehnte der Jugendliche ab. Vor einem Jahr hatte die Berliner Morgenpost die Debatte um sexuellen Missbrauch am Canisius-Kolleg ins Rollen gebracht.
Vergangenen Mittwoch hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte von sexuellem Missbrauch beschlossen. Demnach sollen Opfer bis zu 30 Jahre nach der Tat Schadenersatz einklagen und häufiger einen kostenlosen Anwalt in Anspruch nehmen können. Trotzdem geht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht von einer vollständigen Genugtuung für die Missbrauchsopfer aus. In ihrer wöchentlichen Videobotschaft sagte sie am Sonnabend: „Diese schrecklichen Taten können nie wieder voll gut gemacht werden.“