Viele Baustellen ärgern Anwohner und Autofahrer im Szeneviertel um den Helmholtzplatz. Gleich drei Straßen sind in dem kleinen Kiez ganz oder teilweise gesperrt. Für den Stadtrat gibt es dazu keine Alternative.
Es könnte ein ruhiger Sommer sein am Helmholtzplatz. Weniger Autoverkehr, weniger Abgase, weniger Parkplatzchaos. Doch die Realität sieht anders aus. Dass weniger Besucher als sonst mit dem Auto auf den Platz mit zahlreichen Kneipen und Restaurants kommen, hat nämlich einen Grund, der die Anwohner inzwischen weit mehr stört als der normale Verkehr: Baustellen. Statt Kiezidylle und Szeneatmosphäre bestimmen Lärm und Dreck den Alltag. Nicht eine, nicht zwei, drei Straßen in dem kleinen Viertel zwischen Danziger- und Stargarder Straße sind ganz oder teilweise gesperrt. Hinzu kommt die Großbaustelle an der Schönhauser Allee, wo noch bis zum Herbst die U-Bahn-Viadukte saniert werden. Und das ist noch nicht der Höhepunkt des Bausommers 2010. In dieser Woche sollen die Bagger auch an der Stargarder Straße zwischen Duncker- und Senefelderstraße anrücken. Zwei Monate später wird die Senefelder Straße zwischen Stargarder- und Hiddenseer Straße aufgerissen. ADAC-Verkehrsexperte Jörg Becker spricht von einer „katastrophalen Situation“ – nicht nur in Prenzlauer Berg sondern im gesamten Bezirk Pankow.
„Natürlich nervt das“, sagt Amanda Fernandez. Die 36-Jährige schiebt einen Kinderwagen über den Gehsteig der Dunckerstraße. Wo sonst der Verkehr von der Danziger Straße zum „Helmi“ rollt, zieht sich ein tiefer Graben entlang. Pflastersteine, Schutt und Reste von Wasserrohren türmen sich. Ein Bagger dröhnt. In einer der Baugruben zertrümmert ein Arbeiter marode Rohre mit dem Vorschlaghammer. Die Schläge hallen zwischen den Altbaufassaden wider. „Für mich ist das schon schlimm, aber schlimmer ist es für meinen kleinen Sohn Leo“, sagt Amanda Fernandez. An Mittagsschlaf ist für den erst sieben Monate alten Knirps seit Wochen nicht zu denken.
Ein vermeintlich Schuldiger für das Chaos ist bei vielen Betroffenen bereits ausgemacht: Stadtrat Jens-Holger Kirchner. Der Grünen-Bezirkspolitiker stand schon im vergangenen Jahr in der Kritik, als nahezu zeitgleich fast alle wichtigen Zufahrtstraßen nach Pankow zu Baustellen wurden. Nun trifft es Prenzlauer Berg, und wieder fragen die Anwohner: „Warum muss überall gleichzeitig gebaut werden?“ Der ADAC fordert gar, den Bezirken die Verantwortung zu entziehen. Straßenbaustellen sollten zentral vom Senat koordiniert werden.
Neue Fernwärmeleitungen
Kirchner hat durchaus Verständnis für den Ärger, sieht sich und den Bezirk aber als Leidtragende jahrelanger Versäumnisse. Senat, Bezirke, aber auch Verkehrsbetriebe und Versorger hätten ihre Anlagen vernachlässigt. Das Resultat laut Kirchner: „Berlin ist ein Schrotthaufen, was die öffentliche Infrastruktur angeht.“ Weil über Jahre nichts getan worden sei, müssten nun „ganze Netze erneuert werden“, sagt er.
Tatsächlich sind nur selten die maroden Straßen allein der Anlass für die Baustellen. An Duncker- und Raumerstraße ersetzen die Wasserbetriebe ihre brüchigen Leitungen. An der Pappelallee haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Tramgleise erneuert. An Stargarder- und Senefelderstraße wird der Energieversorger Vattenfall Fernwärmeleitungen bauen. Selbst an der Oderberger Straße, die derzeit umgestaltet wird, nutzen die Wasserbetriebe die ohnehin nötigen Sperrungen, um ihren Kanal zu erneuern.
„Ja, natürlich gibt es eine erhebliche bauliche Konzentration“, sagt Kirchner. „Aber wir haben den Auftrag, die Infrastruktur auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen. Und wie laut wäre die Kritik erst, wenn wir jetzt Leitungen ersetzen würden, und in ein paar Jahren die Straßen für eine Sanierung erneut aufreißen müssten.“ Und, so der Stadtrat, Straßenbauarbeiten ohne Einschränkungen seien nun einmal noch nicht erfunden.
Für jene, die unter den Baustellen leiden, ist das nur ein schwacher Trost. Nur ein paar Gehminuten vom Graben auf der Dunckerstraße entfernt sitzt Guan Truong in seinem Asia-Imbiss am Laptop. Gäste an diesem Nachmittag? Fehlanzeige. Direkt vor der Tür rattert ein Bagger an der Kreuzung Raumerstraße/Pappelallee, der zweiten gekappten Verbindung zum Helmholtzplatz. „Wer will bei dem Lärm schon essen?“, sagt Truong und zuckt resigniert mit den Schultern. Seit Monaten geht das so. 50 Prozent Umsatzverlust, vielleicht auch mehr, so hat der Imbiss-Inhaber ausgerechnet, habe ihm die Dauerbaustelle eingebracht. Auch an der Bummelmeile der Szene, der Oderberger Straße, sitzen die Cafégäste im Baustellenstaub. An der Schönhauser Allee übertönt der Lärm der Sandstrahler selbst am Wochenende die Gespräche der Flaneure. Nur ein Stück weiter – schon in Pankow – klafft am U-Bahnhof Vinetastraße ein gewaltiges Loch in der Erde. Die Station wird generalüberholt. Manche Arbeiter tragen Atemschutz. Eine Staubwolke wabert über die Kreuzung.
Kein Wunder, dass die Anwohner der künftigen Baustellen das Schlimmste befürchten. An der Senefelderstraße zwischen Hiddenseer- und Stargarder Straße stehen schon die Absperrungen. Bald sollen die Arbeiten an der Fernwärmeleitung beginnen. Sechs Monate Baugetöse und Dreck stehen dann bevor. „Wir sind erst im Mai eingezogen“, sagt ein Büromieter. „Wenn wird das gewusst hätten, wären wir wohl woanders hingegangen.“ Lärm, Dauerstau und Parkplatznot befürchtet auch Anwohnerin Brigitte Queck schon jetzt, bevor es in ihrer Straße eigentlich losgeht. „Wie soll das Viertel funktionieren, wenn an allen Stellen gleichzeitig gebaut wird?“, fragt sie.
Besserung im Herbst
Die Antwort kennen die Anwohner und Autofahrer im Norden des Bezirks längst: Nur schleppend. Noch immer sind viele Zufahrtsstraßen nach Pankow ganz oder teilweise gesperrt: Wollankstraße, Berliner Straße, Pasewalker- und Blankenburger Straße. Hinzu kommt das Nadelöhr der Schönholzer Brücke über die Panke, die abgerissen und neu gebaut wird.
Doch zumindest für seine Mitbürger im Altbezirk Pankow hat Stadtrat Kirchner gute Nachrichten. Besserung ist in Sicht. Die Wollankstraße soll im September, der erste Abschnitt der Blankenburger Straße im Oktober fertig werden. Dafür gibt es sogar Lob vom kritischen ADAC. „Jede Straße, die vor dem Winter saniert ist, ist ein potenzieller Problemfall weniger“, sagt Verkehrsexperte Becker. Kirchner mahnt ein wenig Geduld und viel Optimismus an. „Wenn im Oktober die Tram, im November die U-Bahn wieder von Prenzlauer Berg nach Pankow rollen, haben wir eine ganz schwierige Etappe gemeistert“, sagt er. „In ein paar Jahren wird Pankow dann ungleich schöner sein.“