An den viel genutzten U-Bahn-Linien U1 und U2 wird zeitgleich gebaut. Das bedeutet für viele Berliner eine Geduldsprobe. An fast allen Orten sind die Arbeiten aber im Zeitplan.
Der U-Bahnhof Schönhauser Allee ist nackt. Schienen und Schotter sind verschwunden. Keine Hinweisschilder, keine Werbeplakate, kein Aufzug. Nur auf einer hölzernen Behelfstreppe geht es hinauf zur Hochbahntrasse. Auf dem halben Bahnsteig fehlen Seitenwände und Dachplatten. Auf der Nordseite klaffen offene Kabelschächte im bröseligen Beton des alten Perrons. Am Südende montieren Arbeiter bereits die Stahlbewehrung für die neue Plattform. Dafür strahlen die fast 100 Jahre alten Viadukte der Linie U2 schon in frischem Grün.
Seit Pfingsten bauen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) an der Schönhauser Allee. Zum ersten Mal überhaupt wird die historische Hochbahnstrecke grundüberholt, die Bahnhöfe Schönhauser Allee und Eberswalder Straße saniert. Nur eine von gleich fünf aktuellen Großbaustellen im Berliner U-Bahn-Netz. 145 Millionen Euro fließen allein in diesem Jahr in die Erneuerung maroder Anlagen, in die Abdichtung von Tunneln, die Sanierung von Bahnhöfen. Fast 500 Bauarbeiter sind täglich im Einsatz. An der Karl-Marx-Allee und der Tauentzienstraße, wo die 80 Jahre alten Tunneldichtungen repariert werden. An der U2 in Ruhleben, wo der baufällige Bahndamm erneuert wird. Am Gleisdreieck, wo Viadukte und Bahnsteige saniert, Brücken erneuert werden, wo heute ein riesiger Kran 40 Tonnen schwere Brückenteile der Linie U1 schweben lässt. Und eben an der Linie U2 durch Prenzlauer Berg.
Der Sommer 2010 stellt die Fahrgäste und U-Bahn-Anwohner auf eine harte Probe. Auf den Linien U1 und U2 sind ganze Abschnitte monatelang gesperrt. Statt Zügen fahren Busse. Entlang der Baustellen sind Straßen ganz oder teilweise blockiert. Der Verkehr staut sich. Zum Baustellenlärm kommen Abgase und fehlende Parkplätze.
Die Zwischenbilanz des Bausommers 2010 fällt für die BVG aber positiv aus, wie Infrastruktur-Chef Ralf Baumann sagt. Fast alle Arbeiten liegen im Zeitplan. Und – für das hoch verschuldete Unternehmen ebenso wichtig – das Budget wird nicht überschritten. Verzögerungen gab es wegen des langen Winters nur an der Tauentzienstraße. Trotzdem soll die Baustelle auf der südlichen Fahrbahn im September verschwunden sein, im November auch jene auf der Mittelinsel vor dem KaDeWe.
Bis November müssen sich auch die U-Bahn-Nutzer in Prenzlauer Berg und Pankow noch gedulden. Bis dahin bleibt die Straßenbahnlinie M1 gesperrt. „Im Schatten der Viaduktsanierung“, sagt Baumann, wird auch am U-Bahnhof Vinetastraße und den Tramgleisen in Pankow gebaut. Im Oktober sollen die Arbeiten an der Straßenbahn abgeschlossen sein, am 8. November der Verkehr auf der U2 wieder planmäßig rollen. Daran hält die BVG fest, auch wenn seit dem Beginn der Arbeiten auf Bauleiter Reinhard Sept und U-Bahn-Bauchef Uwe Kutscher einige böse Überraschungen warteten. Stärker als erwartet hatte der Rost die stählernen Pfeiler in der Mitte des Bahnsteigs zerfressen. Und auch der Beton der Plattform war brüchiger als erhofft. Statt nur Teile neu zu gießen, erneuern die Arbeiter nun die gesamte Platte.
Denkmalschutz erhöht die Anforderungen
Um den Terminplan zu halten, wird an vielen Stellen gleichzeitig gearbeitet. Kaum 100 Meter vom Bahnhof entfernt dröhnen Sandstrahler hinter hölzernen Verkleidungen. Die sogenannten Einhausungen sollen verhindern, dass Anwohner allzu sehr unter dem Baulärm leiden. So weit die Theorie. Tatsächlich ist an gepflegte Gespräche beim Bummel entlang der Läden nahe der Stargarder Straße kaum zu denken.
Noch ein Stück weiter prasselt ein Funkenregen auf die Mittelpromenade. Auf dem Viadukt zischt der Schweißbrenner. Hunderte sogenannte Buckelbleche, in denen das Schotterbett ruht, werden ersetzt. Zehntausende Nieten aus der Kaiserzeit müssen dafür buchstäblich geköpft werden. Künftig werden Schrauben die Bleche halten – Handwerker, die die alte Technik mit glühend heißen Stahlbolzen beherrschen, gibt es kaum noch.
Sehen darf man den Unterscheid aber nicht. Das Hochbahnviadukt samt Bahnhöfen steht unter Denkmalschutz. Deswegen wurden die Schrauben des 21. Jahrhunderts der Nietenoptik des Jahres 1913 angepasst. Auch die grüne Farbe der Stahlkonstruktion entspricht den Vorgaben der Denkmalschützer. Nach der Viaduktsanierung wird die BVG 2011 auch die Mittelpromenade mit historischem Pflaster und Beleuchtung verschönern. 200 neue Bäume werden als Ersatz für die 40 gefällten Linden gepflanzt.
Unter dem nostalgischen Äußeren wird sich dann aber moderne Technik verbergen. Ein elektronisches Stellwerk steuert künftig den Zugverkehr. Auf neuen Gleisen wird die U2 fünf Kilometer pro Stunde schneller sein – und trotzdem leiser. Spezielle Gummimatten unter dem Schotter werden den Lärm Berechnungen zufolge um zehn Prozent reduzieren.