Obwohl Berlin im bundesdeutschen Vergleich zurückliegt, hat die Hauptstadt beim Wirtschaftswachstum vor allem in der Indsutrie aufgeholt. Die Stimmung in den Unternehmen ist so euphorisch wie vor der Krise.
Es ist wie in jener Zeit, als niemand von der Lehman-Pleite, der folgenden Finanzkrise und dem Trubel um den Euro wusste: 2007 war es, als Berlins Unternehmen das letzte Mal in derartig euphorischer Stimmung waren. Nun, im Frühjahr 2011, sind sie es wieder, trotz aller globalen Risiken. Die Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) im Frühsommer 2011 zeigt die Wirtschaft der Hauptstadt in blendender Verfassung. Der Geschäftsklimaindex, den die IHK auf Grundlage von Geschäftslage und Erwartungen berechnet, erreicht mit 144 fast denselben Stand wie im Boomjahr 2007 (146 Punkte). Damit hat sich die Zuversicht der Unternehmen auch im Vergleich zum Jahresanfang weiter verbessert. Im Winter erreichte der Geschäftsklimaindex noch 131 Punkte.
Die IHK erwartet jetzt sogar ein Wirtschaftswachstum in der Hauptstadt von drei Prozent für das laufende Jahr. „Damit wären wir wahrscheinlich fast auf Bundesniveau“, sagte IHK-Präsident Eric Schweitzer bei der Vorstellung der jüngsten Konjunkturumfrage. Der Senat war mit seiner Wachstumsprognose von 2,5 Prozent noch etwas zurückhaltender als die IHK gewesen. Zwischen 2005 und 2009 war Berlin stärker als der Bund gewachsen. Allerdings hat der Wirtschaftsstandort Berlin erheblichen Rückstand zum Rest der Republik. Wirtschaftsverbände und Senat sind bestrebt, dass Berlin den Rückstand aufholt und dauerhaft stärker als der Bund wächst.
Investitionen legen zu
Die wohl beste Nachricht ist aber, dass die Unternehmen in der Hauptstadt wieder neue Stellen schaffen wollen. „Eine so große Bereitschaft, Beschäftigung aufzubauen, hatten wir noch nie“, sagte IHK-Präsident Schweitzer. Konkret wurden die Unternehmen im Frühsommer danach befragt, ob sie Personal aufbauen wollen, Stellen streichen oder die Belegschaft konstant halten. 38 Prozent – so viele wie noch nie – wollen jetzt neue Leute einstellen. 55 Prozent halten die Zahl der Angestellten konstant, nur sieben Prozent der Unternehmer wollen Arbeitsplätze streichen.
Befragt wurden die Firmen zu ihrer aktuellen Geschäftslage, ihren Erwartungen, den Personalplänen und Investitionen. 57 Prozent aller befragten Firmen bezeichneten ihre derzeitige Geschäftslage als „gut“, nur fünf als „schlecht“, 38 Prozent als „gleichbleibend“. Trotzdem erwarten sogar 42 Prozent, dass es noch besser wird, lediglich sechs Prozent rechnen mit einer Eintrübung. Dominant sind in der Berliner Wirtschaft traditionell Dienstleistungsunternehmen. Sie versprühen auch den größten Optimismus. Der Geschäftsklima-Indikator für die Service-Firmen beträgt sogar 151. Die IHK spricht in ihrem Bericht vom „Schrittmacher der hauptstädtischen Wirtschaft“.
Besonderes Augenmerk aber legte Schweitzer auf die Prognose der Berliner Industriebetriebe. Deren Investitionspläne würden geradezu in die Höhe schießen. Mit einer Exportquote von 46 Prozent hätten es die Firmen zudem geschafft, „über den Tellerrand der Region hinauszuschauen“. Mit anderen Worten: Berlins Fertigungsbetriebe finden zunehmend ihre Absatzmärkte in aller Welt.
Senat und Wirtschaftsverbände versuchen seit mehr als zwei Jahren, der Berliner Industrie neues Leben einzuhauchen. Derzeit stellen Fertigungsbetriebe rund 100.000 Arbeitsplätze in der Stadt. Gemessen an anderen Städten sind das rund 90.000 Jobs zu wenig, wie eine gemeinsame Studie von Gewerkschaften und Arbeitgebern 2009 darstellte. Diese Lücke soll geschlossen werden; dafür haben sich Verbände und Politik unter anderem den Masterplan Industrie ausgerufen und einen Steuerungskreis eingerichtet, der regelmäßig unter Leitung von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) tagt. Dort sitzen Senatoren sowie Vertreter von Gewerkschaften, Verbänden und Kammern und vereinbaren strategische Ziele, etwa zum Fachkräftemangel oder zur Förderung neuer Betriebe und Branchen.
Mehr Industrie, so die Überzeugung aller Akteure, ist die Grundvoraussetzung, um mit kräftigem Wachstum zum Bund aufzuholen. Eine Studie des Instituts Prognos im Auftrag der Landesbank Berlin (LBB) kam allerdings unlängst zu dem Schluss, dass Berlin seinen industriellen Rückstand kaum aufholen wird. Bis 2030 wurde für die Hauptstadt im Durchschnitt ein schwächeres Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Bund prognostiziert.
Schweitzer zweifelt an der Aussage der Studie. „Wir glauben, dass die industrielle Basis stärker wachsen wird“, sagte er. Allerdings müsse auch der Senat dafür Fehler abstellen. Als Beispiel nannte er Siemens, die ihre neue Sparte Infrastruktur in München und nicht – wie vom Senat erhofft – in Berlin ansiedeln werden. „In München macht Siemens mit der Stadt jede Menge Pilotprojekte“, so Schweitzer. Darum hätte man sich in Berlin nicht gekümmert.