DIW Berlin

Statistik-Panne – Kinderarmut geringer als gedacht

| Lesedauer: 4 Minuten
Flora Wisdorff

Foto: dpa / dpa/DPA

Die Kinderarmut in Deutschland ist offenbar niedriger als gedacht. Das Berliner Wirtschaftsinstitut DIW muss seine Statistik deutlich nach unten korrigieren. Nun liegt Deutschland mit seinen zehn Prozent unter dem OECD-Durchschnitt.

Die Kinderarmut in Deutschland ist deutlich niedriger als bisher angenommen. Im Jahr 2005 lag der Anteil armer Kinder bei 10,0 Prozent – und nicht bei 16,3 Prozent, wie es die OECD im Jahr 2009 in ihrem Bericht „Doing Better for Families“ verbreitet hatte. Die OECD hatte diese Zahl, wie üblich, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erhalten. Der Bericht war kurz vor der Bundestagswahl erschienen und hatte heftige Diskussionen über Kinderarmut in Deutschland ausgelöst. Nach der Wahl wurde das Kindergeld erhöht.

Das DIW wehrte sich am Freitag gegen den Vorwurf, in ihrer Armutsstatistik falsche Daten geliefert zu haben und der Politik damit eine falsche Entscheidungsgrundlage. „Eine Datenpanne hat es nicht gegeben“, sagte der Vorstandsvorsitzende des DIW, Gert Wagner, in Berlin. Die Zahlen seien „im Gegenteil“ durch die neuen Methoden genauer und gehörten „zu den besten, die zur Verfügung stehen“, sagte Wagner. Das DIW habe die Zahl 2009 zum dem Zeitpunkt der politische Debatte bereits revidiert – und zwar maßgeblich auf zehn Prozent.

Die OECD sei darüber informiert worden, beteuert Markus Grabka, der zuständige DIW-Experte. Sie änderte aber erst in ihrem neuesten Bericht, der diese Woche erschienen war, die Zahl für 2005 und nahm gleichzeitig den aktuellen Stand mit auf, den das DIW auf 8,3 Prozent berechnet, mit auf. Das DIW betonte, dass die Revision von 16,3 auf zehn Prozent nichts mit einem Fehler zu tun habe, sondern mit einer besseren Methodik.

Rückschlag für die Forscher

Das Thema ist für das Berliner Institut besonders brisant, weil es Ende 2009 in eine Krise hinein rutschte, als der Landesrechnungshof dem Haus vorwarf, Gelder falsch und zu großzügig ausgegeben zu haben. Ex-Chef Klaus Zimmermann trat daraufhin zurück. 2012 wird die wissenschaftliche Qualität des Instituts erneut geprüft, davon hängen staatliche Zuschüsse ab, die das DIW dringend benötigt.

Nun erklärt das Institut die unterschiedlichen Daten mit normalen Abweichungen bei einer revidierten Statistik. Insbesondere bei der Armutsstatistik könnten kleine Verschiebungen in den Einkommensverhältnissen zu großen prozentualen Veränderungen führen. Die Verschiebung sei dieses Mal besonders groß ausgefallen, weil die Auskunftsbereitschaft der Bürger seit der Jahrtausendwende stark gesunken sei – das so genannte Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), dessen Daten an die OECD weitergereicht werden, müsse also mit einer neuen Grundlage rechnen. Das SOEP ist eine der wichtigsten Untersuchungen für soziale Aussagen. Dafür werden regelmäßig Tausende Haushalte befragt.

Eine neue Methode soll helfen

Das DIW entwickelte deshalb nach eignen Angaben eine neue Methodik, mit der diese Veränderung korrigiert werden kann. Immer mehr Befragte verweigerten Auskünfte, sagte Grabka. „In den 11.000 befragten Haushalten hat sich die Zahl derjenigen, die nicht antworten, vergrößert. Die Bereitschaft der Teilnehmer mitzumachen sinkt seit 2000.“ Vor allem bei Familien mit mehreren Verdienern habe man große Schätzprobleme bei unvollständigen Einkommensangaben. „Diesen Messfehler haben wir behoben“, sagte Grabka.

Die Korrektur von 16 auf zehn Prozent ändere nichts „am substanziellen Ergebnis unseres Armutsberichtes und unseren politischen Handlungsempfehlungen“, sagte Wagner. Das DIW wies auch explizit daraufhin, dass es sich ausdrücklich gegen die Anfang 2010 vorgenommene Anhebung des Kindergeldes ausgesprochen habe. Das Institut empfiehlt stattdessen Investitionen in Betreuungseinrichtungen und die Verbesserung von Erwerbschancen für Alleinerziehende. Damals hatte die Diskussion um die Kinderarmut kurz vor den Wahlen dazu geführt, dass die schwarz-gelbe Regierung ein Plus von 20 Euro beim Kindergeld einführte. Die Anhebung kostet den Staat jedes Jahr vier Mrd. Euro.

Leistungen bleiben unangetastet

Für das Bundesfamilienministerium sind die korrigierten Werte kein Anlass, die staatlichen Leistungen für Kinder zu überprüfen. „Es wird sich daran nichts ändern“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Auf die Frage, ob die Lage der Kinder in Deutschland aufgrund der überhöhten DIW-Zahlen bislang als zu schlecht angesehen worden sei, antwortete sie, die Regierung habe die Beurteilung der Lebenssituation von Betroffenen und daraus abgeleitete Entscheidungen nie nur auf einzelne Studien gestützt. Für Familienministerin Kristina Schröder (CDU) sei jedes arme Kind eines zu viel.