Medikamente

Apotheker wollen selbst Pillen herstellen

| Lesedauer: 8 Minuten
Frank Seidlitz

Foto: dpa

No-Name-Pillen zum kleinen Preis: Die Apotheker wollen der Pharmaindustrie mit billigen Eigenmarken Konkurrenz machen.

Ja! Keiner ist billiger.“ Im Januar kündigte der Einzelhändler Rewe in Werbespots eine neue Preisrunde an. Bei der Attacke auf preisbewusste Kunden setzten die Händler auf ihre Eigenmarken. Unter „Ja!“ und „Rewe“ lassen sie Produkte herstellen, deren Preis sie selbst bestimmen. Auch Metro und andere Ketten schwören auf das Konzept. Und ausgerechnet die Apotheker wollen nun ebenfalls ins Geschäft mit eigenen Produkten einsteigen – und der Pharmaindustrie Konkurrenz machen.

Denn Pharmazeuten sind in Zeiten des Internets und der Kürzungen im Gesundheitswesen auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Das bringt den Apothekenmarkt in Bewegung. Zwar scheiterte vorerst der Versuch, über den Europäischen Gerichtshof den deutschen Markt auch für Apothekenketten und Unternehmen zu öffnen. Doch nun versuchen sich Apotheken-Kooperationen durch Eigenmarken von der Konkurrenz abzusetzen, Kunden zu binden und vor allem die eigenen Erträge zu steigern.

In Zeiten, in denen die Preise für Arzneimittel von der Politik festgelegt werden und die Erhöhung des Apotheken-Rabatts geprüft wird, können die Pharmazeuten nicht mehr nur auf die rezeptpflichtigen Medikamente setzen. Rezeptfreie Medikamente, Kosmetik und Nahrungsergänzungs-Produkte gelten als Zukunftsmärkte der deutschen Apotheker. Da gewinnt auch das Konzept „Eigenmarke“ an Bedeutung. „Der Trend wird sich weiter forcieren“, sagt Stefan Hartmann vom Bundesverband Deutscher Apotheken-Kooperationen.

Mehr Gewinn und mehr Umsatz

Zeitverzögert zum Einzelhandel übernehmen die Apotheker den Trend zur eigenen Marke. „Der Einzelhandel hat gezeigt, dass solche Produkte erfolgreich sein können. Zudem nimmt der Druck durch Versandhandel zu, der eine aggressive Preispolitik betreibt“, sagt Hartmann. Mit Eigenmarken könnten die Apotheken den Preiskampf aufnehmen und zudem ordentliche Renditen herausschlagen.

Die Vorteile für Apotheker sind klar: Günstige No-Name-Produkte bringen dem Handel deutlich höhere Gewinnspannen als viele Markenprodukte. Nebenher verschaffen Eigenmarken auch noch intime Einblicke in die Kalkulation der Hersteller. Denn wer direkt beim Produzenten kauft, kennt auch dessen Konditionen. „Dies erleichtert die Diskussion über die Einkaufspreise sehr“, heißt es bei einer Apothekenkooperation. Der potenzielle Markt für die neuen Billig-Arzneien ist gewaltig, immerhin wurden 2009 fast 40 Milliarden Euro in den deutschen Apotheken umgesetzt.

DocMorris und die „Gesund ist bunt“-Apotheken sind derzeit die Vorreiter der Eigenmarken-Strategie. Schon vor einigen Monaten kündigte Fritz Oesterle, Vorstandschef der Doc-Morris-Mutter Celesio, eine Expansion an: „Das Geschäft mit Eigenmarken werden wir deutlich ausbauen“, sagte er. „Unser derzeit noch kleines, aber hochwertiges Sortiment an Eigenmarken werden wir kontinuierlich um attraktive Produkte ergänzen. Wir werden noch mehr Medikamente unter unserem eigenen Namen vertreiben, gleiches gilt für medizinische Geräte.“

Auch Vivesco, eine Tochter des Pharmagroßhändlers Anzag, rechnet das Modell No-Name-Pille derzeit durch: „Wir beobachten den Markt sehr genau und prüfen derzeit, ob sich die Einführung von Eigenmarken für die Vivesco lohnt“, sagt ein Sprecher. Für welche Medikamente oder Produktgruppen dies sinnvoll sein könnte, sei aber noch völlig offen.

Preissturz bei Paracetamol

Auch die Easy-Apotheke, eine Kooperation, die sich als Apotheken-Discounter versteht, prüft die Einführung von Eigenmarken: „Wir befinden uns derzeit in der Entwicklungs- und Testphase“, sagt Oliver Blume, Vorstandschef der Easy-Apotheken-Holding AG. So sollen bald Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel, Körperpflegeprodukte und rezeptfreie Medikamente als Eigenmarken hergestellt werden. Und Blume macht seinen Kunden vor allem für die Kosmetik-Hausmarken Hoffnungen: „Wir werden in diesem Bereich unsere Eigenmarkenprodukte preislich definitiv günstiger anbieten als die klassischen Markenartikel.“

Die Abkehr vom Markenprodukt scheint ein Erfolgsrezept zu sein – davon sind zumindest die Anbieter von Eigenmarken überzeugt. So wie die „Gesund ist bunt“-Apotheken. „Seit Markteinführung Ende 2008 haben wir zehn Wirkstoffe in 15 Darreichungsformen im OTC-Bereich in den Markt gebracht“, sagt Frank Stuhldreier, Geschäftsführer der Parmapharm Marktförderungsgesellschaft. Sein Unternehmen betreibt die Dachmarke „Gesund ist bunt“ und hat eigens für die Herstellung der Eigenmarken eine Tochterfirma gegründet. Die Umsätze hätten sich seit Markteinführung deutlich gesteigert.

Und auch für die Kunden lohnt sich die Eigenmarke: In einer Stichprobe in einer Apotheke der Kette lag der Preis für eine 20er-Packung Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Paracetamol gut 42 Cent unter dem eines vergleichbaren Produkts eines großen Generika-Herstellers. Gleiches gilt für von DocMorris.

Anderer Name – Gleiche Wirkung

Die Celesio-Tochter, die neben einem Versandhandel auch eine Apotheken-Kooperation in Deutschland betreibt, bietet die 30er-Packung Ibuprofen in der Dosierung 400 Milligramm bis zu 90 Cent billiger an als ein traditioneller Pharmakonzern. Mit solchen Eigenmarken hat die Celesio-Tochter Marktanteile gewonnen.

Und auch Apotheker, die kleinen Zusammenschlüssen angehören, haben ähnliche Strategien in die Tat umgesetzt, etwa die „1A Gesund“-Kooperation. „Eine Eigenmarken-Strategie gibt es. Ganz klar. Noch in diesem Jahr werden wir die ersten Produkte auf den Markt bringen“, sagt Hans-Christoph Bonfert, Geschäftsführer der Apotheken-Kooperation. Er glaubt nicht daran, dass die Eigenmarken-Produkte eine Eintagsfliege sein werden. „Sie sind keine Modeerscheinung. Sie werden bleiben, weil man damit Erfolg haben wird und dadurch ein neuer Markt entsteht.“

Und dabei müssen sich die Kunden keine Sorgen machen, dass die Eigenmarken womöglich so günstig sind, weil etwa billigere Inhaltsstoffe verwendet werden. „Wir produzieren die gleichen Medikamente für einen namhaften deutschen Pharmakonzern genauso wie für eine Apotheken-Kooperation“, heißt es bei einem der Auftragshersteller. Die Standards sind die gleichen – auch für Produkte abseits des Medikamenten-Sortimentes.

Gibt es bei den Arzneimittel schon einen großen Preisunterschied zwischen No-Name-Produkt und Markenartikel, fällt dieser jenseits des medizinischen Sortiments noch höher aus: Preisunterschiede bis zu 35 Prozent zwischen dem Originalprodukt und einer Eigenmarke seien etwa bei Nahrungsergänzungsmitteln oder Kosmetika möglich, heißt es bei der Linda-Kooperation. Seit 1999 vertreibt der Apotheken-Zusammenschluss Eigenmarken, vor allem für hochwertige Nahrungsergänzungspräparate. Linda hat daher mit „Ovivo“ einen eigenen Marken-Namen für die Produktreihe kreiert.

Eigene Medikamente seien allerdings kein Thema. „Wir setzen auf Nahrungsergänzungen, dazu zählen auch Enzympräparate, die zum Aufbau des Immunsystems eingesetzt werden“, heißt es bei Linda. Die Apotheken der Gruppe wollen dennoch in diesem Jahr weitere Produkte auf den Markt bringen. Darüber werden sich viele Kunden freuen: Mit 1300 angeschlossenen Pharmazeuten ist Linda die größte Kooperation in der Branche.

Schwierige Zulassung

Dass manche Apotheker zögern, eigene Arzneimarken einzuführen, hat einen Grund: Die bürokratischen Hürden sind sehr hoch. „Jedes Medikament muss behördlich zugelassen werden, egal, ob es von einem traditionellen Marken-Hersteller wie Hexal oder Bayer kommt oder sich die Apotheken-Kooperation die Zutaten in Indien bei einem Produzenten selbst zusammenstellen lassen“, heißt es bei einer der großen Kooperationen. Dennoch dürften die Pillen ohne Namen bald bei einem Großteil der 22.000 Apotheken Einzug halten.

Die Pharmahersteller sehen die Entwicklung mit Sorge. „Wir beobachten die Eigenmarken-Strategie der Apotheken sehr genau“, heißt es bei einem führenden Pharmaunternehmen. „Noch stellen sie keine Konkurrenz da. Aber der Trend ist klar: Gerade bei rezeptfreien Medikamenten wird es zu einem Preiskampf kommen, weil wir ansonsten aus den Regalen verschwinden.“ Alle warten daher darauf, wer die erste Preisrunde in der Apothekenbranche lostritt.