Wie asozial ist mein Viertel? Wie viele Sexualstraftäter leben vor der Haustür? Wie viele Vorstrafen hat mein Nachbar? Neue Mini-Programme (“Apps“) machen das iPhone zum Werkzeug für Freizeitpolizisten. Gerade in den USA und England, wo Behördendaten offen im Internet liegen, ist das ein einfaches Spiel.

Stellen Sie sich vor: Sie ziehen um, in eine neue Stadt. Der Umzug ist geschafft, jetzt wollen Sie die ersten Leute kennen lernen. Vor ein paar Jahren hätten Sie vielleicht einfach nebenan geklingelt, um zu schauen, wer Ihre Nachbarn sind, hätten sich vorgestellt, eine Einweihungsparty gegeben.

Heute müssen Sie nur noch die richtige App auf Ihr iPhone laden und finden mit ein paar Fingerstippsern alles über Ihr Umfeld heraus – darunter auch Dinge, die Sie vielleicht nicht unbedingt wissen wollten.

Zum Beispiel wie viele verurteilte Kinderschänder sich in einem Umkreis von zehn Meilen aufhalten, wie viele Anzeigen wegen Belästigungen es in Ihrem Viertel gegeben hat oder welche Vorstrafen der Nachbar hat, der Ihnen gerade so freundlich die Hand geschüttelt hat.

Gleichzeitig gibt es inzwischen iPhone Apps, mit denen man Straftaten direkt bei der Polizei melden kann, mit GPS-Standortbestimmung und Foto vom Tatort. Das Schlagloch vor Ihrer Haustür können Sie ebenso schnell der zuständigen Behörde melden.

Mobiles Internet, Standortbestimmung per GPS, gepaart mit unserem enormen Mitteilungsbedürfnis: Innerhalb von Sekunden werden wir zu Polizisten, Spionen und Denunzianten – getrieben von unserer Neugier, unseren Ängsten und findigen App-Entwicklern, die damit Geld verdienen wollen. Nicht zu vergessen die Städte, die sich von ihren Apps Hilfe bei der Verbrechensbekämpfung erhoffen.

Bisher funktionieren die Spion-Apps nur in den USA, einige auch in England. Aufgrund von deutlich lascheren Datenschutzgesetzen sind dort viele persönliche Informationen öffentlich zugänglich, zum Beispiel in den USA das Vorstrafenregister oder die Zahl der „Asbos“ in englischen Wohnbezirken. „Asbo“ ist die Abkürzung für „Anti-Social Behaviour Order“, eine Art Verwarnung mit bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe für antisoziales Verhalten.

Das geht so weit, dass Wahlstrategen in den USA für viele Straßenzüge sagen können, wer dort bei der letzten Wahl Obama und wer McCain gewählt hat, welches Auto im Carport steht und welche Soße es zum Barbecue gibt. Im Wahlkampf sind diese Informationen Millionen wert; schließlich ermöglichen sie es, zielgenau zu werben und kein Geld in Gegenden zu verschwenden, die sowieso nicht zu gewinnen sind.

Die Technik-Entwickler gehen jetzt noch weiter, indem sie Applikationen basteln, die viele Datenquellen auf einmal anzapfen und die Informationen an jeden weitergeben, der für die App zahlt und sich vorher verpflichtet, damit keine Straftaten begehen zu wollen.

"Das stelle ich mir schrecklich vor“, sagt Dietmar Müller, Sprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz, "zum Glück geben unsere Gesetze so etwas nicht her.“ Viel mehr können deutsche Stellen zu dem Phänomen nicht sagen.

Die Weitergabe von solch sensiblen Daten erfolge in Deutschland stets mit dem Wissen des Betroffenen, erklärt der Sprecher, lässt aber durchklingen, dass er solche Apps in Deutschland sowieso für unrealistisch hält.

Dem Bundesverband der Verbraucherzentralen ist das Thema "zu speziell“ und auch beim Branchenverband BITKOM heißt es, die Apps seien "zu neu“, um dazu schon eine Einschätzung zu geben.

In den USA weiß der Einzelne nie, welche Daten sein Gegenüber gerade kennt – ob der zum Beispiel "DateCheck“ verwendet und sich Informationen aus Sozialen Netzwerken, über die Kreditwürdigkeit oder Zahlungsmoral durchliest, während er beim ersten Date locker plaudernd die Getränkekarte studiert.

"Das gibt Ihnen ein ruhiges Gewissen“ – so bewirbt der Anbieter Intelius die DateCheck-App. Ob es dem Seelenfrieden dient, wenn man weiß, dass der Mann, den man vor kurzem kennen gelernt hat, vor zehn Jahren mal eine Straftat begangen hat?

"In diesem Fall ist derjenige abgeschrieben, ohne dass er weiß, warum“, sagt Dietmar Müller aus dem Büro des Bundesdatenschutzbeauftragen. Ähnlich kritisch sieht das Lillie Coney vom Electronic Privacy Information Center in Washington DC: "Solche Apps machen jeden zum Polizisten“, sagt sie.

Viele Anbieter spielen mit den Ängsten der Menschen. So auch der "Offender Locator“, der Menschen anzeigt, die aktenkundig andere sexuell belästigt haben. Für 1,59 Euro ist die App zu laden, der Anbieter Log Sat Software verspricht tägliche Updates und eine Verfügbarkeit in allen 50 Bundesstaaten der USA.

Ähnlich funktioniert das in England entwickelte "Asborometer“, das nicht nur die Anzahl der Verwarnungen in einer Gegend anzeigt, sondern auch die Zahl der Elternhäuser, die mit dem Jugendamt Probleme hatten und die Zahl der Zwangsräumungen. "Die Leute wissen jetzt mehr“, verteidigt Jeff Gilfelt seine App, "die Daten waren auch vorher schon zugänglich.“

Viele amerikanische Städte sehen Smartphone-Apps darüber hinaus als Chance, einen direkteren Draht zu ihren Bürgern zu schaffen – egal, ob es um wilde Müllkippen, ungesicherte Unfallstellen oder Fahrraddiebstähle geht.

So bietet der AppStore für Boston "Boston Connected“ an, in der Hauptstadt Washington DC gibt es "DC 311“. Auch in der Provinz sind die Apps angekommen: Peoria, knapp 120?000 Einwohner, mitten in Illinois, hat inzwischen den "Peoria Informer“, mit der iPhone-Nutzer sowohl Straftaten als auch gesichtete Wildtiere, verlassene Autos und sogar Ufos melden können.

"Go Request“ funktioniert nach ähnlichem Schema, ist aber mit einer Vielzahl von Behörden in mehreren Bundesstaaten verbunden, darunter in Kalifornien, Texas und Virginia. "Wir können nicht warten, bis die Leute zu uns kommen. Wir müssen ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand geben, damit sie sich selber helfen können“, sagt Eric Garcetti vom Los Angeles City Council.

Auch LA hat natürlich seit kurzem eine eigene iPhone-App, um aus Bürgern Graffiti-Jäger zu machen. Mit der integrierten Kamera macht der Nutzer Fotos, die in einem zweiten Schritt direkt in eine Textmaske geladen werden und als Anzeige per Email bei der Polizei landen.

Bald soll es auch in England erste Tests mit diesen Applikationen geben. In Los Angeles arbeitet die Stadtverwaltung gerade daran, diese Funktionen auch für andere Geräte wie den Blackberry, Palms und Handys mit Google-Android-Betriebssystem zu entwickeln.

Nur in Deutschland weiß man von nichts: Nein, zu diesem Thema hätte noch niemand bei ihnen referiert, heißt es auch von der Gewerkschaft der Polizei.