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Fürchtet euch nicht – Facebook macht Spaß!

| Lesedauer: 9 Minuten
Frank Schmiechen

Es ist eine böse Befürchtung: Wird Facebook der größte Datensammler aller Zeiten, beherrscht es bald die Welt? Kritiker glauben ja – schließlich verbreitet sich der "Like"-Button des Konzerns gerade über das gesamte Internet. Doch wir sollten uns keine Sorgen machen. Denn Facebook verbessert das Web dramatisch.

Es ist ein kleiner Schock. Ein völlig neues Internetgefühl. Von einer bekannten Website, die sich mit Musik beschäftigt, strahlen mir die Gesichter meiner Freunde entgegen. In Form ihrer Facebook-Fotos, die mir so vertraut sind wie CD-Cover meiner Lieblingsbands.

Ich wollte mich eigentlich über die neuen Trends und CDs des Frühjahres informieren und stelle fest, dass einige meiner Facebook-Freunde schon vor mir auf dieser Seite waren. Und sie haben deutliche Spuren hinterlassen.

Nicht nur ihre Fotos, sondern auch Bewertungen und Tipps. Das ist sehr hilfreich. Denn es ist zeitaufwendig, wenn man sich durch die Tiefen des unüberschaubaren Angebots klicken und hören muss, bis man auf die interessanten Dinge stößt. Jetzt folge ich einfach den Spuren meiner Freunde und freue mich über die geschmackssichere Vorauswahl.

Viele andere Seiten im Internet funktionieren seit der vergangenen Woche nach demselben Prinzip. Auf der Seite eines bekannten amerikanischen Jeans-Herstellers können Kunden die verschiedenen Farben und Schnitte der Kollektion mit einem Klick auf den "ilike"-Knopf ihren Facebook-Freunden empfehlen. Die Empfehlung erscheint dann auf der Facebook-Seite der Freunde, und unter jedem Modell der Jeansseite sammeln sich die Zustimmungen wie in einer Hitliste.

Auch auf der Seite des US-Medienriesen CNN erkennt der Surfer seit ein paar Tagen sofort, welche Artikel seine Freunde interessant fanden. In naher Zukunft wird dieses Bewertungs- und Empfehlungsprinzip auch beim Fernsehen über das Internet möglich sein.

Für den 25-jährigen Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist das "die umwälzendste Neuerung, die wir jemals für das Internet gemacht haben". Dabei sind es auf den ersten Blick nur ein kleiner Knopf und ein paar andere Programmschnipsel, die Zuckerberg allen Internetseiten frei zur Verfügung stellt. Aber dieser Knopf besitzt tatsächlich eine große Macht.

Er verbindet jede Webseite mit einer halben Milliarde Menschen, die ein Profil auf Facebook eingerichtet haben. Jede Website kann mit der Integration des "ilike"-Knopfes zu einer Verlängerung von Facebook werden.

Niemand wird gezwungen, diese direkten Links zu Facebook auf seine Seite zu bauen. Aber es ist für die meisten Betreiber von Webseiten verlockend. Der bekannte Blogger Robert Basic gibt zu: "Man kann sich nur sehr schwer dem Reiz entziehen, den die neuen Möglichkeiten für den eigenen Webauftritt verheißen."

Er hat wie viele diese Neuerung in seine Seite eingebaut, spricht zwar kritische Punkte an, freut sich aber generell über "mehr Feedback" und "Transparenz".

Natürlich hatten die Internetnutzer schon vor dem Zuckerberg-Coup die Möglichkeit, ihre Freunde mit Links und Empfehlungen zu versorgen. Aber der Aufwand war größer. Jetzt ist es einfach genug, um das Empfehlungsinternet zu einem Massenphänomen zu machen. So wird sich Zuckerbergs Facebook wie ein zweites Netz von Empfehlungen und Bewertungen wie ein feines Gewebe über das Internet legen. Schon nach ein paar Tagen haben sich Millionen Webseiten direkt mit Facebook verknüpft.

Das Empfehlungsinternet ist nicht mehr zu stoppen, weil es große Vorteile für die Nutzer hat. Bis jetzt ist bei vielen Anwendern Google die Startseite in Netz. Wir suchen etwas, Google weiß, wo es zu finden ist, und gibt uns die nötigen Links. Das neue Netz gibt uns auch Links. Sie sind allerdings viel wertvoller, weil sie von unseren Freunden kommen. Außerdem werden Nachrichten, Produkte und relevante Websites den Nutzer in Zukunft finden, ohne dass er sie suchen muss. Sie kommen direkt in sein Facebook-Profil.

Das Empfehlungsinternet wird uns noch viel mehr Dinge finden lassen, die wir nie gesucht haben, die aber trotzdem eine hohe Relevanz für uns haben. Dafür sorgen unsere Freunde. Sie machen unsere Facebook-Seite zu einer noch exquisiteren Fundgrube von Verweisen, Tipps und Möglichkeiten. Was mein Freund meint, ist wichtiger als das, was der geheimnisvolle Algorithmus von Google ausrechnet.

Kritiker vermuten hinter den Plänen von Zuckerberg einen perfiden Plan: Der junge Mann hat in Wirklichkeit überhaupt kein Interesse, das Internet für uns eingängiger und besser zu machen. In Wirklichkeit will er uns ausforschen und manipulieren. Von Zuckerberg ist bekannt, dass er sich von der Privatheit im Internet verabschiedet hat: "Die Menschen haben wirklich keine Probleme damit, nicht nur an mehr und unterschiedlichen Informationen teilhaben zu lassen", sagt er in Interviews.

Fakt ist aber, dass Facebook lediglich das über uns wissen kann, was wir im Internet über uns preisgeben. Oder andere über uns verraten. Es kennt einige unserer Beziehungsgeflechte und Vorlieben. Aber nur die, die im Internet ablesbar sind. Und Facebook macht Geschäfte, indem es die Daten seiner Nutzer Firmen verkauft, die dann mit ihrer Werbung zielgenauer arbeiten können.

Über das ungeheure Wachstum und die guten Geschäfte mit Daten gibt man sich besorgt. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) verlangte vor einigen Wochen eine Änderung der Sicherheitseinstellungen. Facebook solle sicherstellen, dass die Daten der Nutzer besser geschützt werden, sonst würde sie ihren Account löschen. Vielleicht macht sie sich wirklich Sorgen um Internetnutzer.

Sie traut es ihnen offenbar nicht zu, sich in Netzwerken ohne Regelungen, Anleitungen und den Schutz des Staates sicher zu bewegen. Die Freiheit des Netzes und globaler Firmen wird zur Bedrohung in einem Land, in dem von der Beschaffenheit einer Schraube über das richtige Mixverhältnis eines anständigen Gin-Tonic bis zur exakten Form einer Banane alles genormt hat.

Beim Internet und bei sozialen Netzwerken handelt es sich jedoch nicht um beliebige Konsumprodukte. Sie verlangen Aufmerksamkeit und Verantwortung vom Nutzer. Es ist seine Entscheidung, wohin er surft, welche Daten er hinterlässt und auf welche Links er klickt. Freiheit auf eigene Gefahr. Er kann viele Fehler machen, vor denen ihn niemand bewahren kann. Ein Blogger schreibt zum Beispiel auf Twitter: "Ich fürchte, es wird vielen Leuten gefallen, die gar nicht wissen, was für ein riesiges Profil Facebook von ihnen damit erstellt."

Wenn man die vielen Kommentare liest, erscheinen Firmen wie Facebook, Apple oder Google wie ein moderner Fluch, der unsere Gehirne schrumpft, unsere Gedanken liest und uns zu ferngesteuerten Maschinen macht. Oft ist es die Befürchtung, die rasende Entwicklung nicht mehr in den Griff zu bekommen.

Sogar bei vielen Experten wie Robert Basic: "... und da muss ich ebenso ungeniert eingestehen, dass ich nicht im Ansatz erahnen kann, wo die Reise für uns alle hingehen wird, wenn wir dem allmächtigen Facebook nicht zwischendurch ein wenig auf die Finger klopfen." Das Netz ist ein dunkles Geheimnis. Man kann es nicht durchlesen wie ein Buch, man kann es nicht steuern. Man kann es nicht wegwerfen wie eine Zeitung. Es gibt keine Gebrauchsanleitung.

Für alle anderen gilt: Das Netz wird durch die enge Verbindung mit sozialen Netzwerken noch mehr Spaß machen. Wir wollen vernetzt sein. Egal ob auf Facebook oder anderswo. Wir wollen nichts in den Griff bekommen, wir lassen einfach mal locker und surfen auf den Spuren unserer Freunde noch eleganter durch das Netz und gelangen an Plätze, die wir allein nie gefunden hätten. Wir fühlen uns geborgen in unserem eigenen Web, treiben voll Selbstvertrauen durch neue Welten, lassen unseren Blick schweifen, genießen die Freiheit, die Verantwortung. Spüren, wie sich die Neuronen in unseren Gehirnen neu verknüpfen. Wie sich unser Geflecht von Beziehungen zu interessanten Menschen ausweitet.

Wir beteiligen unsere Familien, Freunde und Facebook-Freunde an unseren Erlebnissen im Netz. Und wir wissen: Alles, was wir ins Internet stellen, ist für jeden erkennbar und verwendbar. Es gibt zwar verschiedenste Sicherheitseinstellungen, sie schützen aber nur selten.

Das Internet ist das Gegenteil von privat. Es ist eine große Bühne. Wir schauen den anderen zu, und die anderen schauen uns zu. Wir sind das Publikum, und wir sind die Schauspieler. Ich mag das.