Wie lange bleibt die Gegend um die Atomruine Fukushima verstrahlt? Was droht den Menschen? Wann können die Flüchtlinge in ihre Heimat zurück?
Warum ist das Reaktorunglück von Fukushima erst jetzt in die höchste Kategorie eingestuft worden – so wie Tschernobyl einst?
Tatsächlich waren bereits sehr viele strahlende Substanzen in die Umwelt gelangt, als offiziell die Störfallstufe?5 verkündet wurde. Internationale Experten haben bereits seit Wochen gefordert, die Katastrophe von Fukushima höher auf der sogenannten INES-Skala einzuordnen. Es kann nur spekuliert werden, warum Japan die Schwere des Unglücks erst mit einer deutlichen zeitlichen Verzögerung anerkannt hat. Vielleicht hat man geglaubt, dass sich das Unglück von den Menschen auf diese Weise psychologisch besser verarbeiten lässt.
Sind die bislang beschlossenen Evakuierungszonen ausreichend und werden die Menschen jemals dorthin zurückziehen können?
Relativ schnell wurde eine 20- und dann eine 30-Kilometer große Sperrzone eingerichtet. Dies ist gewiss nicht ausreichend, denn auch außerhalb dieser Zonen hat man in verschiedenen Orten stark erhöhte Radioaktivität nachgewiesen. Die Werte liegen dort bisweilen deutlich über jenen, die innerhalb der 20-Kilometer-Zone gemessen wurden. Die radioaktiven Substanzen verbreiten sich eben nicht gleichmäßig in alle Richtungen. Abhängig vom Wind und den Niederschlägen kann es an bestimmten, auch weiter entfernt gelegenen Orten zu stark erhöhter Radioaktivität kommen.
Letztlich kommt es darauf an zu messen, wo die Strahlungswerte eine Evakuierung erforderlich machen. Ab welchem Wert man dies macht, ist eine Frage der Abwägung: Wie viel Risiko man Menschen zumuten kann, ist keine wissenschaftlich zu beantwortende Frage. Dass jedoch die Menschen aus den bereits evakuierten Gebieten in ihre Heimat zurückkehren können ist sehr unwahrscheinlich. Schließlich beträgt beispielsweise die Halbwertszeit von Cäsium-137 rund 30?Jahre. Das heißt, in 30 Jahren wird sich die Strahlenbelastung erst halbiert haben. Und dieses Cäsium-Isotop ist nicht die einzige radioaktive Substanz, die in Fukushima freigesetzt worden ist.
Mit welchen gesundheitlichen Folgen müssen die Menschen in Japan durch die freigesetzte Radioaktivität rechnen?
Nur wer sehr hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt wird, wie dies möglicherweise bei einigen der Arbeiter im Kraftwerk der Fall war, muss mit akuten Schädigungen von Organen oder des Immunsystems rechnen. Wer von der sogenannten Strahlenkrankheit betroffen ist, hat ein hohes Risiko, innerhalb von Wochen oder Monaten zu sterben. Wer nur einer leicht erhöhten Strahlung ausgesetzt ist, muss keine unmittelbaren Folgen fürchten. Allerdings erhöht jede zusätzliche Dosis an ionisierender Strahlung die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendwo im Körper eine Zelle in eine Krebszelle verwandelt und somit ein Tumor entsteht. Da dies jedoch ein statistischer Effekt ist, wird man im Einzelfall nie sagen können, dass ein bestimmter Patient eine Krebserkrankung als Folge des Reaktorunglücks bekommen hat. Er hätte sie ja vielleicht ohnehin bekommen. Nach Lage der Dinge, dürfte sich in Japan lediglich eine statistische Zunahme von Krebserkrankungen nachweisen lassen – wenn man die erforderlichen epidemiologischen Daten erhebt. In Deutschland konnte statistisch nicht nachgewiesen werden, dass es durch Tschernobyl zu mehr Krebsfällen gekommen ist. Was nicht heißt, dass nicht der eine oder andere Fall eben doch durch das Unglück in der Ukraine verursacht wurde.
Welches Unglück ist denn unter dem Strich schlimmer – Fukushima oder Tschernobyl?
Diese Frage lässt sich noch nicht beantworten. Formal sind beide Unglücke auf der internationalen Störfallskala auf der höchsten Stufe eingeordnet worden. Nach offiziellen japanischen Angaben soll in Fukushima bislang ungefähr zehn Prozent der Menge an radioaktiven Substanzen freigesetzt worden sein, wie seinerzeit in Tschernobyl. Doch es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Menge noch deutlich erhöht. Bislang sind die havarierten Reaktoren von Fukushima ja nicht versiegelt und können weiterhin Radioaktivität freisetzen.
Selbst von offizieller japanischer Seite wird nicht ausgeschlossen, dass am Ende durch die Katastrophe von Fukushima mehr strahlende Substanzen in die Umwelt gelangen könnten als in Tschernobyl. Ein wichtiger Unterschied zwischen Fukushima und Tschernobyl ist jedoch, dass es im havarierten Reaktor von Tschernobyl tagelang einen Grafitbrand gab, durch den per Kamineffekt eine große Menge radioaktive Substanzen in sehr große Höhen aufsteigen konnten. Dort wurden sie mit den Winden über sehr große Distanzen weitergetragen. In Japan verläuft das Reaktorunglück in diesem Sinne deutlich lokaler. Allerdings sind hier wiederum große Mengen an Radioaktivität in ein Weltmeer, den Pazifik, gelangt.