In der einen Hand das Handy, in der anderen drei dicke Bücher: So schlendert der 1,92-Meter-Hüne Dieter Birr lässig über den Spittelmarkt. Den Puhdys-Sänger darf man wohl getrost zu einem der bekanntesten Gesichter des Ostens zählen. Kein Wunder, dass sich unweit des Spreeufers viele nach ihm umdrehen. Der erste Autogrammwunsch lässt nicht lange auf sich warten. Für den Vollblut-Musiker ist das überhaupt kein Problem. Geduldig kritzelt er sein Signet auf Zettelchen und Bücher. Apropos Buch. Seine Gedanken kreisen schon seit Monaten um die Lektüre, die er gerade von einem Verlag zum Auto schleppt. Es ist Birrs eigene Autobiografie mit dem Titel „Maschine“, die jetzt erschienen ist.
Seit fast 45 Jahren ist Dieter Birr Kopf der populärsten Band Puhdys. Auf sein Konto gehen über 250 Kompositionen, CDs und LPs verkauften sich millionenfach. Birr, den Fans und Kollegen wegen seiner Bühnen-Präsenz nur „Maschine“ nennen, besang schon vor 30 Jahren die „Rockerrente“. Diese bezieht er mittlerweile wirklich. „Ans Aufhören denk’ ich aber nicht. Rockmusik ist für mich nicht nur Leidenschaft, sie ist mein Leben!“ Das sagt einer, der am heutigen Dienstag seinen 70. Geburtstag feiert. „Eigentlich fühle ich mich gar nicht so. Wahrscheinlich stimmt was mit der Geburtsurkunde nicht“, sagt Birr. Auf seinem neuen Solo-Album arrangierte er seine Lieblings-Puhdys-Hits völlig neu. Zu hören sind auch einige Gastmusiker wie Jule Neigel, Uwe Hassbecker (Silly) und Wolfgang Niedecken (BAP). Mit den Pudys ist jedoch bald Schluss: Im kommenden Jahr soll es ein Abschlusskonzert vor der Trennung geben, heißt es seitens des Managements. Doch wenn man Birr und seine Euphorie live erlebt, scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen.
„Eine richtige Fressmaschine“
Wie Dieter Birr seit Jahrzehnten die Form hält, wie er privat lebt und was er noch vorhat, verrät der Neuenhagener in seiner Autobiografie. Persönlich wie nie gibt er Auskunft über eins seiner ersten Konzerte in Storkow, die Liebe seines Lebens Sylvia, seine schwere Borreliose-Krankheit und über seinen „Lebensfreund“ Fritz Puppel (City). Co-Autor ist Musikexperte Wolfgang Martin, ein gebürtiger Luckenwalder.
Was selbst Freunden und Künstler-Kollegen schleierhaft ist: Wie Dieter Birr Tourneen, Studio-Produktionen, Komponieren und Familie unter einen Hut bekommt. Maschines einfache Antwort: „Alles ist nur eine Frage der Planung.“ Ein ausgiebiges Frühstück sei für ihn aber genauso entscheidend. „Auch mal deftig – gleich mit Käse, Wurst und Eiern.“ Ansonsten isst der Birr gern Pizza oder Schnitzel, am liebsten mit Sauce béarnaise. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu wissen: Eigentlich stammt Birrs Spitzname von „Fressmaschine“. Band-Kollege Peter Meyer fand schon in den 70er-Jahren: „Er frisst für drei! Eine richtige Fressmaschine.“
Seinen hohen Bekanntheitsgrad bereitet ihn in seiner Heimat Neuenhagen keine Probleme. „Ich lebe ganz normal. Ich muss mich nicht tarnen“, sagt er. Der Gang zum Bäcker, der Weg zur Tankstelle oder Fans mit Autogrammwunsch: „Ich bin so wie ich bin, muss mich nicht verstellen.“ Einmal in der Woche geht es mit seinem besten Freund, dem City-Gitarristen Fritz Puppel, zum Lieblingsitaliener nach Schöneiche. Beide kennen sich seit dem 16. Lebensjahr, spielten lange bei den Lunics. „Hätte uns die Armeezeit nicht getrennt, würden wir vielleicht heute noch in einer Band Musik machen.“ Vielleicht wäre dann „Maschine“ heute nicht der Puhdys-, sondern der große Lunics-Star. „Das ist gut möglich“, schmunzelt der gelernte Universalschleifer. Seinen erlernten Job schmiss er übrigens, als Fritz Puppel eines Tages gut ausgeschlafen in der Werkzeugfabrik Treptow aufkreuzte und verkündete, er habe gekündigt und mache jetzt nur noch Musik. „Das fand ich so geil“, findet Birr noch immer. Schließlich macht er es ihm nach, studierte später aber Tanzmusik und Gitarre an der Musikschule Friedrichshain.
Zu Dieter Birrs liebsten Hobbys zählt das Fahrradfahren. „Allerdings nicht ganz freiwillig. Ich fing damit nach meiner Borreliose-Krankheit an. Erst auf dem Hometrainer, dann draußen.“ Ärzte rieten zu mehr Pausen. Zum ersten Mal hörte Birr von Medizinern: Auch positiver Stress ist Stress und damit schädlich. „Natürlich hab’ ich das jetzt kapiert. Aber in der künstlerischen Arbeit ist es oft schwierig, mal auszusetzen. Oft schwirren mir Sachen im Kopf herum: fehlende Textzeilen oder Strophen, die noch nicht perfekt sind.“ Dabei überrascht „Maschine“ im Buch mit der Auskunft: „Ich bin von Natur aus eher faul.“ Seiner Karriere hat dies nie im Wege gestanden.