Überflutungen

„Müssen hier raus!“: So erlebten Betroffene die Katastrophe

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Beate Au, Andreas Böhme, Jan Lindner, Petra Koruhn und Hubert Wolf
Hochwasser in NRW: "Damit hat keiner gerechnet"

Hochwasser in NRW- Damit hat keiner gerechnet

Nach den Unwettern im Westen Deutschlands steht das Zentrum von Geilenkirchen nördlich von Aachen unter Wasser.

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Zahlreiche Menschen sind nach den Überschwemmungen in Deutschland von der Außenwelt abgeschnitten. So erleben sie die Katastrophe.

Ahrweiler/Köln. Gigantische Wassermassen fließen durch die Straßen, ganze Orte versinken in braunen Fluten. Es sind unfassbare Bilder und Szenen, die sich in vielen Teilen Deutschlands abspielen – besonders betroffen von der Katastrophenflut sind die Eifel und Nordrhein-Westfalen. Mindestens 43 Menschen sterben nach den Überflutungen. Etwa 70 Menschen wurden am Donnerstagabend noch vermisst. Mehrere Häuser sind eingestürzt. Menschen fliehen in ihrer Not auf ihre Hausdächer und warten auf Rettung. Etwa 200.000 Menschen sind deutschlandweit ohne Strom.

„Das ist die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Jürgen Pföhler, Landrat in Ahrweiler. Der Landkreis in Rheinland-Pfalz ist mit am stärksten von der Katastrophe betroffen. Hier hat sich die Zahl der Toten auf mindestens 18 erhöht. Hundert Häuser wurden zerstört. Die reißende Ahr hat sie einfach weggespült – vielfach waren die Menschen noch im Haus. Eine Frau konnte den Wassermassen nicht entkommen. Sie ertrank in ihrer Souterrain-Wohnung.

Hochwasser in Deutschland: Altenpflegerin verzweifelt über Versorgungslage

Auch der kleine Ort Schuld im Kreis Ahrweiler ist betroffen: „Es fehlen drei Häuser, die die Sturmflut mitgerissen hat“, sagt Ortsbürgermeister Helmut Lussi. „Autos sind weggeschwommen und Gastanks wurden weggerissen. Es sieht verheerend aus, wie nach einem Bombenanschlag..“

Yvonne Glasner ist erst vor zwei Wochen mit ihrer Familie in ihr Häuschen eingezogen. Im Fernsehinterview berichtet sie, welche dramatischen Szenen sich in der Nacht zum Donnerstag abgespielt haben: Ganz schnell seien „Keller und Garage vollgelaufen, sagt sie und ergänzt, sie könne es immer noch nicht fassen. Mit belegter Stimme berichtet sie, wie dann „das Auto ihres Schwiegervaters und noch andere Autos“ am Schlafzimmerfenster vorbeigeschwommen sind. „Auch der Kühlschrank trieb uns schon entgegen.“ Eigentlich hatten sie sich schon zum Schlafen hingelegt. Doch dann hat sie alle wachgeschrien und gerufen: „Wir müssen hier raus!“

Sie und ihre Familie sind in Sicherheit. Aber sie macht sich Sorgen um ihre Angehörigen, die sich wie viele in ihren Häusern nach oben geflüchtet haben. „Meine Schwiegereltern sitzen im zweiten Stock fest. An die kommt man überhaupt nicht mehr ran. Sie sind komplett eingeschlossen.“ Sie selbst hat keinen Strom und nur noch die Hoffnung, dass sie überhaupt wieder in ihr Haus zurückkann.

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Überschwemmungen: „Es sieht aus wie im Krieg“

Verzweiflung ist auch bei Jessica Groß zu spüren. Die Altenpflegerin aus Ahrweiler sagt: „Es ist so furchtbar, es sieht so aus wie im Krieg, Autos hängen auf Bäumen, alles ist überflutet, durch die vielen Absperrungen kommt man kaum nach Hause.“ Doch zum Weinen bringt die 30-Jährige, dass sie und ihre Kollegen viele ihrer Patienten gar nicht erreichen können: „Wir wissen noch nicht einmal, wie es ihnen geht, denn die Telefone funktionieren nicht und viele könnten noch nicht mal den Notruf wählen.“

Dramatische Bilder kommen auch aus Teilen von Nordrhein-Westfalen. 15 Menschen kamen allein in Euskirchen bei Köln ums Leben, meldet die Polizei. In Solingen starb ein 82 Jahre alter Mann nach einem Sturz im überfluteten Keller seines Hauses, weil er mit dem Kopf unter Wasser geraten war.

An der Steinbachtalsperre mussten mehrere Orte evakuiert werden. Die Talsperre wurde von einem Sachverständigen als „sehr instabil“ eingestuft. 4500 Einwohner sind betroffen. Viele Orte in NRW sind immer noch von der Außenwelt abgeschnitten. So auch das sauerländische Altena. „Es ist wirklich sehr bedrückend hier“, sagte ein Kreis-Sprecher. Das Wasser fließe noch immer kniehoch durch die Straßen. Ein Feuerwehrmann hatte am Mittwoch hier sein Leben verloren.

Polizei muss gegen Plünderer vorgehen

Bewohner aus Altena berichten am Telefon von Autos, die in der Brühe schwimmen und dem Geruch von Öl und Diesel, der über der Stadt liegt. Straßen seien zu vermüllten Grachten geworden, Keller und Geschäfte vollgelaufen. „Bei den Ersten werden langsam die Lebensmittel knapp“, sagt ein Mann.

Die Stadt Hagen steht teilweise unter Wasser. Hier hilft die Bundeswehr mit, die Schäden einzudämmen. Hundert Soldaten sind im Einsatz. Am Donnerstag wurden zwei weitere Panzer geschickt.

Entsetzt zeigte sich die Polizei über Plünderer, die in Stolberg bei Aachen unterwegs waren. Einer wollte einen Juwelier überfallen, die Polizei konnte den Verdächtigen aber festnehmen. Auch in einen Supermarkt wurden sie gerufen. Hier konnten die Unbekannten flüchten. Eine Hundertschaft der Polizei bewache nun die leer stehenden Häuser.

Betroffen von den Folgen des schweren Unwetters sind auch Deutschlands Nachbarstaaten Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Mindestens sechs Menschen sollen ihr Leben verloren haben.