Berlin. Der Start wollte so gar nicht zu ihm passen. Erst knapp zwei Minuten nach dem vom 1. FC Union für Freitag, 14 Uhr, angekündigten Präsentationstermin des neuen Cheftrainers öffneten sich die Türen des Medienraums in der Alten Försterei. Zwei Minuten zu spät, das ausgerechnet bei einem Schweizer, der sich wenig später selbst auch noch als „korrekt, konsequent, mit Ambitionen natürlich, aber auch bescheiden“ charakterisierte. Dinge, die man so gern mit den Eidgenossen verbindet. Sollte dies die einzige kleine – und sicher verschmerzbare – Ungereimtheit bleiben, wird der Berliner Fußball-Zweitligist viel Freude an Urs Fischer haben.
Ein Schweizer also soll die Köpenicker wieder auf Vordermann bringen. Fischer, 52 Jahre alt, verheiratet, „glücklich“, wie er sofort hinzufügt, Vater von zwei Töchtern, bewältigt seine erste Pflichtaufgabe souverän, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Fast schon staatsmännisch und doch extrem geerdet in Jeans, dunklem Sakko und weißem Hemd erzählt er von seinen Plänen mit den Berlinern.
Meister und Pokalsieger mit dem FC Basel
Als Coach fordere er schon „im Training Qualität“. In welcher Art? „Das werden die Spieler dann schon erfahren.“ Der Fußball, den er spielen lassen will, soll „dominant“ sein. Immer wieder ist von Mut die Rede. „Wichtig ist, dass die Mannschaft, auch wenn es schwierig wird, immer aktiv ist und auf dem Platz immer etwas unternimmt“, sagt Fischer mit einem angenehm unaufgeregten Schweizer Dialekt. Sein Spielsystem? „Wenn wir die Mannschaft zusammen haben, werden wir schauen, welches System am besten passt.“ Fischer will sich nicht gleich zu Beginn auf eine Spielweise festlegen lassen, auch wenn er das 4-2-3-1 wohl bevorzugt.
Vor allem sei das Engagement bei Union, das zunächst auf zwei Jahre ausgelegt ist, „spannend“. Ob anstehende Spielerverpflichtungen, die ebenso dringend nötig wie längst noch nicht vollständig ausgereift sind, ob die Tatsache, dass es für Fischer sein erstes Engagement außerhalb der Schweiz ist – alles ist für ihn „spannend“. Er wirkt wie ein Trainer, der die Jahrzehnte lang genossene Wohlfühlzone verlassen hat und nun in der größeren Fußballwelt sein Glück versuchen will.
Dass er Union „extrem dankbar“ dafür ist, eine Chance zu erhalten, passt ins Bild. Und es wirkt doch fast abwegig bodenständig für jemanden, der schon einiges erlebt hat. 545 Erstligaspiele als Innenverteidiger beim FC Zürich und FC St. Gallen. Nach dem Erwerb der Uefa-Pro-Lizenz trainierte Fischer Zürich, den FC Thun, zuletzt den Schweizer Topklub FC Basel, den er 2016 zur Meisterschaft und ein Jahr später zum Double führte. Ja sogar in der Champions League 2016/17 war er dabei, auch wenn es gegen Schwergewichte wie den FC Arsenal und Paris St. Germain sowie Ludogorez Rasgrad kaum etwas zu holen gab. Von einem unbeschriebenen Blatt zu sprechen, verbietet sich also.
Laut Oliver Ruhnert, Unions Geschäftsführer Profifußball, passt Fischer genau in die von Union gestellten Anforderungen. „Defensiv stabil stehen, aber offensiv auch Tore schießen – das haben seine Mannschaften ausgezeichnet. Also muss da ein System hinterstecken“, erklärt Ruhnert einen Grund, warum bei der wichtigsten sportlichen Personalie die Wahl auf Fischer fiel. Und: „Wenn man in Basel gegen viele Ressentiments ankämpfen muss und dann Erfolg hat – und in Basel hat man die Aufgabe, ein Spiel zu dominieren – dann spricht das schon für ihn.“
Nein, Fischer wurde einst in Basel nach seinem Wechsel von Zürich nicht mit offenen Armen empfangen, lange warf man ihm zudem vor, er würde mutlosen Fußball spielen lassen. „Wenn man aber 92 Tore in einer Saison erzielt und 86 Punkte holt – wie kann man da mutlos spielen?“
Gang in die Zweite Liga sieht er nicht als Rückschritt
Fischers rhetorische Frage beantwortete die neue Baseler Klubführung vor einem Jahr mit dem Rauswurf des Trainers. Dass dieser den Weg von der Schweizer ersten in die deutsche Zweite Liga nicht als Rückschritt ansieht, ist nachvollziehbar. „Es war immer schon mein Wunsch, außerhalb der Schweiz eine Mannschaft zu trainieren“, sagt Fischer. Hospitationen bei Borussia Mönchengladbach – oder auch zu Zeiten seines Landsmanns Lucien Favre bei Hertha BSC – haben diesen Wunsch sicherlich verstärkt.
Der erste Eindruck ist in jedem Fall ansprechend, das gilt für Fischer im Speziellen wie auch für seine ersten Berührungspunkte mit Union. Klubchef Dirk Zingler „hat mich auf eine Stadionführung mitgenommen. Wenn Fans an einem Stadion mitbauen, das macht schon Eindruck“, sagt Fischer. Die Gespräche über seine Anstellung, die er als „angenehm, konstruktiv und zielgerichtet“ umschreibt, taten ihr Übriges. Fischer: „Was ich bis jetzt bei Union gesehen habe, ist fantastisch. Hier wird alles unternommen, damit die erste Mannschaft erfolgreich spielen kann. Es ist einiges möglich.“ Vom Aufstieg in die Bundesliga sprach er nicht. Andererseits, so Fischer, „wenn es diese Saison schon passieren sollte – warum nicht?“
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