Berlin. Der Teppich für die große Show ist längst ausgerollt. Nicht in Rot, wie man es von den großen Veranstaltungen wie Filmpremieren gewohnt ist. Der Rasen im Dresdner Stadion wird in sattem Grün daher kommen, so das frisch verlegte Geläuf auch vernünftig anwächst.
Die Arena selbst? Wird mit 32.066 Plätzen ausverkauft sein, nicht nur wegen der 2950 Tickets, mit denen der 1. FC Union sein Kontingent komplett ausgeschöpft hat. Und natürlich ist das Duell am Sonntag (13.30 Uhr, Sky) in der sächsischen Landeshauptstadt auch wieder ein Hochsicherheitsspiel. Dresden gegen Union – das ist alles andere als nur ein Ost-Derby.
Dies gilt in dieser Saison noch mehr als bislang. Der Fünfte (Dresden) nach 18 Spieltagen empfängt den Vierten (Union). Das war im Lager der Köpenicker sicher so erhofft, von Dynamo-Seite hingegen sicher so nicht prophezeit worden. Auch wenn Union-Trainer Jens Keller (45) zugibt: „Sie stehen zu Recht da oben“, auch wenn das von einem Aufsteiger nicht zu erwarten gewesen ist. „Sie besitzen eine gute Mannschaft und einen guten Trainer, der in Dresden sehr viel bewegt hat“, so Keller weiter.
Neuhaus’ Ehrgeiz ist gegen den Ex-Klub noch größer
Der gute Trainer heißt Uwe Neuhaus (57) und war selbst von 2007 bis 2014 für die Geschicke bei Union verantwortlich. Allein dieser Umstand macht die Begegnung so pikant. Neuhaus, der Mann, der Union 2009 zurück in die Zweite Liga geführt hatte. Und der Union fünf Jahre später verlassen musste, verbittert, weil man ihm die Chance nahm, mit den Köpenickern auch den letzten großen Schritt zu schaffen: in die Bundesliga. Klubchef Dirk Zingler und Co. sprachen seinerzeit von einem mentalen und emotionalen Neuanfang, der nötig sei.
Dass die Dresdner nun mit einem Sieg gegen den ehemaligen Arbeitgeber ihres Trainers sogar auf den vierten Platz rücken können, „spornt meinen Ehrgeiz zu gewinnen vielleicht noch ein kleines bisschen mehr an“, gibt Neuhaus unumwunden zu.
Dresden gegen Union ist auch das Aufeinandertreffen zweier Trainer, die sich nicht ganz unähnlich sind. Beide Saisonverläufe haben Hoffnungen geweckt, in Berlin auf einen zweiten Erstligaklub neben Hertha BSC, in Dresden auf einen Durchmarsch à la Darmstadt 98, in jedem Fall aber auf die Etablierung in der Zweiten Liga, so wie sie Neuhaus schon mit Union gelungen war. Die aktuellen Mannschaften zeichnen viel Laufarbeit und Einsatz aus, dazu das schnelle Spiel in die Spitze, ist der Ball erst einmal erobert. Keller bei Union, Neuhaus in Dresden – beide Trainer können als Glücksfälle für ihre Klubs bezeichnet werden.
Beiden Klubs liegt die Verfolgerrolle
Zumal auch beide mit der Rolle des Verfolgers zu wuchern wissen. Wenn Unions Keller Druck von den Seinen nimmt mit den Worten „Wir können nicht sagen, wir müssen aufsteigen“, dann klingt das bei Neuhaus in Dresden wie folgt: „Wenn uns das im Vorfeld einer gesagt hätte, hätten wir das sofort angenommen.“
Ganz im Duktus eines Aufsteigers, der weiß, wem er die Favoritenrolle für dieses Derby zuschanzen muss. „Wenn sie die Konstanz weiter halten“, ist sich Neuhaus sicher, kann Union den Sprung ins Oberhaus gelingen: „Sie haben durchaus Qualität, es zu schaffen, wenn es mal läuft.“
Bislang läuft es, ebenso wie bei den Dresdnern. Noch keines der Spiele gegen die Mannschaften auf den Plätzen eins bis sieben hat Dynamo verloren. „Dann wird’s Zeit“, stichelt Union-Coach Keller und hat dabei nicht zuletzt den Druck auf das Führungstrio im Hinterkopf, der unbedingt aufrechterhalten werden soll, um den Vier-Punkte-Abstand zu den Aufstiegsplätzen möglichst schon in dieser frühen Rückrundenphase zu verringern.
Derby befeuert Sehnsüchte der Fußball-Romantiker
Den kleinen Wissensvorsprung bezüglich des Gegners, den Neuhaus für sich in Anspruch nimmt, weil er noch den einen oder anderen Union-Profi aus seiner Berlin-Zeit kennt (zum Beispiel Damir Kreilach, Michael Parensen oder Steven Skrzybski), gleicht Keller mit der Erfahrung von vier Bundesliga-Aufstiegen als Spieler und seine Trainerzeit bei Schalke 04 aus.
„In Dresden können wir nur als Team funktionieren. Doch die Mannschaft hat sich im Training sehr konzentriert gezeigt, mehr als sonst. Diese Woche hat Spaß gemacht“, sagte Keller. Worte, die auch von Neuhaus stammen könnten. Nicht zuletzt befeuert das Duell auch alle Sehnsüchte sogenannter Fußball-Romantiker, die in Ablehnung der Daseinsberechtigung von RB Leipzig nur durch Klubs wie Union oder Dresden den Ost-Fußball würdig in der Bundesliga vertreten sehen.
Keine Frage, Dresden gegen Union ist weit mehr als nur ein Ost-Derby. Es sind 90 Minuten, in denen Keller wohl wieder auf Stephan Fürstner statt Parensen im defensiven Mittelfeld setzen wird und bei Dresden die Rückkehr von Mittelfeldspieler Erich Berko „noch nicht komplett ausgeschlossen“ ist, hofft Neuhaus. In jedem Fall werden beide Teams sich nichts schenken, auch wenn der frisch verlegte Rasen sicher darunter leiden wird.