Berlin. „Es ist schwer zu beschreiben.“ Benjamin Köhler zählt sicher nicht zu jenen Menschen, die viele Worte machen. Dass sie ihm einmal fehlen, ist dennoch ungewöhnlich. Doch was ist schon gewöhnlich nach einem Jahr, in dem der Kampf um das Leben im Vordergrund stand und nicht der Kampf um Punkte. Seine Emotionen in Worte zu fassen nach der Rückkehr in den Profifußball, ist da nicht so einfach.
Also gibt der 35-Jährige einfach den Lausbuben, den die Mutter viel zu früh vom Bolzplatz zum Essen nach Hause ruft: „Ich möchte noch ein paar Minuten mehr spielen. Das Spiel war ja nach 90 Minuten schon zu Ende. Leider.“ Man möchte ihm in jenem Moment zurufen: Lass gut sein für heute, morgen ist auch noch ein Tag. Und Köhler hat nicht nur diesen einen Tag, sondern noch viel, viel mehr.
Für ihn waren jene 14 Minuten gegen Eintracht Braunschweig (3:1) mehr als nur ein Teileinsatz in einem x-beliebigen Zweitligaspiel. Es war die vollständige Rückkehr in die Normalität, aus der er durch seinen inzwischen kurierten Lymphdrüsenkrebs vor gut 13 Monaten so unbarmherzig herausgerissen worden war.
Vorbild für alle Krebsleidenden
Köhler gibt damit all jenen Menschen Hoffnung, die den Kampf gegen die heimtückische Krankheit Krebs aufgeben wollen oder es sogar schon haben. Denn gar nicht erst zu kämpfen, ist schon die erste Niederlage, wenn nicht sogar die alles entscheidende.
Auch deshalb spricht Köhler von einer „riesigen Freude, nach so langer Zeit ein Pflichtspiel machen zu können. Jetzt weiß ich, was mir in den vergangenen Monaten gefehlt hat. Das geht einem sehr nah“. Nicht nur ihm, sondern allen, die den Weg des Berliners verfolgt haben seit Bekanntwerden der Diagnose Anfang Februar 2015.
Die Krankenhausaufenthalte samt sechs Sitzungen im Rahmen der Chemotherapie, die ersten Schritte im Training im Herbst, das erste Spiel im Wintertrainingslager in Spanien – in jeder Woche, in jedem Monat wurde die Hoffnung auf das Comeback gestärkt. Den Rückhalt holte er sich bei seiner Familie, natürlich. Und bei Union, dank der sofortigen Verlängerung seines Vertrages direkt nach der Diagnose bis Sommer dieses Jahres.
„Wenn ich helfen kann, kann ich spielen“
Köhler hat es zurück, dieses Kribbeln, wenn es auf dem Platz um Punkte geht und er endlich wieder mithelfen kann, statt sich immer nur helfen zu lassen. „In einem Pflichtspiel wieder mit um den Sieg zu zittern, ist doch etwas anderes“, gibt er zu. Und er will es öfter spüren als nur am Freitagabend. Und länger. „Ich habe nicht gesagt, dass ich ein Abschiedsspiel machen will. Ich will noch spielen, es sind noch sieben Partien.“ Köhler will mehr, vom Fußballspiel, vom Profidasein, vom Leben selbst. Gerade ihm kann man es nicht verdenken, dass er nicht genug bekommen kann.
Doch – und das ist ein Teil der Normalität im Business – der Zeitpunkt wird kommen, wo es genug sein wird. Weil Köhler die immer höher werdenden Anforderungen an den Fußball nicht mehr erfüllen können wird. Weder bei Union, noch bei einem anderen Klub. Köhler weiß das, ohne Zweifel. Aber er stemmt sich dagegen, mit aller Macht, lässt immer wieder durchblicken, dass er noch spielen will. Ein Jahr noch, oder zwei.
Karriereende? „Dann, wenn es keinen Weg mehr gibt, irgendwo zu spielen oder mich nichts reizt. Davon gehe ich aber nicht aus“, sagt Köhler: „Wenn ich helfen kann, kann ich spielen. Das ist mein Ziel. Ich habe es bis hierhin geschafft. Deswegen werde ich nicht direkt aufhören.“ Gespräche mit Union hat es noch nicht gegeben. „Das wird auch auf keinen Fall nächste Woche sein.“ Druck macht er sich nicht.
Ein neues Tattoo zum Abschluss
„Hard Times will always reveal true friends“, harte Zeiten offenbaren immer wahre Freunde, ist seit sechs Wochen in Köhlers Nacken tätowiert. „Rate mal, warum ich es gemacht habe?“, fragt er. Es bedarf keiner weiteren Worte.