Momentaufnahme. Es ist wohl der derzeit am meisten gebrauchte Begriff an der Alten Försterei. Man kann den Trainer fragen nach dem Sprung des Berliner Fußball-Zweitligisten an die Tabellenspitze oder auch die Spieler. Immer wieder fällt dieses eine Wort: Momentaufnahme.
Union am Tag nach dem Erwerb des Gütesiegels Spitzenreiter. Die Stammkräfte, die am Sonntagnachmittag das 1:0 in Ingolstadt unter Dach und Fach gebracht hatten, sind bei einer regenerativen Einheit mit dem Fahrrad unterwegs. Die Reservisten nutzen den Wald für eine intensive Laufeinheit. Gut gelaunt, kein Wunder nach dem sechsten Spiel in Folge ohne Niederlage.
Das Wetter an diesem Septembertag ist wenig erwärmend. Der Blick auf das Tableau des Bundesliga-Unterhauses dagegen umso mehr. Sollte man meinen, doch bei Union sucht man vergeblich nach Euphorie oder auch nur einer Spur davon. „Warum auch? Das ist eine schöne Momentaufnahme, mehr aber auch nicht“, sagt Verteidiger Fabian Schönheim ganz defensiv. Da war es wieder, dieses Wort: Momentaufnahme.
Ein Blick auf die Tabelle ist nicht verboten
Ein Blick auf die Tabelle, die Union erstmals seit vier Jahren wieder als Klassenprimus ausweist? „Ich habe Sonntagabend kurz draufgeschaut, heute jedoch noch nicht“, lässt Mittelfeldspieler Michael Parensen kaum offensiver wissen. Dabei hat Trainer Uwe Neuhaus den Blick auf die Tabelle keineswegs verboten. Und doch ist etwas anders am Tag eins nach der Rückkehr auf den ersten Platz. „Es fühlt sich gut an“, geben sowohl Parensen als auch Schönheim zu.
Also doch: Bei Union nimmt man den Fakt, das 18er-Feld anzuführen, mit Wohlwollen zur Kenntnis. Mehr aber auch nicht. „Das ist eine Ausgangssituation, wie wir sie noch nicht gehabt haben“, meint Torwart Daniel Haas: „Jetzt müssen wir schauen, dass wir das in den nächsten Wochen rechtfertigen.“ Die Art und Weise, wie man bei den Köpenickern trotz des Höhenfluges auf dem Boden bleibt, wirkt nur im ersten Moment falsch.
Im Gegenteil, dieses „Wir haben Null Komma Null erreicht“ (Parensen) oder jenes „Wir haben noch so viele Spiele vor uns“ (Schönheim) verdeutlichen: Bei Union will man nach sieben von 34 Spieltagen (noch) nichts vom Aufstieg wissen. „Das Wichtige ist, dass wir bescheiden bleiben und in dieser schweren Liga so schnell wie möglich die 40 Punkte holen“, so Schönheim. Wie bitte? Das klingt schon mehr nach Tiefstapelei als nach Understatement…
Nach sieben Spielen einen Schnitt von zwei Punkten
Weit gefehlt. Schönheim erklärt: „Was jetzt von außen reingeredet wird, ist alles Quatsch. Wenn wir jetzt drei Spiele verlieren, dann stehen wir wieder hinten, und dann heißt es: Union spielt jetzt gegen den Abstieg. Das Gerede um den Aufstieg hat uns in der vergangenen Saison schon geschadet, daraus sollten wir gelernt haben. Träumen kann ja jeder, doch wir sind alle Realisten genug, um zu wissen, dass es schwierig wird, den Zwei-Punkte-Schnitt zu halten.“
Es sind eben diese Zahlen, die auf den größten anzunehmenden Glücksfall hoffen lassen. 14 Punkte aus sieben Spielen, das ist die Bilanz eines Aufstiegskandidaten. Das geheime aus dem Geheimfavoriten, den die Ligakonkurrenz in Union schon vor der Saison gesehen hat, verschwindet jedenfalls mehr und mehr. „Wir haben uns nie so gesehen. Es gab so viele Mannschaften, die nach sieben Spielen oben waren und am Ende unter ferner liefen gelandet sind. Man hat jetzt mehr Aufmerksamkeit, aber wir werden nun auch von den anderen Mannschaften gejagt, da müssen wir auch erst einmal zeigen, ob wir damit klar kommen.“
Legt man die bisher gezeigten Leistungen zu Grunde, wird deutlich: Der Union-Jahrgang 2013/14 wird auch damit umgehen können. Beispiel Ingolstadt. Schlecht gespielt, trotzdem gewonnen. Eine Eigenschaft, die den bisherigen Zweitliga-Teams der Ära Neuhaus abging. „Es ist natürlich schön, gerade nach einem Spiel, in dem wir nicht unsere beste Leistung gezeigt haben, ganz vorne zu stehen“, sagt Parensen.
„Wir haben noch Luft nach oben“
Und seine folgenden Worte klingen fast wie eine Drohung an den Rest der Liga. „Wir haben noch Luft nach oben.“ Aber nur fast. „Ich rede ja nicht von der Tabelle, sondern von dem Fußball, den wir zeigen wollen“, erklärt Parensen flugs: „Ich bin weit davon entfernt, zu sagen: Hurra, wir steigen jetzt auf. Das ist absoluter Quatsch, wenn man das Spiel in Ingolstadt gesehen hat.“
Doch auch den Verfolgern wird nicht entgangen sein, wie gefestigt das Team seit Wochen auftritt. Trotz fünf neuer Spieler. Trotz des mühsamen Starts mit einem Punkt aus zwei Partien. „Wir haben bis jetzt in allen Spielen defensiv gut gearbeitet, das war auch in Ingolstadt der Schlüssel“, sagt Torwart Haas. Er selbst hat mit dem ersten Zu-Null der Saison maßgeblich dazu beigetragen.
Dann das neue System mit zwei defensiven Mittelfeldspielern. „Das muss nicht immer der Hauptgrund sein, dass wir jetzt erfolgreicher spielen“, sagt Schönheim: „Aber es hilft uns, weil wir mit den zwei Sechsern defensiv besser stehen können als vergangenes Jahr, wo wir offensiver gespielt haben. Und weil wir Spieler für diese Position haben, die beim Aufbauspiel helfen.“
Die Gegner bekommen Unions Druck zu spüren
Dazu kommt der Ballbesitz (bislang 58 Prozent in der Saison), ein weiteres Resultat der veränderten Spielweise. Schönheim: „Ich finde schon, dass wir durch dieses frühe Draufgehen auf den Gegner ein Stück weit wacher sind, als wenn wir abwarten würden.“ Ob Kapitän Torsten Mattuschka oder Stürmer Adam Nemec den Gegner früh stören, oder auch Damir Kreilach (Schönheim: „Der ist immer völlig on fire“) im defensiven Mittelfeld – Union versucht, seinem Gegner von Beginn an das Spiel aufzudrücken.
Es ist diese neue Qualität, die sich endlich auch in den Ergebnissen niederschlägt und die Köpenicker das tun lässt, was ihnen ihr Trainer verordnet hat. „Wir genießen das jetzt. Es ist angenehm“, sagte Neuhaus.
Dabei geht der Blick schon in Richtung Spitzenspiel am Freitag gegen die SpVgg Greuther Fürth (18.30 Uhr, Alte Försterei). Für Union wird es gegen den Bundesliga-Absteiger darum gehen, „den nächsten Schritt zu machen“, so Haas. Bis dahin gilt das Motto, dass selbst bei einer Niederlage gegen Greuther Fürth gültig bleiben wird. „Platz eins oder zwei ist eine schöne Momentaufnahme, die nehmen wir mit“, macht Parensen noch einmal deutlich.
Dass auch der zweite Platz zum Aufstieg in die Bundesliga reicht, ist allerdings auch ihm nicht entgangen.