Am Tag nach dem 3:2 des 1. FC Union über den FC St. Pauli greift Präsident Dirk Zingler schon wieder voll an. Mit Wucht sticht er das Paddel ins Wasser und hilft so tatkräftig dem Boot der Union-Geschäftsstelle beim traditionellen Drachenboot-Fun-Cup der Fans auf der Regattastrecke in Grünau.
Noch besser als auf dem Wasser der Dahme kommt der Klub derzeit in der Zweiten Liga voran. Der spektakuläre Sieg vom Sonnabend schob Union auf Rang zwei und beflügelte die Fantasien vieler Anhänger, von denen so mancher vom Aufstieg in die Bundesliga träumt.
Beim bereits zum elften Mal stattfindende Drachenbootrennen zeigt sich die gute Stimmung im Verein nach den ersten Spieltagen. Noch vor zwei Jahren schlichen die Spieler nach einer 0:4-Pleite bei Dynamo Dresden über das für Olympia 1936 gebaute Gelände in Grünau. Die lautstarke Aussprache mit den Fans geriet zum Wachmacher nach einem durchwachsenen Start.
Kapitän Mattuschka von Fans umringt
Davon war am Sonntag bei über 1000 Besuchern nichts zu spüren. In seltener modischer Einheit kamen sowohl Trainer Uwe Neuhaus als auch Torsten Mattuschka in rosa Shirts – als ob sie damit die Zukunftsperspektive des Vereins illustrieren wollten.
Ebenso wie vor zwei Jahren wurde der Mannschaftskapitän umringt. Doch statt sich harte Worte von groß gewachsenen Männern gefallen lassen zu müssen, sollte er bei knapp zwei Meter großen Fans auf der Brust unterschreiben. „Das ist immer toll. Wir Spieler sind mittendrin“, sagte Mattuschka aus dem Pulk heraus.
Platz zwei hebt die Stimmung spürbar. Auf der ehrwürdigen Tribüne der Regattastrecke singen Fans am Sonntag wieder das Lied, mit dem die Anhänger ihre Mannschaft nach dem frühen 0:2-Rückstand angefeuert hatten: „Wo Du auch spielst, wir folgen Dir. Ist der Sieg auch noch so fern. Gib niemals auf und glaub an Dich, dann kann der Sieg nur Dir gehören.“ Mit dem Ohrwurm bewiesen die Anhänger ein feines Gespür für die Situation des Teams, das nach gut fünf Minuten quasi vor einem Scherbenhaufen stand.
Die Mannschaft hat den richtigen Teamgeist
Doch die Mannschaft zeigte mit ihrer Reaktion, dass sie deutlich weiter ist als vor einem halben Jahr. Damals ließ Union in Sichtweite des Relegationsplatzes Punkte liegen, konnte sich einfach nicht aufraffen. Jetzt scheinen Moral und Selbstbewusstsein stark genug, um nicht mehr vor dem großen, oft noch unausgesprochenen Ziel Aufstieg zu kapitulieren.
Bezeichnend dafür die Situation in der Kabine zur Halbzeit, als Union gegen St. Pauli noch 1:2 zurücklag. „Wir haben uns eingeschworen und gesagt: Kommt Jungs, heute ist mal wieder so ein Tag, an dem man ein Spiel drehen kann“, erzählt Mattuschka.
Vor allem zeigt der Umgang mit Abwehrspieler Christian Stuff, der beide Gegentore verschuldete, dass sich die Mannschaft nicht mehr so einfach verunsichern lässt. Kapitän Mattuschka lief persönlich nach hinten, um den Verteidiger aufzubauen. Für Uwe Neuhaus mehr als nur eine Geste. Der Trainer sah darin ein Symbol für den Teamgeist: „Das hat uns als Mannschaft eher noch zusammengebracht. Nach dem katastrophalen Fehler gab es keine Schuldzuweisung, sondern die gemeinsame Anstrengung, das wieder zurechtzubiegen.“
Mit neuem System will Neuhaus zum Erfolg
Eine neue Qualität zeigt Union aber auch in der taktischen Ausrichtung. Nach dem Stolperstart mit einem Punkt aus den ersten beiden Partien stellte Neuhaus auf ein System mit Doppelsechs und nur einer nominellen Spitze um. Der Trainer sträubte sich lange gegen einen Wechsel, doch gerade mit dieser Aufstellung kam der Erfolg. Trotzdem hält der 53-Jährige weiterhin wenig davon, sich auf ein System festzulegen.
Öffentliche Taktikdiskussionen lässt der Coach sowieso nicht zu. Schon seit seinem Einstieg bei Union predigt er, dass die Ausrichtung vor allem von dem vorhandenen Spielermaterial abhängt. Daraus lässt sich ableiten, dass er nun erstmals einen Kader zur Verfügung haben dürfte, mit dem höhere Ziele erreichbar sind. Während jahrelang ein 4-4-2 mit einer Mittelfeldraute wie eingemeißelt schien, wechselt der Coach das System nun auch mitten in der Partie, ohne das ein Bruch im Spiel seines Teams zu erkennen war. Diese taktische Flexibilität fehlte den Eisernen lange.
Ein zusätzliches Pfund ist die Heimstärke. Schon im Vorjahr war Union das drittstärkste Heimteam. Sollten nun auch die seltsamen Auswärtsauftritte der Vergangenheit angehören, dann rückt der Aufstieg in greifbare Nähe. Die Union-Anhänger trauen sich bei aller Euphorie über die Aufholjagd gegen St. Pauli noch nicht, offen darüber zu sprechen. Sie träumen lieber still davon.
Ein offizielles Saisonziel hat Union nicht ausgegeben
Oben angreifen ist das intern ausgegebene Ziel. Ohne es offen auszusprechen, gibt das auch Torsten Mattuschka aus: „Ich hoffe, dass wir nach der Länderspielpause so weitermachen wie in den letzten Wochen. Wir müssen das auch. Das ist unser Weg.“ Ein offizielles Saisonziel hat Union nicht ausgegeben.
Seit dem Schlusspfiff gegen St. Pauli fliegt ein Wort raketengleich durch den Union-Kosmos: Paderborn. Es klingt nicht gut, weckt aber umso schönere Erinnerungen. Auch beim Mannschaftskapitän, der genau weiß, gegen wen Union zuletzt ein 0:2 in ein 3:2 umgedreht hatte: „Das war in der 3. Liga im Jahnsportpark gegen Paderborn.“ Vor fünf Jahren.
Auch damals ging Union ohne offizielles Ziel in die Saison. Doch kurz nach dem legendären Sieg verkündete Präsident Dirk Zingler, dass Union aufsteigen will. Und so kam es auch. Dieses Mal könnte das St.-Pauli-Spiel das Signal für eine Traumsaison gewesen sein.