Hertha BSC

Es darf auch mal Spektakel sein

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Sebastian Stier
Hochbetrieb im Gladbacher Strafraum: Hertha rennt an mit Salomon Kalou (l.), Vedad Ibisevic (M.) und Karim Rekik. Die Borussia verteidigt mit Jannik Vestergaard, Fabian Johnson (Nr. 19) und Christoph Kramer

Hochbetrieb im Gladbacher Strafraum: Hertha rennt an mit Salomon Kalou (l.), Vedad Ibisevic (M.) und Karim Rekik. Die Borussia verteidigt mit Jannik Vestergaard, Fabian Johnson (Nr. 19) und Christoph Kramer

Foto: Getty Images / City-Press/Getty Images

Hertha hat zehn Jahre nicht in Gladbach gewonnen. Aktuell scheint die Siegchance günstig wie lange nicht.

Berlin.  Im Herbst des vergangenen Jahres erinnerte Hertha BSC an einen pubertären Teenager. Die Berliner erlebten ihre wilde Phase, ignorierten Anweisungen, spielten mit dem Feuer, verbrannten sich manchmal, pfiffen im Großen und Ganzen aber auf die Konsequenzen. Hauptsache, es machte Spaß. Heraus kamen Ergebnisse, die vor Spektakel nur so strotzten. 3:3 in Wolfsburg, 2:3 in Bilbao und zwischendurch gab es daheim im Olympiastadion ein 2:4 gegen Borussia Mönchengladbach. Ein wildes Spiel mit traumhaft schönen Toren und hohem Unterhaltungswert. Nur der Ertrag stimmte aus Berliner Sicht nicht.

Die Berliner Sehnsucht nach mehr

Knappe fünf Monate später ist von der Abenteuerlust jener Tage nichts mehr geblieben. Aus dem aufmüpfigen Jugendlichen ist ein akkurater Steuerfachangestellter geworden, der gewissenhaft seine Aufgaben erledigt. Man hat sich eingerichtet und ist zurückgekehrt zur Schlichtheit jener Elf der Vorsaison, die ligaweit als höchst unangenehm zu bespielen galt.

Erst recht, wenn sie einmal in Führung ging. Das macht Hertha im Frühjahr 2018 allerdings selten. Die Mannschaft spielt derzeit weniger Fußball, als dass sie ihn verwaltet – die Berliner schieben Dienst nach Vorschrift. Die anarchischen Elemente sind purer Effizienz gewichen. Nur sechs Tore haben die Berliner in elf Rückrundenspielen geschossen, was immerhin für zwölf Punkte reichte, weil sie auf der Gegenseite nur sieben Treffer zuließen. Richtig zufrieden ist aber niemand. Trainer Pal Dardai stellte für die kommende Saison sogar schon offensive Zugänge in Aussicht. Die werden auch benötigt.

Defensiv ist Hertha bärenstark

Was das Verhalten bei der Arbeit gegen den Ball angeht, ist die Mannschaft vor dem Auswärtsspiel am Sonnabend bei Borussia Mönchengladbach wieder in Ansätzen dort, wo sie in der vergangenen Saison war. „Ich finde, dass wir das ganze Jahr schon stabil sind. Defensiv machen wir das sehr gut“, sagt Dardai. Ein Eindruck, der von der Statistik gestützt wird. Kassierte Hertha in der Hinrunde noch 1,47 Tore pro Spiel, sind es in der Rückrunde nur noch 0,54 – also fast ein Tor weniger pro Begegnung.

Ein Grund dafür dürfte die ausbleibende Rotation sein. Musste Hertha im Herbst aufgrund der hohen Belastung in zeitweise drei Wettbewerben oft das Personal tauschen, kann Dardai in der Rückserie auf eine eingespielte Elf setzen. Niklas Stark, der am Mittwoch wegen eines Pferdekuss pausierte, ist gesetzt, ebenso wie Karim Rekik, der nach seiner Verletzungspause sofort wieder zum Stabilitätsfaktor wurde. Rechts verteidigen Peter Pekarik oder Mitchell Weiser und links hat Marvin Plattenhardt die meisten Spiele aller Berliner in dieser Saison absolviert. In Mönchengladbach kehrt der Nationalspieler nach seiner Sperre wieder ins Team zurück.

Hoffen auf Niklas Stark

„Ich denke, das hilft auf jeden Fall, wenn die vier vor mir gut eingespielt sind. Wir machen in der Rückrunde defensiv kaum Fehler“, sagt Rune Jarstein. Herthas Torhüter findet, „diese Saison sind wir defensiv noch besser als in der vergangenen“. Coach Dardai geht davon aus, dass Stark rechtzeitig fit wird. „Am Donnerstag soll Niklas wieder mit dem Team trainieren“, sagt er. In Gladbach sollte er also seine beste Abwehrformation aufs Feld schicken können.

Die wird wohl auch nötig sein gegen einen Gegner, der Hertha traditionell Schwierigkeiten bereitet. Der letzte Berliner Sieg bei der Borussia liegt genau zehn Jahre zurück (1:0/Torschütze Gojko Kacar). Damals spielte Pal Dardai noch selbst, saß in Gladbach allerdings auf der Bank. Dass es bei den „Fohlen“ für Hertha selten gut läuft, ist ihm bewusst. Die Gründe dafür sind es eher nicht. „Wenn ein Trainer das wissen würde, wäre er ein Wundertrainer. Ich bin kein Wundertrainer. Als Spieler habe ich in Gladbach auch nur wenig geholt. Aber manchmal hat es geklappt, vielleicht ja auch am Sonnabend“, sagt Dardai.

Borussia seit vier Heimspielen ohne Sieg

Abgesehen von Herthas Schwäche am Niederrhein könnten die Vorzeichen kaum günstiger sein. Auch die Gladbacher sind nicht mehr das Team, das sie noch im November waren. Nur zwei der vergangenen elf Spiele konnte die Borussia gewinnen, genau wie Hertha. Selbst zu Hause warten die sonst so heimstarken Gladbacher bereits seit vier Partien auf einen Sieg. In Verbindung mit der neuerworbenen Auswärtsstärke der Berliner, die 2018 schon acht Punkte in der Fremde holten, möchte man Hertha den nötigen Mut wünschen. Wenn nicht jetzt in Gladbach gewinnen, wann dann?

„Die Mannschaft entwickelt sich“, sagt Jarstein, „nur gehört im Fußball auch Geduld dazu.“ Dass genau jene in der öffentlichen Wahrnehmung fehlt, beklagt Trainer Dardai immer wieder. Nur wird die Sportart längst der Unterhaltungsbranche zugeordnet, in der offensives Spektakel nun mal deutlich besser ankommt als defensiv sicherer Systemfußball. Insofern stünde den Berlinern eine Rückbesinnung auf die Sturm-und-Drang-Phase aus dem Herbst gut zu Gesicht.