Auch am vergangenen Wochenende gab es wieder eine vermeintliche Eskalation der Gewalt auf deutschen Fußballplätzen. Doch Experten warnen vor Populismus und Panikmache.
Andreas Ritters Welt kehrt langsam in eine geordnete Umlaufbahn zurück, das ist ihm deutlich anzusehen. Der Mann, der am Montag die Konsequenzen verkündete, die Dynamo Dresden aus den Krawallen seiner Anhänger beim Pokalspiel in Dortmund (0:2) mit 17 Verletzten und 150.000 Euro Sachschaden zieht, wirkt entspannter als noch vor drei Tagen.
Da hatte der Dynamo-Präsident vor dem Zweitliga-Heimspiel gegen den Karlsruher SC (5:1) in einer bemerkenswerten Rede Fairness und Respekt gefordert. Seine Verunsicherung war ihm dabei deutlich anzumerken, obwohl er oft durch Szenenapplaus bestärkt wurde.
Immerhin war Ritter da schon wieder spürbar gefestigter als in den Katakomben des Dortmunder Stadions aufgetreten, wo er am Dienstag hilflos versucht hatte , der Öffentlichkeit das Unerklärliche zu erklären.
Ohne Fans nach Hamburg
„Wir fordern alle unsere Fans und Sympathisanten dazu auf, jederzeit ein tadelloses und sportlich faires Verhalten im Umfeld von Dynamo Dresden an den Tag zu legen“, sagte Ritter am Montag. „Wir sollten alle gemeinsam dafür einstehen, dass sich der am Dienstag entstandene deutschlandweite negative Ruf möglichst bald wieder zum Positiven umkehrt.“
Um das zu erreichen, reist der Verein ohne eigene Fans zum übernächsten Auswärtsspiel nach St. Pauli. Außerdem behält sich der Aufsteiger vor, auch auf die Karten für die Partie in Rostock Ende Dezember zu verzichten, sollte es bis dahin Probleme geben. Unabhängig davon wird eine zweite hauptamtliche Stelle in der Fanbetreuung geschaffen.
Während sie auf Vereinsseite offenbar überzeugt sind, mit diesen Maßnahmen weiteren wirtschaftlichen Schaden vorerst abgewendet zu haben (Die für Dresden-Fans vorgesehenen Tickets im Millerntorstadion werden nun in Hamburg verkauft), reagierte der Hauptsponsor der Sachsen zurückhaltend .
DFB-Urteil steht noch aus
„Der nun angekündigte Verzicht auf das Gästekartenkontingent beim FC St. Pauli ist kurzfristig sicher die richtige Reaktion. Dauerhaft kann ein Verzicht auf Gästekartenkontingente jedoch keine tragfähige Lösung sein“, hieß es bei dem Entsorgungsunternehmen Veolia, das jährlich etwa eine halbe Million Euro für den Platz auf der Brust der Dynamo-Spieler zahlen soll und nach den Ausschreitungen in Dortmund sein Engagement infrage gestellt hatte.
„Es geht darum, deutlich zu machen, dass Randalierer bei Dynamo Dresden keinen Platz haben und diese Haltung durchzusetzen. Für einen wichtigen Schritt halten wir die Ankündigung, eine zusätzliche Vollzeitstelle zur Fanbetreuung zu schaffen. Wir werden die Maßnahmen des Vereins sehr aufmerksam verfolgen.“
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich noch nicht äußern. Der mögliche Urteilsspruch – von einer Geldbuße bis zum Wettbewerbsausschluss scheint jede Strafe möglich – steht noch aus.
Morddrohung gegen SCM-Spieler
Während sie in Dresden allmählich die Scherben der dunklen Nacht von Dortmund zusammenkehren, verstärkte ein Vorfall in Magdeburg den Eindruck der zunehmenden Gewalt im deutschen Fußball. Fünf Vermummte hatten den früheren Kapitän des Regionalligaklubs, Daniel Bauer, am Donnerstag vor dem Derby in Sachsen-Anhalt zu Hause mit den Worten bedroht.
„Wir wissen jetzt wo Du wohnst, und wenn ihr am Sonntag nicht gegen Halle gewinnt, kommen wir vorbei und packen Dich!“ Als die Partie (0:0) abgepfiffen wurde, waren Bauer und seine Freundin vom Klub längst an einen geheimen Ort in Sicherheit gebracht worden. Zuvor hatten sie bereits Morddrohungen erhalten.
Weil es darüber hinaus am Wochenende zu Auseinandersetzungen zwischen Dortmunder und Bremer Fans kam, Nürnberger Anhänger die Polizei in München angriffen und mitgereiste Frankfurter beim Zweitligaspiel in Ingolstadt Feuerzeuge auf das Spielfeld warfen, ist nun mancherorts die Illusion entstanden, in Deutschlands Fußballstadien regierten Chaos und Anarchie.
Runder Tisch am 14. November
Das Gegenteil ist der Fall, die Mehrheit der Spiele verläuft friedlich , weil auf den Rängen friedliche Zuschauer sitzen und stehen. Da aber auch die Polizeigewerkschaften mit populistischen Forderungen (Vereine sollen Polizeieinsätze bezahlen, an Spieltagen Alkoholverbot in Zügen) in die Öffentlichkeit preschen, wartet beim Runden Tisch, zu dem Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) für den Sonnabend kommender Woche (14. November) eingeladen hat, Schwerstarbeit auf die Funktionäre von Deutschem Fußball-Bund (DFB) und Deutscher Fußball-Liga (DFL). Auf Anfrage der „Welt“, welche Dimension die DFL den Ausschreitungen beimisst, gab es keine Reaktion.
„Wir erleben in der öffentlichen Debatte eine Vernachlässigung der Fakten und eine Vermischung von Vorgängen, bei denen es sinnvoll wäre, sie voneinander zu trennen“, findet Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte. „Das Anzünden eines bengalischen Feuers im Stadion sollte nicht mit Gewalt gleichgesetzt werden. Der Fan, solange er die Fackel nicht wirft, macht das aus seiner Sicht, um die Atmosphäre zu verbessern.“
Das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik in den Stadien ist eine der Kernforderungen von Fan?gruppierungen in der Auseinandersetzung mit den Vereinen. Dabei wies DFL-Präsident Reinhard Rauball in der „Süddeutschen Zeitung“ noch einmal darauf hin: „Wir haben da eine Geisterdebatte. Das ist verboten. Die Vereine können daran nichts ändern.“
Dass der tatsächliche Sach- und Imageschaden am Dienstag nicht durch das Abbrennen bengalischer Fackeln entstanden ist, sondern durch massive körperliche Gewalt vor und in dem Stadion, geht dabei oft unter. Dynamo Dresden kündigte seinen Anhängern nach den Vorfällen von Dortmund jedenfalls die Unterstützung im Kampf gegen das Pyro-Verbot.
Für den Politikwissenschaftler Mario Thein hat sich zudem die Unterscheidung zwischen Ultras als Initiatoren farbenfroher Choreographien und gewaltbereiten Hooligans teilweise überholt: „Hooligans waren eher rechtsextremistisch orientiert. Ultras sind dagegen häufig eher links, haben linke Positionen, Ideale und stellen sich gegen Faschismus. Im Osten sind auch rechte Tendenzen feststellbar. Besonders bei Auswärtsspielen kann ein Teil der Ultras seine gewaltaffinen Einstellung ausleben.“
Den Vorschlag von Hannovers Präsident Martin Kind , die Kosten für Sicherheit und Aufräumarbeiten in Form erhöhter Eintrittspreise auf die Ultras umzulegen, hält er für wenig zielführend: „Im schlechtesten Fall werden die Probleme lediglich ins Stadionumfeld verlagert.“ Und dort will sie natürlich auch niemand haben.