Der Countdown läuft – und von London bis Berlin steigt die Vorfreude. Am Mittwoch war das magische Datum: 27. Juli. In genau einem Jahr werden die Olympischen Spiele in der englischen Hauptstadt eröffnet. 16 Tage lang wird dann um Gold, Silber und Bronze gekämpft. Mit viel Pomp wurde in London die letzte Etappe bis zum großen Moment angegangen. Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), war dabei, Premierminister David Cameron und natürlich Lord Sebastian Coe, der Chef des Organisationskomitees.
Etwa 900 Kilometer Luftlinie entfernt bekam Natascha Keller leuchtende Augen. Die Hockey-Nationalspielerin vom Berliner HC saß auf Einladung des britischen Botschafters Simon McDonald in der Britischen Botschaft in der Nähe des Brandenburger Tors und schaute sich ein Werbefilmchen der Olympia-Macher an. McDonald schwärmte von dem, was die Athleten im kommenden Sommer erwartet, wenn „Großbritannien die Welt in London willkommen heißt“. London, so der Botschafter, werde optimal auf seine Gäste vorbereitet sein.
Faszination Olympische Spiele. „Bei solchen Bildern weiß man, wofür man das alles macht“, sagte Keller. Die 34-Jährige, die in Athen 2004 Gold gewann, hat bereits viermal an Olympischen Spielen teilgenommen. „Natürlich möchte ich dabei sein.“ In zwei Wochen, bei der Hockey-Europameisterschaft in Mönchengladbach, hat die deutsche Mannschaft die Chance, sich zu qualifizieren. Neben dem englischen Team fahren die beiden besten Nationen bei der EM nach London. Zudem gibt es als Hintertürchen noch ein Qualifikationsturnier.
Schon jetzt ist „eine sehr wichtige Phase“, wie es Ulf Tippelt, der Leistungssport-Direktor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), ausdrückt. „Täglich geht es um Quotenplätze.“ Soll heißen: Bei Wettkämpfen, wie gerade bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Schanghai, können sich Sportler zwar nicht ihr direktes Startrecht erkämpfen, aber durch gute Leistungen sorgen sie dafür, dass der deutschen Mannschaft 2012 einer oder mehrere Plätze in einer Disziplin zustehen. Alles ist also schon auf die Spiele in London ausgerichtet.
Um das zu dokumentieren, kommt natürlich dieses „noch ein Jahr“ gerade recht. Ob nun beim Treffen in der Botschaft oder bei einem Fototermin der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die Olympiasieger, Welt- und Europameister mit einem englischen Doppeldecker-Bus vor dem Berliner Olympiastadion posieren ließ. Die deutschen Medaillenhoffnungen sozusagen auf dem Weg nach London.
Mit „400 plus X Sportlerinnen und Sportlern“ rechnet Thomas Bach, der DOSB-Präsident. „Wir wollen unseren Platz in der Weltspitze der besten Nationen erfolgreich verteidigen“, sagte er. Mit insgesamt 41 Medaillen hatte die deutsche Mannschaft in Peking 2008 zwar so wenig Edelmetall wie noch nie seit der Wiedervereinigung geholt, dank 16 Goldmedaillen landete man aber im Medaillenspiegel hinter China, den USA, Russland und Großbritannien auf dem fünften Rang. Zum Gold kamen noch zehn Silber- und 15 Bronzemedaillen. Der sportliche Konkurrenzkampf wird immer härter. Bach: „Es ist weltweit niemals zuvor soviel Geld und Know-how in den Spitzensport investiert worden wie derzeit.“
90 Kandidaten in 20 Sportarten
Tippelt strich den Berliner Beitrag zum Olympiateam hervor. „Der ist sehr wichtig.“ Traditionell stellen Berliner Athleten, die am Olympiastützpunkt (OSP) optimale Bedingungen vorfinden, eine große Abordnung. Harry Bähr, der Stützpunktleiter, rechnet mit „50 plus“ Sportlern, die in London dabei sein werden. Gut 90 Kandidaten gibt es zum jetzigen Zeitpunkt in etwa 20 Sportarten. „Wir sind breit aufgestellt, sagte Bähr. „Bereits Ende 2010 waren wir sehr optimistisch.“ In der Jahresbilanz konnte der OSP nämlich 63 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften verbuchen. Dementsprechend hoch ist auch Bährs Anspruch für die Olympischen Spiele in einem Jahr. „Ich denke, dass wir Chancen haben, mindestens zehn Medaillen zu gewinnen.“
Vor drei Jahren in China gab es acht Berliner Medaillen. Die Schwimmerin Britta Steffen gewann zweimal Gold, ebenfalls Gold gab es für Lena Schöneborn (Moderner Fünfkampf) und den Hockeyspieler Florian Keller, den Bruder von Natascha. Wasserspringer Patrick Hausding gewann Silber, Bronze ging an Britta Oppelt (Rudern), Norman Bröckl (Viererkajak) und Ditte Kotzian (Wasserspringen). Wenn Bähr an Medaillen denkt, fallen ihm natürlich auch gleich wieder verdiente Athleten wie Steffen, Schöneborn, Hausding oder Oppelt ein. Zum Beispiel auch Diskus-Weltmeister Robert Harting oder die wieder erstarkte Tennisspielerin Sabine Lisicki.
Bähr blickte gleich über London hinaus und sprach von guten Zukunftsaussichten. Denn für fast 70 Prozent der besagten etwa 90 Kandidaten wäre es die erste Olympiateilnahme. Die Sportler sind im Schnitt 25 Jahre alt, wobei Wasserball-Torhüter Alexander Tschigir (das Team muss allerdings noch einen schweren Qualifikationsweg gehen) mit 42 Jahren aus dem Rahmen fällt. „Doch noch einer, der älter als ich ist, ich werde ja schon als Oma gehandelt“, meinte Natascha Keller lachend. Sollte sie dabei sein, wäre es ihre fünfte Teilnahme bei Olympischen Spielen. Nur wenige haben das geschafft. Vielleicht würde ihr dann der „Job“ als Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier zufallen. „Das wäre natürlich eine Ehre für mich.“